Mindestlohn reicht nicht: Mehr Arbeitnehmer brauchen Bürgergeld
Mehr Arbeitnehmer müssen wieder Bürgergeld beziehen, weil ihr Einkommen sonst nicht zum Leben reicht. Den Bund kostet das sieben Milliarden Euro. Welche Rolle spielt der Mindestlohn?
Berlin – Die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem vom Bürgergeld abhängig sind, ist gestiegen. 2024 mussten rund 826.000 Erwerbstätige trotz ihrer Arbeit die Leistung beziehen, weil das Einkommen nicht zum Leben reichte. Den Bund kostete das sieben Milliarden Euro, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Cem Ince hervorgeht.
Zusätzlich zum Gehalt: Mehr Arbeitnehmer brauchen Bürgergeld – erster Anstieg seit 2015
Erstmals seit 2015 ist die Zahl der sogenannten Aufstocker gestiegen. Damals waren es noch 1,2 Millionen Arbeitnehmer, die zusätzlich vom Bürgergeld abhängig waren. 2018 waren es noch 1,098 Millionen. 2020 lag die Zahl mit rund 933.000 erstmals unter der Marke von einer Million. 2023 folgte der Tiefstand von 795.846 Betroffenen.
Jahr | Zahl der Aufstocker im Bürgergeld |
---|---|
2015 | 1,2 Millionen |
… | … |
2018 | 1,098 Millionen |
2019 | 1,018 Millionen |
2020 | 933.000 |
2021 | 864.000 |
2022 | 813.000 |
2023 | 796.000 |
2024 | 826.000 |
Im vergangenen Jahr ist der Rückgang jedoch gebrochen worden. Im Jahresschnitt waren es 826.000 Menschen. Damit nahmen auch die Kosten von 6,19 Milliarden Euro 2023 auf rund 6,99 Milliarden Euro zu.
Mit Einführung des Mindestlohns ist Zahl der Arbeitnehmer im Bürgergeld-Bezug gesunken
Immerhin: In den ersten beiden Monaten, für welche die Bundesagentur für Arbeit (BA) bereits Daten ausweist, ist die Zahl wieder zurückgegangen. Im Februar 2025 waren 813.766 Bürgergeld-Beziehende erwerbstätig.
Mit dem ursprünglichen Beginn des Rückgangs der Aufstocker 2015 fällt auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zusammen – zunächst 8,50 Euro pro Stunde. Über die Jahre ist der Mindestlohn auf 9,35 Euro 2020, 12 Euro im Oktober 2022 auf inzwischen 12,41 Euro 2024 gestiegen. 2025 folgte die bisher letzte Erhöhung auf 12,82 Euro.
Linken-Abgeordneter kritisiert, „dass Hunderttausende trotz Arbeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind“
Der Linken-Abgeordnete Ince sieht die Zahlen zu Aufstockern im Bürgergeld als Argument für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns. „Es kann nicht sein, dass Hunderttausende trotz Arbeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind“, sagte er der Deutschen-Presse-Agentur (dpa), der die Zahlen vorliegen.
„Wir unterstützen damit niedrige Löhne und halten die Ausbeutung der Arbeitskraft aufrecht, anstatt in Pflege- und Kitaplätze zu investieren, die vielen Menschen den Weg aus der Teilzeitfalle ermöglichen würden“, sagte Ince. Die neue Koalition unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) diskutiert derzeit über eine Erhöhung des Mindestlohns. Ob der 2026 auf 15 Euro ansteigen kann, ist ein Streitpunkt. Die Mindestlohnkommission wird das klären.
Großteil der arbeitenden Bürgergeld-Empfänger in Teilzeit und Mini- bzw. Midijobs
Tatsächlich ist die Mehrheit der Erwerbstätigen, die auch vom Bürgergeld abhängig sind, in Teilzeit oder Mini- bzw. Midijobs tätig. Die aktuellsten BA-Daten sind aus dem November 2024. Von rund 832.000 erwerbstätigen Leistungsbeziehern waren nur 81.419 in Vollzeit beschäftigt. 250.000 gingen einer Teilzeitstelle nach. Dazu gab es 277.881 ausschließlich geringfügig Beschäftigte.
Arbeit der Erwerbstätigkeit im November 2024 | Anzahl der Beschäftigten (Anteil) |
---|---|
Erwerbstätige Bürgergeld-Empfänger | 831.882 (100 %) |
Darunter abhängig Beschäftigte | 773.357 (92,96 %) |
Darunter sozialversicherungspflichtig Beschäftigte | 420.693 (50,57 %) |
in Vollzeit | 81.419 (9,79 %) |
in Teilzeit | 250.380 (30,10 %) |
in Ausbildung | 88.894 (10,69 %) |
Ausschließlich geringfügig Beschäftigte | 277.881 (33,40 %) |
ohne Beschäftigungsmeldung | 74.783 (8,99 %) |
Selbstständige | 63.486 (7,63 %) |
Quelle: Bundesagentur für Arbeit |
Viele Betroffene sind durch die Erziehung von Kindern gebunden. 143.345 Alleinerziehende haben im November 2024 zu den Aufstockern gehört. 253.894 Bedarfsgemeinschaften aus zwei Erwachsenen mit Kindern gehörten ebenfalls dazu. Fehlende Kinderbetreuungsangebote halten viele andere Bürgergeld-Empfänger allgemein von Arbeit ab. (mit dpa)