Wegen Lauterbach-Nachfolgerin bin ich enttäuscht - dann rufe ich CDU-Mann an
Man kann es sich nicht ausdenken – aber in Deutschland wird es Realität: Die Polizei Hamburg schafft beim Eignungstest das Diktat ab. Der Grund: Über 60 Prozent der Bewerber scheiterten zuletzt am Diktat. Zu schwer. Zu belastend.
Die Sprachkompetenz wird nun anders überprüft, damit weniger Bewerber scheitern. Der Vorgang ist bezeichnend für die schwindende Leistungskultur in unserem Land. Was beim Testverfahren nicht geändert wird? Die penible Prüfung, ob Bewerber ein Intimpiercing tragen. Willkommen im deutschen Dasein 2025 – wo Orthografie zweitrangig ist, solange die Hose ordentlich sitzt.
Die Polizei Hamburg nennt es „Modernisierung“
Was nach einer Karikatur klingt, ist amtliche Praxis. Die Polizei Hamburg nennt es „Modernisierung“. Ich nenne es ein weiteres Symptom für eine Gesellschaft, die sich zunehmend von Leistung verabschiedet und sich stattdessen in der Komfortzone des Zeitgeists einrichtet. Was fatal ist.
Doch es geht auch anders. Zum Glück. Vor vier Wochen moderierte ich den Unternehmertag 2024, auch in Hamburg – doch da war der Tenor glücklicherweise ein ganz anderer. Unternehmer Jochen Spethmann, einer der klarsichtigsten Köpfe des Landes, sprach deutlich aus, was der Gesellschaft fehlt: „Wir reden ständig vom Leistungsdruck, aber viel zu selten vom Leistungsglück.“ Genau das ist der Punkt.
Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir das Leistungsglück betonen. Welch wunderschöne, richtige, wichtige Wortkreation. Denn ja, Leistung mag anstrengend sein. Sie verlangt etwas von uns: Konzentration, Disziplin, Anspruch an sich selbst. Aber sie schenkt auch etwas zurück – Selbstwirksamkeit, Aufstiegschancen, das Gefühl, gebraucht zu werden. Das glorreiche Gefühl, einen Erfolg für sich zu verbuchen.
Kennen Sie den Ausdruck „Wer schreibt, der bleibt“? Auch von dieser alten Weisheit bin ich überzeugt. Aber wer keine Sätze mehr fehlerfrei zu Papier bringen kann, bleibt bald außen vor.
Wir verwechseln Wohlfühlen mit Weiterkommen
Wie konnte es so weit kommen, dass Äußerlichkeiten wichtiger geworden sind als Inhalte? Dass das Beherrschen der Kommasetzung weniger zählt als die korrekte Wahl der Pronomen? Dass Tattoos und Piercings minutiös registriert werden, aber niemand mehr nach der Fähigkeit fragt, einen Sachverhalt klar und sauber zu formulieren?
Die Antwort liegt im Zeitgeist: Wir verwechseln Wohlfühlen mit Weiterkommen, Gleichheit mit Gleichgültigkeit und Schutz vor Anstrengung mit Fortschritt.
Das Diktat? Weg.
Das Gendersternchen? Pflicht.
Das Denken? Optional.
Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Leser: Sprache verändert sich, Gesellschaften auch. Aber wenn wir anfangen, Leistung als Zumutung zu begreifen statt als Chance, dann berauben wir uns selbst – und unsere Kinder – der vielleicht wichtigsten Erfahrung überhaupt: die, dass Anstrengung sich lohnt.
Das Diktat ist kein Relikt
Was wir brauchen, ist nicht weniger Anspruch, sondern mehr Zutrauen. Nicht weniger Tests, sondern mehr Wettbewerb. Nicht weichgespülte Kriterien, sondern ehrliche Maßstäbe.
Denn ein Staat, der nicht mehr weiß, was er von seinen Beamten erwartet, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann niemand mehr weiß, was er von diesem Staat erwarten kann. Das Diktat ist kein Relikt. Es ist ein Werkzeug. Wer es abschafft, kapituliert – nicht nur sprachlich, sondern auch geistig.
Deshalb plädiere ich für ein Comeback der Klarheit, der Haltung, der Leistung, der Disziplin. Und ja: auch des Diktats bei der Polizei.
Für mich steht fest: Deutschland wurde nicht mit Feelgood-Workshops gebaut, sondern mit Fleiß. Nicht mit Triggerwarnungen, sondern mit Zielstrebigkeit. Und ganz sicher nicht mit weichgespülten Auswahlverfahren, bei denen man mehr über Körperöffnungen weiß als über die deutsche Grammatik.
Je schlechter die Bewerber, desto niedriger die Hürde?
Wir sollten aufpassen, dass wir nicht alles abschaffen, was uns stark gemacht hat. Sonst finden wir uns eines Morgens in einem Land wieder, das zwar alles korrekt durchgendern kann, aber keinen mehr hat, der einen klaren Satz zu Papier bringen kann.
Und es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei die Leistungsanforderungen aufgrund mangelnder Leistung der Bewerber schmälert – leider. Früher scheiterten viele Bewerber an den Aufnahmetests der Polizei wegen mangelnder Sportlichkeit. Um das Problem zu beseitigen, wurde der Fitnesstest etwa in NRW weitgehend abgeschafft.
Doch das kann nicht die Lösung sein: Je schlechter die Bewerber, desto niedriger die Hürde? Stattdessen brauchen wir in Deutschland schnellstmöglich ein Umdenken – hin zur Leistung, hin zum Fleiß, hin zum Ehrgeiz!
Das Diktat ist nur die Spitze des Eisbergs
Denn das Diktat ist nur die Spitze des Eisbergs. Überall werden die Leistungsansprüche heruntergeschraubt: Sitzenbleiben in der Schule? In vielen Bundesländern auf dem Rückzug – nicht, weil die Schüler besser geworden sind, sondern weil man ihnen die Wahrheit nicht mehr zumuten will.
Die Bundesjugendspiele? Sind vielerorts längst zur Kuschelveranstaltung mutiert. Urkunden gibt’s zwar noch, aber der Leistungsanspruch wurde deutlich heruntergeschraubt. Beispiel Weitsprung: Es wird nicht mehr, wie zu meiner Schulzeit, gemessen, wie weit ein Kind springt, sondern bloß noch, in welche vorgegebene Zone.
Amerika setzt dem Ganzen die Krone auf: In den USA wird debattiert, ob Mathematik eigentlich diskriminierend ist. Der Grund: Mathe beruht zu sehr auf richtig und falsch. Kein Scherz. Klarheit wird verdächtigt, Verwirrung gilt als Vielfalt.
Wo der Ehrgeiz endet, beginnt der Verfall
Ich bin ehrlich zu Ihnen: Ich sehne mich nach der Rückkehr der Leistungskultur in unserem Land, nach den Werten meiner Kindheit. Wo Ehrgeiz als etwas Gutes angesehen wird und Faulheit als eine schlechte Eigenschaft. Wo Menschen ins Büro gehen und nicht aufgrund ihres Haustieres aufs Homeoffice bestehen.
Dazu gehört eben auch die schnellstmögliche Rückkehr zur Disziplin. Das würde Deutschland guttun. Wir dürfen Leistung nicht länger zum Feind erklären. Denn wo der Ehrgeiz endet, beginnt der Verfall. Davon bin ich überzeugt.
Nun interessiert mich von Herzen, was Sie, liebe Leserinnen und Leser, beim Lesen empfunden haben: Können Sie meine Position nachvollziehen? Sind Sie vielleicht sogar derselben Meinung oder widersprechen Sie heftig?
Seien Sie sich gewiss: Ich lese immer all Ihre Kommentare, Mails und Nachrichten.
Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche wieder.
Ihre Nena Brockhaus
Über die Kolumnistin
Nena Brockhaus, geboren 1992, ist Wirtschaftsjournalistin, Fernsehmoderatorin, politische Kommentatorin und fünffache SPIEGEL-Bestsellerautorin (Unfollow, Pretty Happy, Ich bin nicht grün, Alte Weise Männer, Mehr Geld als Verstand). Ihr aktuelles Buch MGAV stieg auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste ein. Nach Stationen bei Handelsblatt, Wirtschaftswoche und Bunte moderierte sie für BILD die tägliche Polit-Talkshow Viertel nach Acht. Seit 2024 kommentiert Brockhaus für WELT TV wöchentlich die deutsche Innenpolitik. Mit ihrer Kolumne „Nena und die andere Meinung“ für FOCUS online möchte sie zu einem differenzierten Meinungsbild in unserer Gesellschaft beitragen – gerne auch mit unpopulären Thesen und der Erweiterung des Sagbaren.