Eine Hallbergmooserin hat sich ihren letzten Willen unter die Haut stechen lassen: Sie möchte im Notfall nicht wiederbelebt werden. Ein Mediziner erklärt den rechtlichen Hintergrund – und die Wichtigkeit einer Patientenverfügung.
Hallbergmoos – Für viele ist das Thema ein Tabu, für Brigitte Sageder ist ihr Tattoo ein Statement: Auf ihrem Dekolleté steht „DNR“, kurz für „Do Not Resuscitate“ und ihren Wunsch, im Falle eines Falles nicht reanimiert zu werden. Aber was folgt daraus für Notärzte und Sanitäter? Florian Deissenrieder aus Hallbergmoos, der mehrere Jahre als Notarzt tätig war und inzwischen eine Hausarztpraxis in Ismaning führt, ordnet ein.
Ärzte können sich strafbar machen
„Das Tattoo ist rechtlich nicht verbindlich“, betont Deissenrieder im FT-Gespräch. „Es könnte potenziell sogar Rettungskräfte in Schwierigkeiten bringen.“ Die Gesetzeslage sehe vor, dass für eine wirksame Patientenverfügung eine eindeutige, schriftliche Erklärung erforderlich ist – mit Datum und Unterschrift. Ein Tattoo könne ein missverständliches Zeichen, ein Scherz oder schlicht veraltet sein: „Wenn ich als Notarzt nur aufgrund eines Tattoos auf eine Behandlung verzichte, kann ich mich tatsächlich strafbar machen.“
Im Zweifel – und das bestätigen die Fachliteratur sowie einschlägige Beiträge in notärztlichen Fachzeitschriften – gelte: Rettungskräfte müssen zunächst Leben retten. „Das Tattoo mag ein Hinweis sein, aber keine Handlungsanweisung“, so Deissenrieder.
Nicht selten tragen Menschen inzwischen einen Hinweis auf eine Patientenverfügung bei sich. „Ein Tattoo ist mir in der Praxis noch nicht begegnet. Aber eine Patientenverfügung im Geldbeutel, das gibt’s relativ häufig“, so der Arzt. Meist im Chipkartenformat, mit den wesentlichen Sätzen, Datum, Name und Unterschrift. Diese Form sei kompakt, entscheidend bleibe aber, dass eine ausführliche Verfügung auffindbar und gültig ist.
Ein Tattoo könne für den Notarzt ein Anlass sein, genauer nachzufragen – und etwa gezielt nach einem Kärtchen oder Kontakt mit Angehörigen zu suchen. Finde sich dann, wie im geschilderten Fall, tatsächlich eine schriftliche Verfügung plus Kontaktdaten, könne das im Sinne des Patienten gehandhabt werden.
Den Willen des Patienten achten
Deissenrieder unterstreicht: „Es geht in jedem Fall darum, den Willen des Patienten zu achten.“ Das klingt einfach, sei im medizinischen Alltag aber alles andere als trivial. Denn: „Für das Outcome einer Reanimation ist etwa das Alter ein wichtiger Faktor. Zwischen 50 und 60 Jahren werden etwa 50 Prozent der Patienten erfolgreich reanimiert, bei Hochbetagten über 80 sind es noch rund 30 Prozent. Ein Jahr später leben davon nur noch rund drei Prozent.“
Viele gerade ältere oder chronisch kranke Patienten würden sich daher bewusst gegen eine Reanimation entscheiden. Doch schriftlich fixiert sei dieser Wille in der Praxis aber selten. „Ich erlebe es immer wieder: Menschen, die schwer herzkrank und weit über 80 sind, haben sich noch nie mit dem Thema beschäftigt – und auch die Angehörigen wissen nichts davon“, berichtet der Arzt. Er sieht hier auch die Notwendigkeit, das Gespräch offensiv zu suchen: „Ich spreche das aktiv an und wäre froh, es würden mehr Ärzte tun.“
Vor diesem Hintergrund bewertet der Mediziner die Tattoo-Aktion von Brigitte Sageder durchaus positiv: Sie rücke das Thema in den Fokus und rege zur Diskussion an. „Das Tattoo ist zwar rechtlich nicht ausreichend und kann im Zweifel sogar mehr Probleme als Lösungen schaffen. Aber es ist ein klarer Hinweis und führt oft dazu, dass Kollegen wirklich nach einer Verfügung suchen und am Ende der Wille des Patienten beachtet wird.“
Wertvoller Effekt für Gesellschaft
Noch wichtiger sei aber der gesellschaftliche Effekt: „Wir reden darüber. Menschen werden erinnert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, mit Familie und Hausarzt zu sprechen.“ Deissenrieder merkt an, dass er auch Anfragen von Patienten bekomme, die sagen: „Ich habe davon gelesen, können Sie mir helfen, eine Verfügung zu formulieren?“
Das Tattoo auf Sageders Brustkorb ist kein juristisch gültiger Ersatz für eine Verfügung. Aber es rüttelt wach – Patienten, Angehörige und medizinisches Personal. Das ist laut Deissenrieder vielleicht der wichtigere Teil: „Patientenverfügung ist Alltag – oder sollte es zumindest sein.“