Kokain auf Ostkurs: Was hinter Deutschlands aufbäumender Konsumwelle steckt

Erstmals seit Erscheinen der Netflix-Dokumentation über den Rapper Haftbefehl hat der Musiker am vergangenen Wochenende wieder Konzerte gegeben. Haftbefehl, mit bürgerlichem Namen Aykut Anhan, hatte in der Doku "Babo – Die Haftbefehl-Story" unter anderem seinen schweren Kokain-Missbrauch thematisiert und offen seinen damit einhergehenden körperlichen Verfall gezeigt

Am deutlichsten wurde dieser an Anhans Nase, die infolge des nasalen Kokain-Konsums in sich zusammengefallen war – mutmaßlich ausgelöst durch eine Entzündung der Nasenschleimhaut. Offenbar um diese zu verbergen, vermummte er sich bei seinen Konzerten in Osnabrück und Gießen Mitte November mit einem Schal. Seinem Publikum rief der Rapper zu: "Ihr habt bestimmt alle meine Doku gesehen. Ich wollte euch noch sagen, ich bin clean. Und ich hoffe, ihr bleibt es auch. Scheiß auf Drogen!"

Soziologin erklärt, wer in Deutschland Kokain konsumiert

Kokain ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Europa. Laut dem Europäischen Drogenbericht 2025 nehmen 4,6 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren diese Substanz.

Tatsächlich hat sich Kokain zur Gesellschaftsdroge entwickelt, sagt Soziologin Heike Zurhold vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf im Gespräch mit FOCUS online. "Kokain ist überall verbreitet und man kann nicht sagen, dass bestimmte Schichten mehr davon betroffen sind als andere."

Es gebe kein typisches Konsumenten-Profil, jedoch Tendenzen, was Alter und Geschlecht betrifft: So nehmen eher jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren Kokain, zumeist Männer. "Auch Personen mit Selbstwertproblemen sind betroffen. Sie konsumieren es, um ein besseres Selbstbewusstsein zu bekommen und Hemmungen zu verlieren", ergänzt Zurhold.

"Der Anteil von Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren, die schon einmal Kokain konsumiert haben, ist zwischen 2015 und 2021 von 0,6 auf 1,6 Prozent gestiegen", sagt die Doktorin und verweist auf den Epidemiologischen Suchtsurvey von 2021. "Der zeigt, dass Kokain weit verbreitet ist." 

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In Deutschland konsumieren immer mehr Menschen Kokain. European Union Drugs Agency

Kokain-Konsum steigt auch in Ostdeutschland

Wo in Deutschland am meisten Kokain konsumiert werde, lasse sich nicht zuverlässig sagen. Entsprechende Abwasseranalysen seien meist wenig aussagekräftig. "Diese werden nicht deutschlandweit gemacht, sondern nur in 16 Städten. Die Daten zeigen einen Anstieg von 2022 auf 2023 in München, Dresden und Saarbrücken. Daraus ergibt sich also nur ein kleines Bild", sagt die Soziologin, die auch an dem Präventionsprojekt "Kokainfo" mitarbeitet.

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Der Anteil der Erwachsenen in Deutschland zwischen 15 und 64 Jahren, die im vergangenen Jahr Kokain konsumiert haben, stieg von 0,6 auf 1,6 Prozent. European Union Drugs Agency

Jedoch sei zu beobachten, dass Kokain auch im Osten Deutschlands angekommen ist. "Dieser ist traditionell wegen der Nähe zu Tschechien eigentlich Amphetamin-nah", sagt Zurhold. 

Bei Amphetaminen handelt es sich um synthetisch hergestellte Substanzen. Die bekanntesten Amphetamine sind Ecstasy (MDMA) und Crystal Meth. Tschechien produziert jedes Jahr rund zehn Tonnen Crystal Meth, rund die Hälfte davon gelangt nach Schätzungen der tschechischen Behörden nach Sachsen, Thüringen und Bayern.

Gleichwohl Crystal Meth weiter die am meisten konsumierte Droge in Ostdeutschland ist, steigt der Konsum auch von Kokain. Das zeigen Abwasseranalysen der Drogenagentur der Europäischen Union: 

  • Während in Magdeburg 2017 noch 136,3 Milligramm Kokain-Rückstände pro 1000 Personen am Tag nachgewiesen wurden, waren es 2024 rund 226 Milligramm.
  • In Erfurt stieg die Kokain-Last im selben Zeitraum von 48,6 auf rund 119 Milligramm.
  • In Dresden verfünffachte sich die Kokain-Last im Wasser im selben Zeitraum knapp von 20,9 auf 101,9 Milligramm.
  • In Chemnitz steigerten sich die Kokain-Rückstände von 20,3 auf rund 57,5 Milligramm. 

Generell sei der Anteil der Konsumenten und die Verfügbarkeit der Droge in Großstädten höher als auf dem Land, betonte Zurhold.

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Die Menge an Kokain-Rückständen im Abwasser pro 1000 Personen in Milligramm, die pro Tag im Abwasser in bestimmten Städten Deutschlands nachgewiesen wird. European Union Drugs Agency

Durch Kokain-Schwemme gelangt qualitatives und günstiges Kokain nach Europa

Dass Kokain mittlerweile besonders verfügbar ist, liege am zunehmenden Import aus Herkunftsändern wie Peru und Kolumbien.

"Es hat auch einen höheren Reinheitsgehalt als früher, ein Gramm kostet zwischen 70 und 90 Euro – das können sich viele Leute leisten." Der Grund dafür sei die Kokain-Schwemme in den Herkunftsländern. "Dort ist es stark verfügbar und es gibt keinen Grund, das Kokain zu strecken", erklärt Zurhold. "Die Qualität ist hoch. Es kommt so viel reines Kokain nach Europa, meistens über Rotterdam, Antwerpen und Hamburg."

Gründe für die große Verfügbarkeit sind dem Global Report on Cocaine 2023 der Vereinten Nationen zufolge unter anderem die Verbesserungen und Innovationen bei der Kultivierung des Cocastrauchs, aus dem Kokain gewonnen wird. So hat sich in Kolumbien die Anbaufläche für den Cocastrauch zwischen 2018 und 2023 um zwei Drittel auf 253.000 Hektar vergrößert. Außerdem haben sich in den vergangenen Jahren West- und Zentralafrika als neue Drehscheiben für den Kokain-Handel herauskristallisiert. 

323 Tonnen Kokain wurden in der EU 2022 sichergestellt

323 Tonnen Kokain waren laut dem Europäischen Drogenbericht 2025 in den EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2022 sichergestellt worden – am häufigsten in Belgien, den Niederlanden und Spanien. Allein in Antwerpen entdeckten die Behörden 116 Tonnen geschmuggeltes Kokain.

Wie aus dem Bericht hervorgeht, ist der Handel mit illegalen Drogen dynamisch und passt sich schnell an geopolitische Entwicklungen sowie die Veränderungen von kommerziellen Handelsrouten an. 

Da die europäischen Länder, in denen sich die Hauptumschlaghäfen befinden, verstärkte Maßnahmen gegen den Kokain-Handel ergriffen haben, peilen die Schmuggler nun kleinere Häfen in anderen EU-Staaten und deren Nachbarländern an. Dazu gehören mitunter Schweden und Norwegen, wo 2023 in den Seehäfen Rekordmengen an Kokain sichergestellt wurden. 

"Zusammengenommen könnten diese Entwicklungen die Tatsache erklären, dass die Reinheit des Kokains auf Endkundenebene trotz der hohen Sicherstellungsmengen im historischen Vergleich nach wie vor hoch und der Preis stabil ist", heißt es im Bericht.

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Aus der Grafik geht hervor, welche Drogen im Laufe der Jahre in der EU beschlagnahmt wurden. European Union Drugs Agency

Weitere Daten der Drogenagentur der Europäischen Union zeigen, dass sich die Straßen- und Großhandelspreise für Kokain seit Jahren auf demselben Niveau bewegen. Demgegenüber haben sich die Reinheitsgrade seit 2012 fast verzweifacht.

Wie aus dem Drogenbericht hervorgeht, liegt die Reinheit des Kokains, das letztlich beim Kunden ankommt, in Europa zwischen 52 und 83 Prozent (Stand 2022). Die Hälfte der europäischen Länder wies eine durchschnittliche Reinheit zwischen 64 und 76 Prozent auf.

Forscherin: Einen risikolosen Kokain-Konsum gibt es nicht

Und obwohl die Reinheit und der Preis für Konsumenten verlockend klingend mögen, birgt dieser Umstand große Gefahren. "Kokain hat ein hohes Suchtpotenzial, weil es kurzfristig wirkt. Die Wirkdauer beträgt etwa 30 bis 60 Minuten, hat einen euphorisierenden Effekt, macht wach und energetisch", erklärt Zurhold. "Wegen der kurzen Wirkdauer legen die Menschen schnell nach."

Einen risikolosen Konsum gebe es nicht – weder bei Kokain noch bei anderen Drogen. Legen Konsumenten zu kleine Pausen ein, gewöhne sich der Körper schnell an das Kokain. Die Dosis müsse immer weiter erhöht werden, um denselben Effekt zu erreichen. 

Für den Körper ist der Kokain-Konsum purer Stress. So verengt die Droge die Blutgefäße, was das Risiko für Krampfanfälle, Herzinfarkt und Schlaganfall erhöht. Auch die Psyche leidet. Nach dem Konsum fühlen sich viele Menschen niedergeschlagen, müde und antriebslos. Kokain kann auch aggressiv machen, vor allem Männer, ebenso zu Angstzuständen, Panikattacken und paranoiden Wahnvorstellungen führen.

Was Kokain von anderen Drogen unterscheidet

"Das Besondere an Kokain ist, dass es primär psychisch abhängig macht", erklärt Zurhold im Unterschied zu Alkohol und Heroin, die eher körperliche Abhängigkeit hervorrufen. Dadurch unterscheide sich die Kokain-Entwöhnung von allen anderen Entzügen.

 "Die körperlichen Symptome sind nicht so schlimm, es sind viel mehr die psychischen Symptome wie Psychosen, Schlafstörungen und Depressivität als Entzugsbegleiterscheinungen, die herausfordern", sagt die Soziologin.

Grundsätzlich könne aber jede Drogenabhängigkeit überwunden werden – egal, ob eine Person ein paar Monate oder wie im Falle des Rappers Haftbefehl rund 25 Jahre süchtig war. Das treffe auf alle Arten von Drogen zu, auch Kokain. 

Jüngere Menschen haben eher das Gefühl, dass Konsum aus dem Ruder läuft

"Der Hauptpunkt ist, sich einzugestehen: 'Ich habe ein Problem mit Kokain'", sagt Zurhold. "Menschen brauchen lange, um das zu realisieren und dagegen etwas zu unternehmen." Hilfe bei der Einschätzung bietet zum Beispiel ein Selbsttest auf der Seite kokainfo.de.

Tendenziell hätten jüngere Kokain-Konsumenten schneller das Gefühl, dass der Konsum aus dem Ruder laufe und sie eine Behandlung in Anspruch nehmen sollten. Häufig seien die genannten psychischen Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen und Depressivität klare Indikatoren für professionelle Hilfe – zum Beispiel in Entzugskliniken, wo die Abhängigkeit auch medikamentös therapiert werden kann. 

So finden Sie Hilfe bei Drogensucht

Wenn Sie selbst mit Drogenmissbrauch kämpfen oder jemanden kennen, der das tut, können Sie sich an verschiedene Suchtberatungsstellen wenden.

  • Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen betreibt ein Online-Suchthilfeverzeichnis, über das Sie Beratungsstellen in der Nähe Ihres Wohnorts finden können. Auf der Seite finden Sie auch weitere Informationen und Anlaufstellen.
  • Das Bundesministeriums für Gesundheit informiert bei "gesund.bund.de" über illegale Drogen, sowie Abhängigkeit und Hilfsangebote.
  • Die Caritas bietet eine Online-Suchberatung an, bei der Sie ihre Fragen anonym stellen können.

Bei akuten Krisen können sie folgende Anlaufstellen kontaktieren

  • Bundesweite Sucht- und Drogen Hotline
    01805 313031
    täglich von 0 bis 24 Uhr
  • Info-Telefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
    0221 892031
    Mo. bis Do. von 10–22 Uhr
    Fr. bis So. von 10 bis 18 Uhr
  • Telefonseelsorge
    0800 1110111
    0800 1110222
    täglich von 0 bis 24 Uhr