Nach Tod der Kessler-Zwillinge - was Sterbewunsch mit Angehörigen macht

Der assistierte Suizid ist in Deutschland seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 grundsätzlich straffrei. Der frühere Paragraph 217 StGB, der die "geschäftsmäßige" Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte, wurde als verfassungswidrig aufgehoben. Bis heute, im November 2025, existiert jedoch keine neue gesetzliche Regelung. Damit bleibt der assistierte Suizid zwar erlaubt, bewegt sich aber weiterhin in einer juristisch sensiblen Grauzone. Die aktive Sterbehilfe, bei der eine andere Person die tödliche Handlung ausführt, bleibt hingegen verboten.

Öffentlich diskutiert wurde das Thema zuletzt verstärkt durch prominente Fälle wie die Entscheidung der ehemaligen Schauspielerinnen Alice und Ellen Kessler, die im hohen Alter gemeinsam aus dem Leben schieden. Ihr Schritt verdeutlicht, wie sehr Fragen nach Autonomie, Würde und Leiden das Lebensende prägen können, und wie tief solche Entscheidungen das persönliche Umfeld berühren.

Bei Gedanken an assistierten Suizid Angehörige möglichst früh einbeziehen

Wer in Deutschland einen assistierten Suizid erwägt, muss sich umfassend beraten lassen. Vorgesehen sind mindestens zwei unabhängige Gespräche, in denen Alternativen geprüft werden, etwa spezialisierte Schmerztherapie, palliativmedizinische Versorgung, palliativpflegerische Angebote oder psychotherapeutische Unterstützung. Mögliche psychische Erkrankungen müssen fachärztlich abgeklärt werden.

Rechtlich empfiehlt es sich, den eigenen Willen notariell oder ärztlich dokumentieren zu lassen. Angehörige sollten möglichst früh einbezogen werden, auch wenn sie kein Mitentscheidungsrecht besitzen.

In der Realität äußern die meisten Menschen ihren Sterbewunsch zunächst indirekt. Häufig steht der Wunsch nach Linderung belastender Symptome im Vordergrund: starke Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Ängste, Unruhe, Delirzustände, Juckreiz, Appetitlosigkeit oder ein verändertes Durstempfinden. Eine fachkundige palliative Versorgung kann viele dieser Beschwerden gut behandeln, und nicht selten reduziert dies den Sterbewunsch.

Bei schwerwiegenden Erkrankungen wie ALS kommt es hingegen häufiger vor, dass Betroffene aktiv den kontrollierten Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen wie einer Beatmung wünschen. Solche Schritte erfolgen in spezialisierten Zentren unter engmaschiger medizinischer und pflegerischer Begleitung.

Sterbewunsch meist enorme seelische Belastung für Angehörige

Für Angehörige bedeutet ein geäußerter Sterbewunsch meist eine enorme seelische Belastung. Oft entsteht ein Gemisch aus Trauer, Angst, Hilflosigkeit und Schuldgefühlen. Viele kämpfen innerlich zwischen dem Wunsch, die Selbstbestimmung des geliebten Menschen zu respektieren, und der Verzweiflung über den möglichen Verlust. Diese Ambivalenz ist normal, und sie darf ausgesprochen werden.

Um mit der Situation umgehen zu können, ist es hilfreich, die Perspektive des Betroffenen zu verstehen. Ein Sterbewunsch entsteht meist nicht plötzlich. Häufig liegt ein langer Prozess dahinter, geprägt von körperlichem Leiden, dem Verlust von Autonomie, Scham über zunehmende Abhängigkeit, Ängsten oder Ekel gegenüber der eigenen Körperlichkeit. Bei manchen Erkrankungen können große, offene Tumorwunden mit Geruchsbelastung ebenso eine Rolle spielen wie das subjektive Empfinden wachsender Schwäche oder der Verlust früherer Fähigkeiten.

All dies kann das Gefühl auslösen, die eigene Würde zu verlieren. Ein solcher Sterbewunsch entspricht nicht automatisch einer akuten Suizidalität, sondern kann Ausdruck eines tiefen Bedürfnisses nach Kontrolle und Würde sein.

Unterstützung für Angehörige

Angehörige benötigen in dieser Phase oft selbst psychologische Unterstützung. Gespräche mit Fachpersonen helfen, überwältigende Gefühle zu ordnen, Schuldgefühle zu relativieren und Konflikte im Familienkreis konstruktiv anzugehen. Trauerbegleitung schon vor dem Tod, sogenannte "präventive Trauerarbeit", kann entlasten, indem sie eine emotionale Vorbereitung auf den Abschied ermöglicht. Ebenso wichtig ist Selbstfürsorge: Entlastung in der Pflege, Auszeiten und das Bewusstsein, dass man die Entscheidung des anderen nicht kontrollieren kann.

Nach einem assistierten Suizid sind Angehörige in besonderer Weise gefährdet, eine „komplizierte Trauer“ zu entwickeln. Viele fragen sich, ob sie zu viel zugestimmt oder zu wenig widersprochen haben. Manche erleben Stigmatisierung von außen. Professionelle Trauerbegleitung kann helfen, Schuldgefühle zu verarbeiten, Grenzen zu akzeptieren und den Verlust in das eigene Leben zu integrieren. Rituale, offene Gespräche und der Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen können ebenfalls stabilisieren.

Hilfe für Hinterbliebene nach einem Suizid

An die Telefon-Seelsorge können sich Menschen wenden, die selbst Suizidgedanken haben, aber auch Angehörige: 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222.

Der Verein "AGUS – Angehörige um Suizid" bietet in Selbsthilfegruppen die Möglichkeit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.

Zuhören, ohne zu drängen oder zu urteilen

Entscheidend ist eine offene, wertfreie Kommunikation. Angehörige sollten versuchen zuzuhören, ohne zu drängen oder zu urteilen. Einfühlsame Fragen, etwa nach Ängsten, Bedürfnissen oder den größten Belastungen, können helfen, die Beweggründe des Betroffenen zu verstehen. Gleichzeitig dürfen Angehörige ihre eigenen Gefühle aussprechen, ohne Vorwürfe zu formulieren. So kann trotz unterschiedlicher Sichtweisen eine tragfähige Nähe entstehen.

Professionelle Unterstützung sollte immer dann gesucht werden, wenn der Sterbewunsch plötzlich geäußert wird, wenn psychische Erkrankungen eine Rolle spielen, wenn die Situation zu eskalierenden Konflikten führt oder wenn die emotionale Belastung für einzelne Angehörige zu groß wird. Palliativmedizinerinnen und -mediziner, Fachpflegepersonal für Palliative Care, Hospizdienste, Krisenberatungsstellen und Psychotherapeutinnen bieten hier wichtige Hilfen.

Der Umgang mit dem Sterbewunsch eines nahestehenden Menschen ist eine der schwierigsten Erfahrungen, die Familien machen können. Doch mit Offenheit, fachlicher Unterstützung und respektvollem Dialog lässt sich ein Weg finden, der sowohl die Selbstbestimmung des Betroffenen als auch die seelische Stabilität der Angehörigen berücksichtigt.

Lassen Sie uns vermehrt in der Gesellschaft über das Sterben und den Tod sprechen, damit das Leben gelingt.

Yvonne Falckner ist Krankenschwester, Trauerbegleiterin und Pflegeexpertin. Mit Projekten wie „Care Slam“ macht sie Pflege sichtbar und engagiert sich heute im Aufbau eines interdisziplinären Schmerzzentrums. Sie ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.