Oberstes Gericht Israels kippt Netanjahus Justizreform

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Oberstes Gericht Israels kippt Netanjahus Justizreform

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Die Grundgesetzänderung hatte dem Obersten Gericht die Möglichkeit genommen, gegen „unangemessene“ Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen.

Tel Aviv – In einer dramatischen Entscheidung haben die Richter am Obersten Gerichtshof in Israel ein Kernelement der umstrittenen Justizreform gekippt, die die rechtsreligiöse Regierung von Benjamin Netanjahu seit einem Jahr trotz massiver Proteste vorangetrieben hatte.

Wie das Gericht mitteilte, stimmten acht von 15 Richtern gegen eine im Juli vom Parlament verabschiedete Gesetzesänderung zur sogenannten Angemessenheitsklausel. Die Änderung der Klausel sollte dem Obersten Gericht die Möglichkeit nehmen, Entscheidungen der Regierung als „unangemessen“ einzustufen und diese außer Kraft zu setzen.

Gericht sieht „Schaden für Israel“

Das Gericht erklärte, die Klausel sei gekippt worden „wegen des schweren und beispiellosen Schadens für die grundlegenden Charakteristika des Staates Israel als ein demokratischer Staat“.

Benjamin Netanjahu (3.v.l), Premierminister von Israel, leitet eine Kabinettssitzung in der Kirya, dem Sitz des israelischen Verteidigungsministeriums.
Benjamin Netanjahu (3.v.l), Premierminister von Israel, leitet eine Kabinettssitzung in der Kirya, dem Sitz des israelischen Verteidigungsministeriums. © Ohad Zwigenberg/dpa

Das Parlament hatte das Gesetz zur Einschränkung der Justizbefugnisse im Juli trotz anhaltender Proteste mit knapper Mehrheit verabschiedet. Netanjahus Regierung, eine Koalition aus seiner Likud-Partei und rechtsextremen und ultraorthodoxen Parteien, erachtet die Gesetzesänderungen für notwendig, um die Machtverhältnisse bei der Gewaltenteilung neu zu regeln.

Israel tief gespalten

Die Pläne der rechtsreligiösen Regierung zum Umbau der Justiz haben das Land tief gespalten. Seit der Vorlage der Justizreform vor einem Jahr hatten Woche für Woche zehntausende Menschen dagegen demonstriert. Die Massenproteste endeten erst mit dem beispiellosen Überfall der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober.

Die Kläger gegen das Gesetz zur Einschränkung der sogenannten Angemessenheitsklausel hatten argumentiert, es schwäche die Justiz als Pfeiler der israelischen Demokratie. Sie befürchten, eine Entmachtung der Justiz könnte einem autoritären Staat den Weg ebnen.

Israels Justizminister und Parlamentspräsident kritisieren Entscheidung

Israels Justizminister Jariv Levin warf dem Gericht nach der Urteilsverkündung vor, „die ganze Macht für sich in Anspruch zu nehmen“. Mit ihrer Entscheidung nähmen „die Richter die ganze Macht in ihre Hände, die in einem demokratischen System auf ausgewogene Weise aufgeteilt ist zwischen den drei Gewalten“ Exekutive, Legislative und Judikative, erklärte der Minister im Onlinedienst Telegram.

Levin, der Architekt der Justizreform, erklärte, das Urteil „beraubt Millionen Bürger ihrer Stimme“. Er kritisierte zudem die Veröffentlichung des Urteils „mitten im Israel-Krieg“. Dies schade der „notwendigen Geschlossenheit in diesen Tagen für den Erfolg unserer Kämpfer an der Front“.

Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana hat dem Obersten Gericht des Landes die Autorität abgesprochen, Grundgesetze für nichtig zu erklären. Dies sei „offensichtlich“, sagt Ochana nach Medienberichte zu einem Urteil des Obersten Gerichts gegen die umstrittene Justizreform im Land. „Noch offensichtlicher ist es, dass wir uns damit nicht befassen können, solange der Krieg auf seinem Höhepunkt ist“, sagte Ochana demnach.

Oppositionsführer gibt Urteil „volle Rückendeckung“

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid hat seine Unterstützung für das Oberste Gericht ausgedrückt, nachdem dieses ein Kernelement der umstrittenen Justizreform gekippt hatte. „Die Entscheidung des Obersten Gerichts kommt am Ende eines harten Jahres des Streits, der uns von innen zerrissen und zur schlimmsten Katastrophe unserer Geschichte geführt hat“, schrieb Lapid am Montag auf der Plattform X, vormals Twitter. Das Gericht habe treu seinen Auftrag erfüllt, die Bürger Israels zu schützen. „Wir geben dem Obersten Gericht volle Rückendeckung.“

Lapid von der Zukunftspartei der Mitte mahnte: „Wenn die israelische Regierung den Streit über das Oberste Gericht wieder anfängt, bedeutet dies, dass sie nichts gelernt haben. Dass sie nichts vom 7. Oktober gelernt haben und von 87 Tagen des Kampfes um unser Heim.“ (sot mit afp/dpa)

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