Johnny Cash in Bayern: Eine Legende in Wartestellung

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Star in spe vor Blümchentapete: Funker Johnny Cash mit seiner ersten Gitarre in Landsberg am Lech. © Iris & Billy Joe Carnahan

Er erfuhr als Erster vom Tod Josef Stalins und schrieb Songs, die weltberühmt werden sollten: Johnny Cash war als junger Mann in Penzing stationiert. Am 3. Juli 1954 endete seine Dienstzeit.

Ein „Man in Black“ ist Johnny Cash noch nicht, wie er da auf der Bettkante seines Kameraden Billy Joe Carnahan vor einer Blümchentapete sitzt. Seine Karriere als Gesetzloser und Legende der Country-Music wartet gewissermaßen um die Ecke. Er trägt ein weißes Hemd und lächelt freundlich in die Kamera – während er seine erste Gitarre spielt, die er für 20 Mark im Landsberger Musikhaus Ballach gekauft hat. „Ich trug sie durch den kalten deutschen Winter zum Stützpunkt zurück“, erinnert er sich in seiner Autobiografie. „Diesen Fußmarsch werde ich nie vergessen, sechseinhalb Kilometer durch knietiefen Schnee.“

Schneidig: Johnny Cash in Airforce-Uniform mit dem Kameraden Bernard Simmons in Penzing.
Schneidig: Johnny Cash in Airforce-Uniform mit dem Kameraden Bernard Simmons in Penzing. © William Harrell

Seinen ersten Hit schrieb er bei der Abreise aus Bayern

Cash hat für seinen Armeedienst die Wahl: Entweder die Insel Adak vor Alaska. Oder Bayern. „Die Entscheidung fiel mir nicht schwer: Ewiges Eis oder gutes Essen und ,Fräuleins‘? Ich entschied mich für Landsberg.“ Als Soldat in good old Bavaria macht er seine Fingerübungen, bis es endlich so weit ist: Am 3. Juli 1954, vor 70 Jahren, wird er ehrenhaft aus der amerikanischen Luftwaffe entlassen, nachdem er vom 8. Oktober 1951 an im Fliegerhorst von Penzing im Lechrain stationiert war. Im folgenden Frühling spielt er bei Sam Phillips in Memphis, Tennessee, das Lied „Hey Porter“ ein. Sein erster Hit bei Sun Records. Geschrieben im Zug bei der Abreise aus Bayern. „Hey Schaffner!“ Er wollte so schnell wie möglich heim.

Der Rock’n’Roll-Evergreen „Blue Suede Shoes“ hat seine Wurzeln in Landsberg

Auf dem Instrument von Ballach verfasst Johnny Cash einige heute weltberühmte Songs. „Don‘t take your Guns to Town“ etwa ist eine simple Anweisung an die Militärs: „Schusswaffen nicht in die Stadt mitnehmen.“ Die Hauptfigur des Songs, der übermütige Billy Joe, ist Namensvetter des Kameraden mit der Blümchentapete. Der „Folsom Prison Blues“ verweist auf einen Kinoabend gleich nach seiner Ankunft in Bayern (der Film „Inside the Walls of Folsom Prison“, wurde am 13. Oktober 1951 im Fliegerhorst gezeigt). Und sein adrett gekleideter Vorgesetzter C. V. White belustigt ihn mit dem Spruch: „Just don‘t step on my Blue Suede Shoes“ („Tritt mir bloß nicht auf meine blauen Velourslederschuhe“). Cash erzählt später dem Sänger-Kollegen Carl Perkins davon, der sogleich einen Rock’n’Roll-Evergreen aus dem Schuhwerk schneidert, den Elvis Presley berühmt macht.

Johnny Cash zeigt am Swimmingpool des Fliegerhorstes Panzing einem Kameraden den Stinkefinger
Johnny Cash zeigt am Swimmingpool des Fliegerhorstes Penzing einem Kameraden den Stinkefinger © William Harrell

Von Landsberg ist Cash nicht gerade beeindruckt. Die Deutschen seien überhaupt alle verrückt: Jeder fahre Fahrrad und die Straßen seien voll wie ein Bienenstock. Dafür ist er begeistert von Neuschwanstein, bringt vom Oktoberfest einen Teddy mit, geht schwarzfischen in Oberammergau, skifahren in Garmisch und segeln auf dem Ammersee. Im Frühling 1953 geht er sogar bereits als Randnotiz in die Weltgeschichte ein: Er ist als diensthabender Funker der erste Mensch der freien Welt, der vom Tod Josef Stalins erfährt (er fängt eine Morse-Nachricht ab) und diese Kunde weiterverbreitet.

Johnny Cash beim Segeln auf dem Ammersee.
Johnny Cash beim Segeln auf dem Ammersee. © William Harrell

Man könne seine Zeit in Penzing als schicksalhaft für seinen späteren Lebensweg betrachten, sagt die Historikerin Edith Raim. Sie hat Zugriff auf den Nachlass von Billy Joe Carnahan, mit dessen Bildern vom jungen Cash in Bayern sie bereits eine Fotoausstellung bestritten hat – im Oktober erscheint im Balaena Verlag ihr Buch „Cash in Barbaria“. „Die Jahre in Penzing weckten in Johnny Cash eine kreative Energie“, ist sie überzeugt.

Raims Buchtitel bezieht sich auf die Band, die Johnny Cash und Kameraden in Penzing haben, die Landsberg Barbarians. Er selbst schreibt in seiner Autobiografie: „Wir ,ermordeten‘ die aktuellen Countrysongs und Gospellieder unserer Kindheit; wir waren schräg, aber wir hatten Spaß. Mein Tonband hielt alles fest.“

Elvis Presleys Karriere stockte, als er in Deutschland war – für Johnny Cash war die Militärzeit Sprungbrett

Dieses Tonband ist auch für seinen späteren Sound verantwortlich – das berühmte, rhythmische Boom-chicka-boom. Das entsteht, als er ein Tonband falsch herum einlegt und sich die Aufnahme anhört. Der verzerrte, leiernde Klang des Basses prägt sich ihm ein – er verwendet ihn später für seinen Hit „I walk the Line“. Den Titel des Liedes hat er übrigens auch aus Penzing. Dort läuft er fast täglich zur Poststation, um seiner Verlobten Vivian einen Brief in die Heimat zu schicken.

Anfang Juli 1954 sind die beiden wieder vereint. Cash wird ein Star – aber er erinnert sich an Bayern. 1959 statten er und Vivian Landsberg einen Besuch ab. Genau zu der Zeit, als Elvis seinen Militärdienst in Hessen ableistet. Die Karriere des „King of Rock’n’Roll“ gerät durch seine Zeit in Deutschland aus dem Tritt. Die des King of Country bekam hier ihre Geburtshilfe.

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