Paradox: Trumps Zoll-Politik könnte sich für die Welthandelsorganisation als Glücksfall erweisen

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In Zeiten von Handelsstreitigkeiten und Zoll-Chaos erlebt das Regelwerk der Welthandelsorganisation eine neue Wertschätzung.

Washington – Der Handelskrieg von US-Präsident Donald Trump und seine abweisende Haltung gegenüber der Welthandelsorganisation WTO könnte der Organisation neues Leben einhauchen, sagte die Generaldirektorin der WTO, Ngozi Okonjo-Iweala. Das Verhalten der USA - die Zölle nach Belieben anwenden und aufheben - habe die anderen 165 Mitglieder an die Bedeutung eines auf Regeln basierenden Systems erinnert.

WTO-Mitglieder schätzen das Regelwerk

„Die Mitglieder haben gerade entdeckt, wie sehr sie die WTO schätzen. Sie sehen ein Chaos auf uns zukommen, wenn sie dieses auf der Meistbegünstigung ausgerichtete System verlassen“, sagte Okonjo-Iweala in einem Interview mit der britischen Wirtschaftszeitung Financial Times. Das Prinzip der „Meistbegünstigung“ (MFN) besagt, dass sich die Mitgliedstaaten verpflichten, bis auf wenige Ausnahmen großen und kleinen Partnern den gleichen Zugang zum eigenen Markt zu gewähren.

Mehrheit der Waren wird nach WTO-Regeln gehandelt

Der Anteil der nach diesem System gehandelten Waren beträgt derzeit weltweit 74 Prozent und liegt damit nur leicht unter dem Niveau von 80 Prozent wie vor dem Handelskrieg. „Das ist immer noch eine große Zahl. Die Staaten wollen das beibehalten“, sagt Okonjo-Iweala. US-Präsident Donald Trump lehnt die Welthandelsorganisation ab. Er hat mit einem Austritt aus der WTO gedroht und ihr die finanzielle Unterstützung entzogen.

Okonjo-Iweala rief die Staaten dazu auf, einen bilateralen Dialog führen. Dieser sei oftmals besser geeignet, um die Probleme anzusprechen: „Es geht nicht nur um Zölle, sondern um verschiedene andere Dinge. Es geht um die Mehrwertsteuer, um digitale Steuern, es geht um Energieeinkäufe. Es geht um kritische Mineralien. Es geht um eine ganze Reihe von Themen, die über die WTO hinausgehen.“

Handelsdefizit der USA ist WTO-Sache

Allerdings sei die WTO das richtige Forum, um einige der berechtigten Sorgen der USA zu verhandeln. Dazu gehörten das enorme Handelsdefizit der USA sowie die hohen Subventionen in vielen Ländern, die den globalen Handel verzerrten. Okonjo-Iweala räumte Probleme im Umgang mit China ein. Das Land ist seit 2001 WTO-Mitglied.

Bei einer jährlichen Überprüfung der Handelspolitik Chinas durch die WTO im Jahr 2022 sei festgestellt worden, dass das Land nicht deklarierte Subventionen in Milliardenhöhe gezahlt habe, sagt sie. „Wir haben zusätzliche Subventionen gefunden, die von China nicht gemeldet wurden. Wir haben das gemeldet.“ Die Mitglieder müssten das Abkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen aktualisieren, sagt sie. Dabei könne es aber nicht nur um China gehen, denn es gebe eine Vielzahl von Problemen.

WTO steht vor vielen Problemen

„Die EU und andere sind nicht die einzigen, die sich über diese Fragen der gleichen Wettbewerbsbedingungen beschweren. China selbst beklagt sich über Subventionen in der Landwirtschaft. Die Entwicklungsländer beschweren sich darüber, dass sie einen sogenannten politischen Spielraum für die Industrialisierung brauchen und dass sie bestimmte Subventionen gewähren können, die nicht anerkannt werden. Über grüne Subventionen wird nicht gesprochen“.

Auch wenn das WTO-System nicht in der Lage sei, die US-Handelspolitik in die Schranken zu weisen oder zu sanktionieren, würden viele Mitglieder daran festhalten, sagte auch Dmitry Grozoubinski vom Beratungsunternehmen Aurora Macro Strategies: „Ein prozess- und rechtsgesteuerter Ansatz für Handelsstreitigkeiten bleibt attraktiv für kleinere Mächte, die Gefahr laufen, in bilateralen Gesprächen von größeren Akteuren unterlegen zu sein“, sagte er der FT.

Experte: US-Zölle treiben Keil zwischen Handelspartner

Es gibt aber auch Gegenstimmen, die weniger optimistisch sind. Nach Ansicht von Todd Friedbacher, Partner für internationalen Handel bei der Anwaltskanzlei Sidley, kann das System immer noch durch einen Dominoeffekt protektionistischer Reaktionen zersplittert werden, indem zunehmend billige Importe, die von den USA in andere Länder umgeleitet werden, die heimische Industrie belasten.

„Ohne eine koordinierte Reaktion - wie etwa eine Rückkehr zu einem geregelten Handel im Stil der 1980er Jahre - werden die US-Zölle letztlich einen Keil zwischen die Handelspartner der USA treiben, die die Handelsumlenkung mit eigenen Zollschranken bekämpfen werden. Es ist schwer zu erkennen, wer in diesem Chaos gewinnen wird“, sagte er der FT. Friedbacher fügt jedoch hinzu, dass dies die Länder dazu veranlassen wird, den Schutz regionaler Handelsabkommen zu suchen, wie beispielsweise das Abkommen für die Transpazifische Partnerschaft, das 12 Länder von Kanada bis Japan umfasst.

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