Illegale Drogen sind längst kein Randphänomen mehr – sie greifen tief in alle gesellschaftlichen Schichten und fordern jährlich hunderttausende Leben. Allein in Deutschland starben im Jahr 2024 über 2000 Menschen an den Folgen von illegalem Drogenkonsum. Mehr als 80 Prozent davon waren Männer, das Durchschnittsalter lag bei 41 Jahren.
Einer, der dieser Statistik nur knapp entkommen ist, ist der deutsche Rapper Haftbefehl – bürgerlich Aykut Anhan. Seit seiner frühen Jugend konsumiert der heute 39-jährige Musiker Kokain. Die neue Netflix-Dokumentation "Babo – Die Haftbefehl-Story" zeigt auf schonungslos ehrliche Weise, wie die Droge ihn ausgehend von einer Plattenbausiedlung in Offenbach über die Bühnen der Welt begleitete. Sie dokumentiert eine körperliche und seelische Zerstörung, die ihn fast das Leben kostete – und ihn nun für immer begleiten wird.
Denn Kokain greift massiv in das zentrale Nervensystem ein, überlastet das Herz-Kreislauf-System, treibt unter anderem Nieren, Leber und Psyche an ihre Grenzen. Der Körper zersetzt sich innerlich wie äußerlich regelrecht selbst. Ein Verfall, aus dem Anhan keinen Hehl macht.
Wach, konzentriert, glücklich – Kokain verspricht zunächst Euphorie
Viele greifen zu Kokain, weil die Droge kurzfristig Energie, Selbstbewusstsein und Wachheit verspricht. Unabhängig von der Konsumform – über die Nase als Pulver, geraucht als Crack, intravenös oder seltener oral – wirkt Kokain direkt auf das zentrale Nervensystem. Es blockiert die Wiederaufnahme drei entscheidender Botenstoffe:
- Dopamin, auch bekannt als "Belohnungshormon", sorgt vereinfacht für Motivation und Freude.
- Noradrenalin steigert in Stresssituationen die Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft.
- Serotonin, auch als "Glückshormon" bekannt, sorgt für Wohlbefinden, Schlaf und Stimmung.
Dadurch, dass sie nicht abgebaut werden, überfluten sie regelrecht die Belohnungs- und Erregungszentren im Gehirn. Das sorgt für
- intensive Euphorie
- gesteigertes Selbstbewusstsein, einhergehend mit sozialer und sexueller Enthemmung,
- erhöhte Wachheit
- gesteigerte Libido
- vorübergehende gesteigerte Aufmerksamkeit und Leistung
In dieser sogenannten "Euphorie-Phase" sprechen Konsumenten außerdem oft schnell und haben erweiterte Pupillen. Kurz nach dem High geht es jedoch steil bergab.
- Nach etwa 60 Minuten bei geschnupftem Kokain beginnt die "Rausch-Phase". Es folgen Angst, Anspannung, teilweise Halluzinationen und Paranoia.
- Die "Abklingphase" beginnt mit Ende der Rauschphase. Konsumenten sind niedergeschlagen, antriebslos, müde und erschöpft. Die Folgen können bis zu schweren Depressionen und Suizidgedanken reichen. Je intensiver konsumiert, also "nachgelegt" wurde, desto heftiger sind die Folgen.
So finden Sie Hilfe bei Drogensucht
Wenn Sie selbst mit Drogenmissbrauch kämpfen oder jemanden kennen, der das tut, können Sie sich an verschiedene Suchtberatungsstellen wenden.
- Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen betreibt ein Online-Suchthilfeverzeichnis, über das Sie Beratungsstellen in der Nähe Ihres Wohnorts finden können. Auf der Seite finden Sie auch weitere Informationen und Anlaufstellen.
- Das Bundesministeriums für Gesundheit informiert bei "gesund.bund.de" über illegale Drogen, sowie Abhängigkeit und Hilfsangebote.
- Die Caritas bietet eine Online-Suchberatung an, bei der Sie ihre Fragen anonym stellen können.
Bei akuten Krisen können sie folgende Anlaufstellen kontaktieren
- Bundesweite Sucht- und Drogen Hotline
01805 313031
täglich von 0 bis 24 Uhr - Info-Telefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
0221 892031
Mo. bis Do. von 10–22 Uhr
Fr. bis So. von 10 bis 18 Uhr - Telefonseelsorge
0800 1110111
0800 1110222
täglich von 0 bis 24 Uhr
Die "perfekte Herzinfarkt-Droge"
Kokain wirkt systemisch, das heißt es wirkt sich auf den gesamten Körper und somit auch das Herz-Kreislauf-System aus. Neben der für den Rausch verursachenden Wirkung blockiert es beispielsweise die Natrium- und Kaliumkanäle im Herzgewebe, die unter anderem den Herzrhytmus steuern. Nach dem Konsum verengen sich außerdem die Blutgefäße, was zu massivem Blutdruck- und Pulsanstieg führt.
Untersuchungen zeigen, dass die Droge so schon bei einmaligem Konsum das Risiko für eine ganze Palette an akuten Herz-Kreislauf-Problemen erhöhen kann, zum Beispiel:
- Herzrhythmusstörungen
- Herzinfarkt – Konsumenten haben ein siebenfach erhöhtes Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden. Am höchsten ist es in den 24 Stunden nach dem Konsum.
- Lähmung des Atemzentrums und damit einhergehend ein Atemkreislaufversagen
- Infektionen des Herzgewebes, auch Endokarditis genannt
- Aortendissektion – ein lebensbedrohlicher Riss in der inneren Schicht der Hauptschlagader. Blut kann zwischen die Wandschichten eindringen und diese aufspalten. In Folge können sich Herzinfarkt, Schlaganfall, Lähmung oder Minderdurchblutungen innerer Organe ereignen.
- Bei einem sogenannten "Kokainschock" kann es zu einer paradoxen Reaktion kommen, bei der sich die Gefäße nicht verengen sondern erweitern. Der Blutdruck fällt rapide ab, der Kreislauf "bricht zusammen"
Das Risiko erhöht sich in Kombination mit Alkohol-, Nikotin-, und anderweitigem Drogenkonsum.
Bei regelmäßigem Kokaingebrauch kann sich das Herz auch strukturell verändern. Die Folge können beispielsweise
- Herzklappenerkrankungen
- Herzschwäche
- Arterienverkalkung (Atherosklerose) und verkalkte Herzkranzgefäße (koronare Herzkrankheit)
- und krankhaft erweiterte Blutgefäße
sein. Diese Veränderungen erhöhen auch das Risiko für potenziell tödliche Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. In Fachkreisen wird Kokain daher häufig als "perfekte Herzinfarkt-Droge" bezeichnet.
Kokain zerstört das Gehirngewebe
Auch im Kopf greift die Droge an. Eine Analyse von insgesamt 36 Studien kam 2023 zu dem Schluss, dass das Risiko für Hirnblutungen und Schlaganfälle mit dem Konsum von Kokain bis um das Fünffache steigt. Auch das Risiko für Krampfanfälle ist erhöht.
Außerdem verändert sich die Hirnstruktur. Bei dem Vergleich des Hirngewebes von Kokain-Abhängigen und Nicht-Konsumenten zeigte sich, dass bei den Konsumenten Nervenzellen in bestimmten Hirnbereichen schwanden. Was sonst ein typisches Zeichen für Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson ist, weist auf ein erhöhtes "Gehirnalter" hin.
Langzeit-Kokain-Abhängige zeigen laut der Deutschen Hirnstiftung außerdem Einschränkungen
- bei der Gedächtnisleistung,
- Aufmerksamkeit
- und Reaktionszeit.
"Ironischerweise wird Kokain oft gerade von Menschen geschnupft, die ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern wollen", kommentiert Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.
"Drogen machen uns zu Zombies"
Kokain kann außerdem eine Reihe von psychischen Problemen begünstigen. Darunter
- sexuelle Funktionsstörungen bis hin zu Impotenz
- Schlafstörungen
- Depressionen
- innere Unruhe, Antriebs- und Konzentrationsstörungen
- Angst, Verwirrtheit
- Persönlichkeitsveränderungen, darunter antisoziales und narzisstisches Verhalten sowie aggressiv-reizbare Stimmung
- eine sogenannte "Kokainpsychose", mit paranoiden Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Diese können chronisch werden.
Die Droge macht außerdem stark abhängig – Betroffene brauchen zunehmend mehr davon, um ihr "High" zu erreichen. Das Ergebnis ist eine Teufelsspirale, in der die Bedeutung von Partnerschaft, Freundschaften, Hobbys oder Beruf immer weiter abnimmt. "Drogen machen uns zu Zombies, wir werden fremdgesteuert und verlieren uns als Mensch. Das eigene Sein wird der Droge untergeordnet", sagt Erbguth.
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Die Droge verändert Konsumenten auch äußerlich. Kokainkonsum geht oft mit Appetitminderung, Übelkeit, Bauchschmerzen und Verdauungsbeschwerden einher. Infolge verlieren Betroffene häufig viel Gewicht.
Wird Kokain regelmäßig über die Nase geschnupft, kommt noch ein kaum zu versteckendes Merkmal hinzu – die Chemikalie verätzt die Nasenschleimhaut regelrecht. In der Dokumentation sieht man Anhan zwischendurch mit starkem Nasenbluten auf der Bühne stehen. Andere Symptome sind eine ständig laufende Nase oder Entzündungen in den Nasennebenhöhlen. Langfristig können Konsumenten ihren Geruchs- und Geschmackssinn verlieren.
Chronischer Konsum kann zu einer dauerhaften Entzündung der Nasenschleimhaut führen. Dann kann das Gewebe in der Nasenscheidewand absterben, bis sich ein Loch bildet. In extremen Fällen fällt die Nase deutlich sichtbar in sich zusammen – wie bei Anhan.
Raus aus der Sucht: Wie eine Therapie helfen kann
Anhan kam schon im Jugendalter mit Drogen in Kontakt. Er blickt auf eine schwierige Kindheit zurück, mit 13 Jahren habe er angefangen, Kokain zu konsumieren. Mit steigender Bekanntheit sei es dann immer weiter eskaliert. "Je mehr Geld man hat, umso mehr kokst man", sagt er in der Dokumentation. Nach einem öffentlichen Zusammenbruch bei einem Konzert kam er 2022 in eine Klinik, aus der er sich jedoch schnell wieder selbst entließ. "Scheiß drauf. Ich hab meine Sachen genommen und bin abgehauen. Nacht-und-Nebel-Aktion", erinnert er sich.
Ein Jahr später sei er dann fast an einer Überdosis gestorben und musste von Ärzten wiederbelebt werden. "Ich war praktisch tot", sagt Anhan. Doch selbst das stoppte ihn nicht: "Dann bin ich raus und habe weitergemacht. Direkt weiter, zehn Gramm."
Auf die Frage, wie es ihm heute gehe, antwortet Anhan zum Ende Dreharbeiten: "Mir geht's gut, Brudi. Ich war in Therapie." Die Wende sei erst gekommen, als ihn sein Bruder in eine Klinik in Istanbul zwangseinweisen ließ. "Ich wäre gestorben, wenn ich da nicht hineingegangen wäre", ist sich Anhan heute sicher.