"Regt euch doch auf" - Kolumne von Julia Ruhs: Queere Gaga-Workshops, Gott gegendert: Dieser Kirchentag ist woker Irrsinn

Sollten Sie noch über evangelischen Restglauben verfügen, er könnte beim Lesen dieser Kolumne brüchig werden. Denn was die vergangenen Tage in Hannover unter dem Dach des Evangelischen Kirchentags abgefeiert wurde, ist leider nur schwer verdaulich. 

Gott wird gegendert – in drei Varianten

Das Programm ist bunt, man könnte auch sagen: eine überzogen bunte Verbeugung vor dem Zeitgeist. So lädt etwa ein feministischer Frühstücksgottesdienst exklusiv für FLINTA* ein: Frauen, Lesben, Inter-, Nonbinäre, Trans- und Agender-Personen. Männer müssen woanders beten. Danach geht’s zum Runterkommen in die „decolonial chill area“ – kein Witz – oder Sie suchen Gott* mit Yoga. 

Ja, Gott* trägt hier neuerdings ein Sternchen im Wort. Oder ein Apostroph (G’tt). Oder eine Genderlücke (G*tt). Die Kirchentags-Organisatoren sind sich da nicht ganz einig, offenbar eine vertrackte Sache. Dabei dachte ich, niemand ist genderneutraler als der Allmächtige. 

„Queere Tiere auf der Arche“

Die Themen Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung haben es den Organisatoren besonders angetan. Da plaudert eine Drag Queen aus ihrem Leben, Workshops widmen sich „queerer, feministischer, gendersensibler Liturgie“. Die Veranstaltung „Queer in der Klimakrise“ verbindet gleich zwei der hippen Zeitgeistthemen. Sogar eine Einführung in die queere Bibelauslegung hat der Kirchentag zu bieten. 

Falls Ihnen das alles noch zu gewöhnlich klingt – es geht noch schräger. Mein persönlicher Favorit: Der Workshop „Queere Tiere auf der Arche“. Da stellt sich mir bloß die zoologisch-theologische Frage: Wie um Gottes Willen haben sich die intersexuellen Giraffen fortgepflanzt? Oder die schwulen Schimpansen?

Sadomaso mit Gottes Segen 

Auch polyamore Beziehungen finden inzwischen ihren Platz im kirchlichen Programm: Es gibt sogar einen Gottesdienst mit Segen für Mehrfachverliebte. Das ist ja schon fast herzerwärmend, da stellt man entsetzt fest, dass auch Sadomaso-Jünger ihren Stand in Hannover haben. Der Arbeitskreis „BDSM und Christsein“ ist (nicht zum ersten Mal) mit dabei auf dem Kirchentag. Er will sadomasochistische Sexualpräferenzen – Peitsche, Handschellen und Sklavenspiele – aus der Schmuddelecke holen. Auweia. Auch das fällt hier nongalant unter „sexuelle Vielfalt“. 

Für etwas Aufklärung in der „sexpositiven Kirche“, so schreibt es das Programm, sorgt immerhin ein Workshop mit dem Titel: „LGBTIQ* – Blickst du noch durch?“ Eine kleine Erklärhilfe für all jene, die im Buchstabendschungel des Zeitgeists den Überblick verloren haben. Oder ihren Augen und Ohren nicht ganz trauen. 

Kirchentag oder Klimacamp?

Natürlich wird auf dem Kirchentag auch die Welt gerettet. Man kämpft gegen den Klimawandel, gegen Rassismus und gegen „rechts“. Workshops wie „kritisches Weißsein“ für Erwachsene, „rechte Esoterik und Verschwörungsglaube“, oder „stark werden gegen Rechtsextremismus“ tun da ihr Möglichstes. 

Klima-Heilige wie Luisa Neubauer von „Friday’s for Future“ und Carla Hinrichs von der „Letzten Generation“ referieren auf der Bühne. „Correctiv“ moderiert. Und man fragt sich sonst noch: „In welcher Nichtregierungsorganisation wäre Jesus?“ Halleluja. 

Auch sonst gibt’s reichlich Haltung: eine Ausstellung zu antimuslimischem Rassismus, ein „politisches Nachtgebet zur Seenotrettung“. Und eine Bibelstunde mit Angela Merkel. Vorbildlich habe ich mir hierzu den Livestream angeschaut, zunächst durchaus interessiert. Bis zu der Stelle, an der Merkel ihr „Wir schaffen das“ verteidigte und der Saal in heftigen Applaus ausbrach. Ein Publikum wie auf einem grünen Parteitag. 

Martin Luther würde sich im Grab umdrehen, schrieb mir eine Freundin, evangelisch, und überdurchschnittlich gläubig. Sie ist längst abgewandert zu einer Freikirche. Es gibt nun mal Grenzen des Erträglichen. 

„Gott ist queer!“

Dass es so kommen würde, war absehbar. Der letzte evangelische Kirchentag, vor zwei Jahren in Nürnberg, war schon denkwürdig. Damals fabulierte ein Pastor: „Wir alle sind die letzte Generation!“ Und setzte zum Entsetzen vieler in seiner Predigt noch einen drauf: „Gott ist queer!“. Zu essen gab es vor allem vegetarisch. Man wolle schließlich die „herrschende Esskultur verändern“, teilte der Kirchentag damals in bevormundender Manier mit.  

Und vor ein paar Jahren in Dortmund malten die Teilnehmer in einem Workshop – kein Scherz – Genitalien. Genauer gesagt: Vulven. Das sorgte für einen soliden Twitter-Shitstorm. Und wer dachte, das sei schon nicht mehr zu toppen: Es gab noch einen weiteren befremdlichen Workshop, exklusiv für Frauen. „Schöner kommen“, hieß der. Bestimmt mit ganz viel Bibelbezug. Halleluja.

Mit Dauer-Wokeness gewinnt man keine Seelen

Man hätte ja hoffen können, dass in der Zwischenzeit eine gewisse Einsicht gereift ist – dass man mit Dauer-Wokeness keine Seelen gewinnt. Dass Kirche ein Raum auch jenseits linker Identitätspolitik und Klimabewegtheit sein muss. Ein Ort der Begegnung – wo sich auch mal ein AfD-Wähler und ein queerer Mensch mit Migrationshintergrund die Hand reichen, weil sie sich in einem Punkt einig sind: im Glauben. Das wäre für mich wahrhaft christlich gewesen.

Aber so? So schafft die evangelische Kirche sich selbst ab. Bietet nur noch denen Gemeinschaft, die sich in linken Gefilden wohl fühlen. Da kann man sich tatsächlich zurecht die Frage stellen, was die Kirche noch von einer linksverstrahlten NGO groß unterscheidet. Ich sage das wahrlich nicht oft, aber Gott sei Dank bin ich katholisch.