Verunglückter Präsident Irans: Herzliches Beileid zum Tode des Schlächters

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Heuchelei, Herzlichkeit oder hehre Pflicht? Die Beleidsbezeugungen von EU-Funktionären an das mörderische Regime im Iran sorgen in Europa für viel Ärger.

München/Brüssel – Was Charles Michel so zu twittern hat, stößt, höflich gesagt, auf enden wollendes Interesse in der digitalen Welt. Wenn‘s gut für ihn läuft, sehen ein paar tausend User seine Texte und Bildchen, welchen Politiker er gerade wo getroffen hat. Seit Montag ist das anders: Mit einer seiner auf den ersten Blick langweiligsten Botschaften schießt der EU-Ratspräsident digital durch die Decke, Millionen schauen zu, Zehntausende kommentieren. Der Belgier hat mit ein paar Standardfloskeln dem Iran kondoliert. Und eine Riesendebatte ausgelöst: Darf man das?

Die EU drücke ihr „tiefes Beileid“ aus, „unsere Gedanken sind bei den Familien“, verbreitete Michel (oder eher: einer seiner Mitarbeiter). Zuvor hatte ein EU-Kommissar Hilfe bei der Vermisstensuche angeboten. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kondolierte „den Familien aller Opfer“ und den „iranischen Bürgern“. All das stets im Namen der Europäischen Union insgesamt, die mit dem Iran eigentlich alles andere als freundschaftlich verbunden ist. Erst letzte Woche hatte sie die Sanktionen gegen das Land ausgeweitet – unter anderem wegen schwerer Menschenrechtsverstöße.

Iran: Trauerfeierlichkeiten für den verunglückten iranischen Präsidenten Raisi in Pakistan
Trauerfeierlichkeiten für den verunglückten iranischen Präsidenten Raisi in Pakistan © Muhammad Sajjad/AP/dpa

Tod von Raisi: Politsches Echo auf EU-Beileid für Iran

Das politische Echo auf das EU-Beileid in Deutschland ist deshalb verheerend. Quer durch mehrere Parteien hagelt es Kritik an Michel. „Geht‘s noch?“, schimpft die norddeutsche CDU-Ministerin Karin Prien, die Solidarität der EU „gehört den Opfern dieses Potentaten“. Ihr Parteifreund Dennis Radtke aus dem Europaparlament twitterte zu Michel drastische Fotos von getöteten iranischen Regimegegnern, an Kränen aufgehängt. Der Grüne Volker Beck tut kund, sich für Michel zu schämen: „Was für eine Haltungslosigkeit!“ Was ebenso auffällt: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) ließ von ihren Accounts keinen Pieps an Kondolenz verbreiten: eisiges Schweigen.

Tausende Iraner folgen Sarg des Präsidenten

Nach dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi haben im Iran die Trauerfeierlichkeiten begonnen. Zum Auftakt kamen laut Staatsmedien zehntausende Iraner in der Stadt Täbris zusammen. Die Menge folgte einem Lastwagen, auf dem die Särge der neun Opfer aufgebahrt waren. Raisi soll am Donnerstag in dessen Heimatort Maschhad beigesetzt werden. Neben Raisi starb am Sonntag auch Außenminister Hossein Amir-Abdollahian beim Absturz eines Helikopters. Raisis Stellvertreter Mohammed Mochber ist Interims-Präsident, der bisherige Atom-Chefunterhändler Ali Bagheri Interims-Außenminister.

Am 28. Juni soll ein neuer Präsident gewählt werden. Gestern trat auch der aus 88 schiitischen Geistlichen bestehende Expertenrat zusammen. Die Stühle der verunglückten Mitglieder Raisi und und Mohammad Ali-Haschem blieben frei. Der erzkonservative Prediger Mohammed-Ali Kermani (93) wurde neuer Vorsitzender des Gremiums. Er löst den 97-jährigen Ahmad Dschannati ab. Der Expertenrat bestimmt im Todesfall über den neuen Religionsführer. Das ist seit 1989 Ali Chamenei (85). Chamenei wurde damals Nachfolger von Revolutionsführer Chomeini, der den bis dahin regierenden Schah des Iran, Mohammad Reza Pahlavi stürzte.

Tatsächlich gehen die Staaten sehr unterschiedlich um mit den Beileidsbekundungen gen Teheran. Die Anteilnahme der Verbündeten klingt sehr herzlich, inniger als das vielkritisierte Michel-Statement. Als „wahren Freund“ lobpreist der russische Präsident Wladimir Putin seinen iranischen Kollegen Raisi, er sei „zu Recht hoch geachtet“. Der türkische Staatschef Erdogan übermittelt, er „bete für die Gnade Gottes für meinen lieben Kollegen und Bruder“. Das chinesische Volk habe einen „guten Freund verloren“, wird aus Peking gesendet. Terrororganisationen wie Hamas teilen „die Trauer und den Schmerz des iranischen Brudervolks“. Was noch erwähnenswert ist: Auch der Papst lässt mitteilen, er bete und „vertraue die Seelen der Toten der Barmherzigkeit des Allmächtigen an“. Und der UN-Sicherheitsrat erhebt sich zu einer Schweigeminute.hnmuen

Kondolieren auf staatlicher Ebene: Sogar Putin macht es

All das klingt befremdlich – wenn man an die getöteten, gefolterten, unterdrückten Opfer denkt, die unter anderem Raisi in seiner Zeit als Staatsanwalt zu verantworten hat. Gleichwohl ist das Kondolieren auf staatlicher Ebene nach Unglücken, Naturkatastrophen oder dem Tod von Regierungspolitikern eine Art Usus. Sogar Putin kondolierte den Deutschen im Juli 2021 nach dem Hochwasser per Telegramm („tief empfundenes Beileid“). Es bedeutet nicht automatisch, damit ein Regime zu würdigen oder Sympathie auszudrücken. Experten raten dabei, die Standardfloskeln zu hinterfragen. Besseres Beispiel als Michel: die USA. Ihr Außenminister Antony Blinken verband sein „offizielles Beleid“ (das klingt schon distanzierter) mit „unserer Unterstützung für das iranische Volk und seinen Kampf für Menschenrechte und Grundfreiheiten“.

Raisis Regime hat Tausende ermordet. Ich werde nicht um ihn trauern.

„Der Wortlaut zählt“, sagt Benedikt Franke, als CEO der Münchner Sicherheitskonferenz ein Kenner des internationalen Protokolls. „Einfach nur Anteilnahme auszudrücken, ist zu wenig“, es komme auf Nuancen an. Ebenso sei klar diplomatischer Standard, dass man einem anderen Land kondoliere, wenn ein demokratisch gewählter Vertreter ums Leben komme. Franke erinnert daran, dass solche Bekundungen auch helfen können, wieder ins Gespräch zu kommen. Man müsse, so sagt er mit Blick auf den Iran, eben Kanäle zu allen Seiten offen halten. „Daher darf auch ein Brief an die Regierung in Teheran nicht immer automatisch skandalisiert werden.“ Etwas schwieriger sei sicherlich die Frage, sagt Franke, ob und welche Repräsentanten zu einer Trauerfeier entsandt werden.

Iran: Trauerfeierlichkeiten für den verunglückten iranischen Präsidenten Raisi in Aserbaidschan
Trauerfeierlichkeiten für den verunglückten iranischen Präsidenten Raisi in Aserbaidschan © Ata Dadashi/Fars News Agency/AFP

Präsident des Iran stirbt bei Hubschrauber-Absturz

Heikel wäre wohl auch ein anderer Punkt: Hätte der Westen helfen sollen bei der Suche nach dem abgestürzten Helikopter? Inzwischen wurde bekannt, dass eine entsprechende Bitte des Iran an den technologisch überlegenen Erzfeind USA herangetragen wurde. So weit bekannt, wurde der Hubschrauber allerdings dann ohne US-Hilfe gefunden.

Berlin hält sich übrigens zurück mit Grüßen nach Teheran. „Beileid“, übermittelt Kanzler Olaf Scholz am Dienstag knapp. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat seine Lektion dazu wohl schon 2019 gelernt. Damals sandte er ein „herzliches“ Glückwunschtelegramm nach Teheran zum Jahrestag der islamischen Revolution. „Auch im Namen meiner Landsleute“, so schrieb er. Die Landsleute waren allerdings davon nicht angetan. Steinmeier ruderte später in Interviews zurück, verwies auf „diplomatische Gepflogenheiten“ und legte scharfe Kritik an der Menschenrechtslage im Iran nach. (Christian Deutschländer)

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