Was der AfD bei der Bundestagswahl zum Erfolg verholfen hat

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Die AfD wurde bei der Bundestagswahl zweitstärkste Kraft. Warum vor allem die Rechtspopulisten vom Top-Thema Migration profitieren konnten, ordnen Experten ein.

Berlin – Sie ist die große Gewinnerin der Bundestagswahl: Auch wenn die AfD der nächsten Regierung nicht angehören wird, ist sie mit einem Ergebnis von 20,8 Prozent nun die Nummer zwei im deutschen Parteiengefüge. Aber wie kam der Erfolg der AfD zustande – und wie könnte es mit der Partei weitergehen?

Soziologe zur Migrationsdebatte vor der Bundestagswahl: Versagen anderer Parteien hat AfD groß gemacht

Vor allem ein Thema soll der AfD bei der Bundestagswahl geholfen haben: Die Migration. Laut dem des Soziologen Axel Salheiser haben in diesem Themenbereich andere Parteien versagt, was viele Wähler in die Arme der AfD getrieben habe. Denn die meisten Parteien haben versucht, AfD-Wähler zurückzugewinnen, indem man den Kurs der in Teilen rechtsextremen Partei kopiere, erklärte der Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena dem Evangelischen Pressedienst. Von solch einer Strategie sei „dringend abzuraten“, die Forschung sei hier eindeutig, dass dies nur den Populisten helfe. „Es wurde dennoch getan“, sagte er.

AfD im Bundestag
Die AfD-Fraktion konnte bei der Bundestagswahl durch Migration punkten. © Michael Kappeler/dpa

Als Resultat habe die Union das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik erzielt. „Wenn man ähnliche Töne anschlägt und Situationen ähnlich bewertet, erhöht das die Glaubwürdigkeit der AfD“, sagte Salheiser. Die Mitte rücke nach rechts, die AfD werde enttabuisiert. Die AfD habe auch von schwindendem Vertrauen in etablierte Institutionen und Parteien profitiert, erläuterte der Soziologe.

Aus der Forschung wisse man, dass „Vertrauen sehr stark output-orientiert“ sei, also von der Frage abhänge, welche Ergebnisse der Staat liefere. Daher spiele die zunehmende soziale Ungleichheit durchaus eine Rolle. Es gebe die Wahrnehmung, dass Staat und Parteien ihren Aufgaben nicht mehr nachkämen. Die soziale Entsicherung wird nach Salheisers Worten verstärkt durch eine „Rhetorik des Untergangs“, die sich in der Wirklichkeit nicht widerspiegele. Es sei belegbar, dass Menschen ihre eigene wirtschaftliche Lage als viel besser bezeichneten als die gesamtgesellschaftliche – das Konsumniveau steige, sagte der Forscher: „Auch Dinge, die keiner objektiven Überprüfung standhalten, können politische Relevanz entfalten.“

Migrationsdebatte war „unredlich“: Diskussionen müssten an Fakten gebunden sein

Zu diesen Dingen gehört laut Salheiser die Migrationsdebatte. Über eine veränderte Migrationspolitik oder bessere Integration zu diskutieren, sei legitim, müsse aber an Fakten gebunden sein. Die behauptete Einwanderung in die Sozialsysteme gebe es so nicht. Die Debatte sei „unredlich, denn Menschen, die als Arbeitskräfte nach Deutschland kommen, haben ja auch Anspruch darauf, Sozialleistungen zu bekommen“, sagte der Forscher.

Darüber hinaus würden Asylsuchende in den ersten Jahren von Arbeit ferngehalten. In der politischen Kommunikation komme das aber kaum an: „Der Diskurs ist seit Jahren vergiftet.“ Die Forschung zeige, dass mangelndes Vertrauen statistisch stark zusammenhänge mit geringem politischem Wissen, Interesse und Partizipation, sagte Salheiser. Er nannte die langfristige Stärkung von Vertrauen in den Staat und in demokratische Institutionen als eine Aufgabe, die weit vorn auf der politischen Agenda stehen müsse.

Gleiches bestätigt auch der Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Wir wissen aus der Forschung, dass radikal rechte Parteien am meisten profitieren, wenn es im Wahlkampf vor allem um Migration geht. Das ist fast schon eine Binsenweisheit.“ Profitiert hat die AfD auf jeden Fall davon, dass das Thema Migration im Wahlkampf so zentral war: Bei Infratest dimap fanden es 46 Prozent der Befragten grundsätzlich gut, dass die AfD den Zuzug von Migranten begrenzen will.

Für Aussicht auf Regierungsbeteiligung: AfD könnte „Höhepunkt der Radikalisierung“ erreicht haben

Trotz des hohen Wahlergebnisses bleibt die AfD vorerst machtlos. Denn sie hat keine Aussicht auf Regierungsmacht, weil sie unter den Parteien isoliert ist. Zwar bot Alice Weidel ihre AfD am Wahlabend für eine Regierungsbeteiligung an – sie weiß aber, dass niemand mit ihr koalieren will. Am Montag (23. Februar) verkündete sie ein ehrgeiziges Ziel: „Wir werden die CDU in den nächsten Jahren überholen, und das wird sehr schnell gehen.“

Friedrich Merz (CD), der nach der Wahl wohl der neue Bundeskanzler wird, vor den Reihen der AfD in der Opposition im Bundestag.
Friedrich Merz (CD), der nach der Wahl wohl der neue Bundeskanzler wird, vor den Reihen der AfD in der Opposition im Bundestag. © Imago

AfD-Kenner und Politikprofessor an der Universität Kassel Wolfgang Schroeder hält es für möglich, dass der „Höhepunkt der Radikalisierung“ nun erreicht sei und die AfD sich künftig mäßige, um koalitionsfähig zu werden. Die AfD müsse erkennen, „dass sie mit ihrer permanenten Radikalisierung ihre eigenen Machtmöglichkeiten beschneidet – auch wenn sie mehr Stimmen bekommt“, sagt der Professor. Das Wählerpotenzial der AfD habe aber Grenzen, weil die Partei ein großes „Polarisierungspotenzial“ habe. (bg/dpa)

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