Auf Erneuerbare Energien ist kein Verlass: Nächstes EU-Land diskutiert über eine Renaissance der Atomkraft

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Der Ausbau Erneuerbarer Energien boomt in Italien. Dennoch ächzt die Industrie weiterhin unter hohen Strompreisen. Stimmen aus Politik und Wirtschaft fordern nun eine Rückkehr zur Atomkraft.

Rom – In Deutschland flammt die Debatte über eine Rückkehr zur Atomkraft immer mal wieder auf. Zuletzt plädierte CSU-Chef Markus Söder erneut für einen Weiterbetrieb bestehender Atommeiler. In erster Linie sind derartige Zwischenrufe als politische Störfeuer zu bewerten – gerade in Wahlkampfzeiten. Zudem sind sich die Mehrheit der Parteien im Bundestag über die erheblichen Kostennachteile der Kernenergie in Deutschland einig, darunter auch die Union. In Italien könnte die Atomkraft allerdings eine Renaissance erleben. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni befürwortet die Atomenergie – und richtete sich zuletzt entschieden gegen den Ausbau Erneuerbarer Energien.

Melonis Regierung prüft Nutzen von Atomkraft für Energiemix – zu Lasten der Erneuerbaren Energien?

Im Mai 2023 gab das italienische Parlament einem Antrag statt, der die Regierung von Meloni dazu aufforderte, die Kernenergie als Teil des nationalen Energiemixes zu prüfen. Gleichzeitig kritisierte ihr Energieminister Gilberto Pichetto Fratin die Unbeständigkeit der Erneuerbaren – und strich zudem Subventionen für Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen zusammen. Dabei hatte das Land in diesem Bereich ursprünglich große Ambitionen: 2021 investierte die italienische Energiewirtschaft rund 8,7 Milliarden Euro in Erneuerbare Energien – den Großteil davon in Anlagen und Maschinen. Italien hat Spanien mittlerweile als zweitgrößten Stromerzeuger aus Solarenergie in Europa abgelöst – hinter Deutschland.

Besonders der Süden des Landes bietet ideale Bedingungen für Solar- und Windenergie. Deswegen ist der größte Teil der Anlagen auch in südlichen Regionen wie Sardinien, Sizilien oder Apulien installiert, doch hier ist der Pro-Kopf-Verbrauch am niedrigsten. Die großen Industrien sitzen überwiegend im Norden.

Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni spricht über die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament
Die italienische Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni soll die Rückkehr zur Atomkraft als Teil des nationalen Energiemixes prüfen. © AFP

Diese Großbetriebe sorgen überwiegend dafür, dass Italien in Europa nach Deutschland, Frankreich und Großbritannien den höchsten Energieverbrauch hat. Die aktuelle Herausforderung besteht also darin, die Energiespeicherkapazitäten sowie Transporttrassen auszubauen. Punktuell ist dies bereits in Mittelitalien geschehen, speziell in der Region um Rom eröffneten 2024 einige Solarparks.

Russlands Krieg verteuert Energie in Italien – Industrie fordert offen Rückkehr zu Atomenergie

Für weitere sind allerdings zusätzliche Investitionen notwendig, die sich dann aber erst ab 2030 richtig lohnen könnten. Doch die Industrie ächzt aktuell unter hohen Energiepreisen – als Folge des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine. Rund 45 Prozent seines Bedarfs an Erdgas bezog Italien vor Kriegsbeginn von Russland. Die damalige Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi schloss daraufhin Gas-Abkommen mit nordafrikanischen Ländern wie Algerien und erweiterte seine LNG-Importkapazitäten. Die Flüssiggas-Lieferungen erfolgten überwiegend aus den USA und Katar – zu deutlich teureren Konditionen.

Emanuele Orsini, Chef des einflussreichen Industriellenverbands Confindustria, forderte unlängst eine Mischung der Energiequellen, darunter auch Kernenergie: „Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt von der Energie ab. Die Kosten sind in einigen Sektoren von zentraler Bedeutung.“

Erneuerbare Energien allein könnten den konstanten Strombedarf der Industrie nicht decken, da es Flauten bei Wind und Sonne gebe. Konstanz könnte dagegen nur Atomenergie garantieren. Derzeit importiert Italien gar Strom aus der Schweiz und Frankreich – beides Länder, die Atomreaktoren betreiben.

Kleine Mini-Kraftwerke als Lösung? Start-up-Szene für Atomkraft floriert in Europa – mit einem Haken

Die Ablehnung der Atomkraft hat in Italien allerdings Tradition. Nach den Katastrophen von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) stimmten jeweils 80 Prozent bzw. 90 Prozent der Italiener gegen den Bau neuer Kernkraftwerke. Aktuellere Umfragen weisen auf einen ähnlichen Trend hin. Dennoch ist derzeit das Start-up Newcleo ein Hoffnungsträger für italienische Atomkraft-Anhänger. Mit seiner Technologie setzt das Unternehmen auf kleine bleigekühlte Reaktoren, die als nuklearen Brennstoff Mischoxidbrennstoff verwenden. Laut Newcleo ist dieser Brennstoff häufiger wiederverwendbar und hinterlässt weniger langlebigen Atommüll – statt rund 250.000 Jahren nur etwa 250 Jahre.

Ein weiterer Vorteil von Newcleo: Die Kraftwerke basieren auf kleinen Reaktoren, sind flexibler, kostengünstiger und lassen sich dadurch leichter dezentralisieren. Mit ähnlich kleinen Kraftwerkstypen arbeitet etwa auch das Start-up Jimmy Energie aus Frankreich.

Diese sogenannten SMR (Small Modular Reactors) – zu Deutsch: Mini-Atomkraftwerke – lobte Fratin zuletzt überschwänglich und hob ihre potenzielle Sicherheit und dezentrale Versorgung hervor – im Gegensatz zu den Erneuerbaren Energien, schien er sagen zu wollen. Ein entscheidender Haken bleibt jedoch: Laut Fratin könnten erste Pilotprojekte mit diesen SMRs frühestens in zehn Jahren realisiert werden.

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