„Demokratie leben!“ in Kempten

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Über Demokratie reden! Katharina Kempter (v.l.), Moderatorin Andrea Kühme, Juliane Kappaun, Alexander Köffer und Dominik Tartler beim Podiumsgespräch. © Lajos Fischer

Seit 2021 ist Kempten einer der Standorte des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ Die erste Förderperiode wurde jetzt im Rahmen einer Konferenz abgeschlossen.

Kempten – Wie schnell die Atmos­phäre im übertragenen Sinne eisig werden kann, wenn man heutzutage an einem Stand für Demokratie werben will, wurde an diesem Abend mehrmals erzählt. Eine derartige Atmosphäre im wortwörtlichen Sinne nachfühlen durften die Besucherinnen und Besucher der diesjährigen Demokratiekonferenz bei winterlichen Temperaturen im unbeheizten Fürstensaal der Residenz. Die meisten geladenen Gäste hielten durch: Sie wollten mehr über die durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ finanzierten Projekte erfahren und sich an dem Austausch zu einem der am heißesten diskutierten Themen unserer Zeit beteiligen: Wie lassen sich die Grundwerte unserer demokratischen Gesellschaft bewahren und stärken?

Seit Juni 2021 ist Kempten im Netzwerk Partnerschaft für Demokratie einer der Standorte des Bundesprogramms unter dem Namen „Miteinander Kempten gestalten“. Die Koordinierungs- und Fachstelle befindet sich in der Volkshochschule. Die Trägerschaft liegt bei der Stadt. Das Setzen der inhaltlichen Schwerpunkte und die Vergabe der Mittel wird durch einen Begleitausschuss und durch die Jugendkommission gewährleistet. Die Schirmherrschaft übernahm Oberbürgermeister Thomas Kiechle.

Die erste Förderperiode endet am 31. Dezember. Für die kommende achtjährige Förderphase erhielten einige bayerische Städte bereits eine Absage. Laut Projektkoordinator Alexander Köffer stehen die Zeichen für Kempten gut. Er selbst hört aber Ende des Jahres auf, für das Projekt zu arbeiten. Wegen des Ampel-Aus weiß man jedoch nicht, ob und wann die Bundesmittel im Haushalt 2025 tatsächlich freigegeben werden.

Die Größenordnung des Projektes in Kempten

In der aktuellen Förderperiode wurden insgesamt 394.000 Euro eingesetzt, der Eigenanteil der Stadt betrug zehn Prozent. 35 Prozent der Mittel machten die Personalkosten aus, zehn Prozent verwendete man für öffentliche Veranstaltungen. Mit 55 Prozent wurden 69 Projekte von 35 gemeinnützigen Trägern aus der Stadtgesellschaft unterstützt. Das Programm basiert auf drei vom Bund vorgegebenen Schwerpunktthemen: Demokratieförderung, Vielfaltgestaltung und Extremismusprävention.

In einer Diskussionsrunde blickten Köffer, Juliane Kappaun vom federführenden Amt für Integration, Katharina Kempter vom Lollipop e. V. und Dominik Tartler, Jugendbeauftragter des Stadtrats auf die letzten 3,5 Jahre zurück.

Köffer berichtete von seinen Erfahrungen an Infoständen, wo die meisten Leute das Gesprächsangebot gerne angenommen hätten. Aber manche seien schreiend auf ihn zugekommen. Beim Austausch mit Kollegen aus anderen Städten habe er aber feststellen müssen: „Sie müssen viel mehr aushalten.“

Wie erreicht man Skeptiker?

Kappaun erzählte, dass sie versuchten, Informationen auf allen möglichen Wegen an die verschiedensten Zielgruppen heranzutragen. Aber sie erreichten überwiegend Menschen, die mit diesen reflektiert umgehen würden. Kempter berichtete von Theaterprojekten an Schulen, bei denen es ihr gelang, mit jungen Menschen, die grundsätzlich alles ablehnten, ins Gespräch zu kommen. „Demokratieskeptische“ im öffentlichen Raum zu erreichen, sei eine große Herausforderung für die Erwachsenenbildung, sagte Köffer. Mit „Schreihälsen“, die extrem frustriert seien, könne man reden. Bei Antidemokraten und Rassisten, die „voller Hass sind“, habe man keine Chance. Es handle sich aber hierbei um eine lautstarke Minderheit. Kempter betonte, wie wichtig es sei, Begegnungsräume zu schaffen, in denen Frustrierte darüber sprechen könnten, was sie innerlich beunruhigt und die Möglichkeit bekommen, über Informationen aus dem Internet mit anderen zu sprechen. Kappaun ergänzte: In Kempten verfüge man über viel Potenzial, weil hier nicht so viele Menschen in Blasen lebten. Es gebe hier beispielsweise keine Kinos für bestimmte Szenen, nur ein einziges. In der nächsten Förderperiode wolle sie viel Wert darauf legen, vorhandene Begegnungsstätten wie Stadtteilbüros, Mehrgenerationshaus, interkulturelle Einrichtungen mit entsprechenden Kompetenzen auszustatten.

Eine große Herausforderung sei es auch, Menschen aus ihren Häusern zu holen, weg von den Bildschirmen, zu Orten, wo persönliche Begegnungen möglich sind. „Demokratie ist eine Lebensform, die überall stattfindet“, sagte Köffer. Man brauche Menschen, die davon überzeugt seien. Wenn man Leute begegne, die einen Stöpsel im Ohr hätten, heiße das nicht automatisch, dass sie nicht kommunizierten. „Vielleicht sprechen sie mit Freunden oder hören einen Podcast an.“

Man müsse mit der Demokratieerziehung bereits im Kindergarten anfangen, schlug Kempter vor. Demokratie bedeute nicht, alle vier Jahre zur Wahl zu gehen, sondern von klein auf lernen, wie Kompromisse geschlossen werden.

Demokratieerziehung im Jugendbereich

Für Tartler habe die Arbeit der Jugendkommission und der Jugendparlamente im Allgemeinen deswegen einen hohen Stellenwert, weil man dort praktische Erfahrungen mit demokratischen Prozessen sammle. Dort lernten junge Menschen, wie sie sich für die Gemeinschaft einbringen könnten. Köffer hob hervor, wie wichtig es sei, dass die jungen Leute Raum bekommen, um ihre Projekte zu präsentieren. Gespräche müssten bedürfnisorientiert geführt werden, ohne vom Moderator vorgegebene Schubladen.

Tartler rief die Anwesenden auf, sich weiter für Demokratie und Vielfalt einzusetzen. Diese konnten sich anschließend bei einem Buffett im warmen Foyer über vorbereitete Fragestellungen und ihre Demokratieerfahrungen austauschen.

Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.

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