Die unsichtbare Macht der neuen Kriegstechnik steuert auf entscheidende Frage zu

Wie verändert Künstliche Intelligenz die moderne Kriegsführung und welche Rolle spielt sie aktuell in Konflikten wie in der Ukraine oder Israel?

Ein ukrainischer Drohnenpilot berichtet: „Früher dauerte es Stunden, ein Ziel zu identifizieren. Jetzt analysiert die KI in Sekunden Satellitenbilder, Drohnenaufnahmen und Funksignale – und liefert uns präzise Koordinaten.“

Die moderne Kriegsführung erlebt eine technologische Revolution. Künstliche Intelligenz (KI) verändert nicht nur die Geschwindigkeit, sondern auch die Art und Weise, wie Konflikte geführt werden. Besonders deutlich wird dies in aktuellen Konflikten wie in der Ukraine und im Nahen Osten.

Ukraine: KI als taktischer Vorteil

Im Krieg gegen Russland setzt die Ukraine verstärkt auf KI-gestützte Systeme. Diese analysieren in Echtzeit Daten aus verschiedenen Quellen – von Satellitenbildern bis zu Drohnenaufnahmen – und unterstützen bei der Entscheidungsfindung. Ein bemerkenswerter Erfolg: Die Trefferquote ukrainischer Drohnen stieg durch den Einsatz von KI von 50 % im Jahr 2023 auf nahezu 80 % im Jahr 2024.

Zudem liefern deutsche Unternehmen wie Helsing der Ukraine moderne HX-2 Kamikaze-Drohnen. Diese sind mit KI ausgestattet, können autonom Ziele anfliegen und sind resistent gegen elektronische Störungen.

Israel: KI in der Zielidentifikation

Auch Israel nutzt KI intensiv in militärischen Operationen. Programme wie „The Gospel“ und „Lavender“ analysieren große Datenmengen, um potenzielle Ziele zu identifizieren. Während „The Gospel“ Gebäude und Strukturen als mögliche Ziele vorschlägt, identifiziert „Lavender“ mutmaßliche Mitglieder bewaffneter Gruppen für gezielte Operationen.

Diese Systeme ermöglichen eine schnellere Entscheidungsfindung, werfen jedoch ethische Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten.

Technologisches Wettrüsten läuft auf alles entscheidende Frage zu

Der Einsatz von KI in der Kriegsführung bringt nicht nur technologische Vorteile, sondern auch erhebliche ethische und rechtliche Herausforderungen mit sich. Die Automatisierung von Entscheidungsprozessen kann zu einer Entmenschlichung des Krieges führen. Zudem stellt sich die Frage nach der Verantwortung: Wer haftet, wenn ein KI-System einen Fehler macht?

Internationale Organisationen und Experten fordern daher klare Regularien und ethische Leitlinien für den Einsatz von KI in militärischen Kontexten.

Im März 2020 berichtete der UN-Sicherheitsrat von einem Vorfall in Libyen: Autonome Miniaturdrohnen der türkischen Firma STM griffen Kämpfer des Warlords Chalifa Haftar an – ohne menschlichen Befehl. Diese Drohnen, ausgestattet mit Deep-Learning-Algorithmen, identifizierten und attackierten Ziele eigenständig. Ein Meilenstein in der Geschichte der Kriegsführung – und ein ethischer Weckruf.

Was passiert, wenn Maschinen über Leben und Tod entscheiden?

Wenn eine Maschine eigenständig über Leben und Tod entscheidet, stellt sich die Frage: Wer trägt die Verantwortung? Der Entwickler, der Kommandeur, der Staat? Diese "Verantwortungslücke" ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein moralisches. Denn ohne klare Verantwortlichkeit droht die Entmenschlichung des Krieges.

Studien zeigen, dass Menschen dazu neigen, den Entscheidungen von KI-Systemen übermäßig zu vertrauen – ein Phänomen bekannt als Automatisierungsbias. In der Hitze des Gefechts könnte dies dazu führen, dass menschliche Operatoren Warnsignale übersehen oder kritische Entscheidungen unreflektiert an die Maschine delegieren. Die Gefahr: Fehlentscheidungen mit fatalen Konsequenzen.

Die Illusion der Präzision: Wenn Algorithmen irren

KI-Systeme basieren auf Daten. Sind diese unvollständig oder voreingenommen, können die Systeme falsche Schlüsse ziehen. 

Ein Beispiel: Ein Algorithmus, der in einer bestimmten Region trainiert wurde, könnte in einer anderen Umgebung zivile Objekte fälschlicherweise als militärische Ziele identifizieren. Die Folge: Kollateralschäden und zivile Opfer.

Internationale Bemühungen: Zwischen Regulierung und Realität

Seit 2014 diskutiert die internationale Gemeinschaft im Rahmen des Übereinkommens über konventionelle Waffen (CCW) über die Regulierung autonomer Waffensysteme. Doch trotz intensiver Debatten fehlt bislang ein verbindliches Abkommen. 

Einige Staaten blockieren Fortschritte, während andere bereits in die Entwicklung solcher Systeme investieren. Ein Wettlauf, bei dem ethische Überlegungen oft hintanstehen.

Zusammengefasst heißt das:

Der Einsatz von KI in der Kriegsführung bietet zweifellos taktische Vorteile. Doch ohne klare ethische und rechtliche Rahmenbedingungen droht eine Zukunft, in der Maschinen über Leben und Tod entscheiden – ohne menschliches Mitgefühl, ohne Verantwortung und ohne Kontrolle. 

Eine solche Entwicklung stellt nicht nur die Grundlagen des humanitären Völkerrechts infrage, sondern auch unser Selbstverständnis als moralisch handelnde Gesellschaft.

Über Anabel Ternès

Prof. Dr. Anabel Ternès ist Unternehmerin, Zukunftsforscherin, Autorin, Radio- und TV-Moderatorin. Sie ist bekannt für ihre Arbeit im Bereich digitale Transformation, Innovation und Leadership. Zudem ist Ternès Präsidentin des Club of Budapest Germany, Vorstand des Friends of Social Business und Club of Rome Mitglied.

Wie können Staaten Mut und Widerstandskraft zeigen, wenn sie mit technologisch überlegenen Gegnern konfrontiert sind?

Ein verschneiter Februarmorgen in der Ukraine, 2022. Russische Truppen rücken vor, bewaffnet mit modernster Technologie. Auf den ersten Blick scheint die Übermacht erdrückend. Doch was folgte, überraschte die Welt: Statt technologischer Kapitulation zeigte die Ukraine Widerstandskraft – mit Mut, Improvisation und strategischer Allianzbildung.

1. Asymmetrischer Mut: Die Stärke der Kleinen

Technologischer Nachteil heißt nicht Machtlosigkeit. Das zeigt die Ukraine: Mithilfe westlicher Open-Source-Intelligence, günstiger kommerzieller Drohnen und selbstgebauter Cyberabwehrmaßnahmen konnte sie gezielte Gegenangriffe starten. Laut NATO-Berichten nutzte die Ukraine z.B. DJI-Drohnen für Aufklärung, in Kombination mit KI-gestützter Zielanalyse – kostengünstig und effektiv.

Staaten wie Taiwan oder Estland setzen ebenfalls auf sogenannte asymmetrische Resilienzstrategien: flexible, dezentrale Verteidigungssysteme, kritische Infrastrukturen in der Cloud und flächendeckende digitale Bildung.

2. Cyber-Widerstand: Wenn Bits stärker sind als Bomben

Estland, 2007: Ein massiver russischer Cyberangriff legt Regierungsseiten, Banken und Medien lahm. Die Reaktion? Statt aufzugeben, wird Estland zum digitalen Vorreiter. Heute sind über 99 % der Behördendienste digitalisiert. Mit dem „X-Road“-System werden Daten sicher verteilt, während Backups in einem digitalen Exil in Luxemburg gespeichert sind – weltweit einmalig.

Dieser digitale Mut inspirierte andere Staaten: Litauen, Finnland und Polen investieren stark in Cyberresilienz. Laut dem Global Cybersecurity Index gehören sie zu den Top 20 weltweit – und das trotz begrenzter Ressourcen.

3. Werte als Waffe: Narrative und Soft Power

Technologische Übermacht ist nicht nur ein Kampf der Systeme. Die Ukraine nutzt Social Media, um die internationale Öffentlichkeit zu mobilisieren: Laut einer Studie der University of Oxford konnten über 70 % der befragten Europäer durch das gezielte Framing ukrainischer Narrative zum Spenden, Protestieren oder zur politischen Beteiligung bewegt werden.

Auch Länder wie Georgien oder Moldau nutzen Storytelling, um Aufmerksamkeit, Verbündete und moralische Unterstützung zu gewinnen.

4. Mut durch Allianzen: Die neue Stärke der Kooperation

Die technologischen Riesen sind nicht unverwundbar – wenn sich kleinere Staaten zusammentun. Die Baltic Defence Cooperation ist ein Beispiel für kollektive Verteidigung auf Augenhöhe.

Was bedeutet die veränderte Kriegsführung für die Zukunft der globalen Sicherheit und das Gleichgewicht der Mächte?

Wir erleben eine Zeitenwende. Klassische Armeen mit Tausenden Panzern sind längst nicht mehr die alleinige Messlatte für Macht. Heute zählen Algorithmen, Satellitendaten und Cyberfähigkeiten. Laut dem SIPRI-Jahresbericht 2024 investieren mittlerweile über 80 Länder aktiv in militärische Künstliche Intelligenz – darunter nicht nur Großmächte, sondern auch kleinere Staaten mit hoher Technologiedichte wie Israel, Estland oder Südkorea.

So setzt die israelische Armee KI-gesteuerte Zielerkennungssysteme ein, die in Sekundenbruchteilen Angriffsziele auswerten. In der Ukraine testet das Militär sogenannte „Kill-Chains“, bei denen Drohnen, Satelliten und KI zusammenarbeiten, um Gegner ohne menschliche Verzögerung zu lokalisieren und zu bekämpfen.

Wenn die Kleinen gefährlich groß werden

Früher war militärische Dominanz fast ausschließlich eine Frage des Budgets. Heute können kleinere Staaten durch technologische Aufrüstung plötzlich zu strategischen Playern werden. Aserbaidschan besiegte 2020 in Bergkarabach das militärisch überlegene Armenien – nicht mit Panzern, sondern durch türkische Bayraktar-Drohnen und gezielte Cyberangriffe.

Auch nichtstaatliche Akteure – Terrorgruppen, Milizen, Cyberkriminelle – nutzen diese Entwicklung. Laut einem UN-Bericht 2023 haben bereits 36 bewaffnete Gruppen weltweit Zugang zu kommerziell erwerbbaren Drohnen, die sie mit Sprengsätzen umrüsten. Das Sicherheitsrisiko wird dadurch global diffundiert.

Cyberkrieg kennt keine Grenzen

Ein Krieg ohne geografische Fronten – das ist längst Realität. Die NATO meldete 2023 über 4.000 koordinierte Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen in Mitgliedsstaaten – ein Großteil davon aus China, Russland, Iran und Nordkorea. Doch was noch besorgniserregender ist: Diese Angriffe bleiben oft unterhalb der Kriegsschwelle, werden nicht geahndet – und verschieben Machtverhältnisse im Verborgenen.

Neue Sicherheitsarchitektur oder digitaler Kalter Krieg?

Diese Transformation stellt internationale Bündnisse auf die Probe. Die UNO ist mit autonomen Waffensystemen überfordert. Die Genfer Konventionen decken keine KI-Angriffe ab. Und während die Großmächte – USA, China, Russland – um die technologische Vorherrschaft ringen, entstehen neue Allianzen: AUKUS im Pazifik, das europäische PESCO-Verteidigungsbündnis, oder die "Digital 9" für Cyberkooperation.

Letztendlich: wer heute Kriege führt, beeinflusst morgen, wie wir als Weltgemeinschaft über Macht, Verantwortung und Menschlichkeit denken.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.