Petra Callwitz leitet bei der Agentur für Arbeit die Berufsberatung für die Landkreise Weilheim-Schongau, Garmisch-Partenkirchen und Starnberg. In ihrem Zuständigkeitsbereich kümmern sich insgesamt 18 Berufsberater um 60 Schulen.
Landkreis – Petra Callwitz leitet bei der Agentur für Arbeit die Berufsberatung für die Landkreise Weilheim-Schongau, Garmisch-Partenkirchen und Starnberg. In ihrem Zuständigkeitsbereich kümmern sich insgesamt 18 Berufsberater um 60 Schulen. Im Gespräch mit der Heimatzeitung spricht sie über die neue Studie zum starken Anstieg der Zahl der Ausbildungsabbrecher, darüber, wie sich heutige Jugendliche von denen unterscheiden, die vor 20 Jahren betreut wurden, und wie es gelingen kann, den Traumberuf zu finden.
Die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat deutlich gemacht, dass in einigen Regionen Deutschlands fast jeder zweite Auszubildende seine Lehre abbricht. Besteht Anlass zur Sorge?
Heute werden junge Menschen sehr oft, sehr schnell und meist zu Unrecht kritisiert. Man muss sich die Studie schon genauer anschauen. Untersucht wurde die Abbrecherquote seit 2005 bis 2020. Das muss man schon in Relation zur Welt- und Wirtschaftslage setzen.
Inwiefern?
2005 und 2010 florierte die Wirtschaft, es gab einen sehr stabilen Arbeitsmarkt. 2015 kam die erste Flüchtlingswelle in Deutschland an. Viele junge Zuwanderer wurden in Ausbildungen vermittelt. Die Betriebe waren sehr offen und haben den Jugendlichen eine Chance gegeben, die da neu zu uns gekommen sind. Schnell wurde aber klar, dass viele von ihnen einfach noch nicht so weit waren, die Deutschkenntnisse fehlten, die hohen Anforderungen unseres dualen Ausbildungssystems nicht so schnell erfüllt werden konnten. Ausgerechnet 2020 das nächste Mal für die Statistik heranzuziehen und daraus Schlüsse zu ziehen, finde ich noch problematischer.
Warum?
Da steckten wir mitten in der ersten Welle der Corona-Pandemie. Mit Lockdowns, Homeschooling – Praktika zur Berufswahlfindung oder eine geregelte Ausbildung bei bereits erfolgtem Start war da nur sehr schwer möglich. Das spiegelt sich meiner Ansicht nach in den hohen Abbrecherzahlen in besonders betroffenen Branchen wider.
Dennoch: Man hat schon den Eindruck, dass sich junge Menschen heute oft schwer damit tun, Entscheidungen zu treffen. Auch und besonders bei der Berufswahl. Woran liegt das?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Es gibt viele Schüler, die sind gut orientiert, haben sich bei Praktika ein Bild gemacht, werden von zu Hause unterstützt, haben eine hohen Motivation. Die suchen sich Informationen und Hilfen, wenn sie sie brauchen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch viele Jugendliche, die ziemlich „lost“ sind. Das sind häufig Kinder, die aus Familien mit Migrationshintergrund kommen. Häufig mit psychischen Problemlagen, teilweise aus den Erfahrungen in den Kriegsgebieten heraus, aus denen sie kommen. Teilweise aber auch aufgrund des Verlusts der Heimat. Dazu kommen ihre Familien, die das deutsche Ausbildungssystem nicht kennen. Das sind oft ganz unterschiedliche Problemlagen, die man bei der Berufsberatung berücksichtigen und auffangen muss.
Also liegt es oft daran, wie intensiv sich Eltern kümmern?
Ja, aber...
...aber?
Es gibt eine – zum Glück überschaubare – Gruppe von Jugendlichen, die sehr intensiv von ihren Eltern unterstützt werden. So stark, dass dabei die Interessen der Kinder aus den Augen verloren werden. Die Eltern möchten natürlich das Beste für ihre Kinder erreichen, fragen sich dabei aber nicht, ob das auch das Richtige ist. Dann hängen die Kinder in Ausbildungen, die ihnen keinen Spaß machen oder sie überfordern. Und das sorgt oft für Ausbildungsabbrüche.
Also braucht es mehr unabhängige Beratungsangebote?
Nein. Wir haben alles, was Schüler brauchen. Die Schulen werden teilweise überrannt, da kommt immer noch einer, der Berufsorientierung betreiben möchte. Da besteht tatsächlich die Gefahr, dass wir zu viele Informationen liefern. Manchmal sind weniger, aber professionell aufbereitete Informationen mehr. Wir haben so viele Informationsstrukturen geschaffen, auf jeder Seite im Internet finden Sie irgendwas über berufliche Orientierung und die Jugendlichen finden sich nicht mehr zurecht.
Wie macht man es denn richtig?
Zunächst einmal ist es wichtig, den Jugendlichen den Druck zu nehmen. Man redet bei der Berufswahl immer davon, eine „Lebensentscheidung“ zu treffen. Das finde ich problematisch. Gerade mit Blick auf die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems mit der Möglichkeit, sich immer weiter entwickeln zu können – auch in andere Richtungen.
Also kein Druck. Und wie weiter?
Die wichtigste und beste Möglichkeit sind und bleiben Praktika. Vielleicht auch nicht nur die verpflichtenden Schulpraktika, sondern auch in den Ferien noch mal ein paar Tage in Unternehmen hereinschnuppern. Das ist der beste Weg, um herauszufinden, was zu einem passt oder nicht. Das ist wie immer im Leben: Entscheidungen fallen leichter, wenn man es vorher ausprobiert hat. Auch wenn man bei einem Praktikum gar keinen Spaß hat, ist das wichtig. Dann weiß man, was man nicht will. Idealerweise fragt man sich dann noch, ob es die Aufgabe oder das Umfeld war, das nicht gepasst hat.
Okay. Ich habe mehrere Praktika absoviert und kann mich dennoch nicht entscheiden. Was dann?
Auf der einen Seite gibt es viele Entscheidungshilfen, zu denen wir die Betroffenen gern beraten. Hilfreich ist es auch, einfach mal eine Bewerbung zu schreiben. Da muss man reinformulieren, warum man den Beruf ergreifen möchte. Das kann sehr, sehr schnell für Klarheit sorgen.
Bei aller sorgfältigen Überlegung: Was mache ich, wenn ich als Auszubildender angefangen habe und merke, dass das doch nichts für mich ist?
Sich Beratung suchen. Bitte unbedingt, bevor man entscheidet hinzuwerfen. Die Betroffenen können sich gern bei uns in der Berufsberatung der Agentur für Arbeit melden, aber auch bei der IHK oder der Handwerkskammer. Oftmals bieten sich Optionen, an die man im ersten Impuls gar nicht denkt. Stimmt der Beruf, aber der Betrieb passt nicht? Dann kann man versuchen, die Ausbildung in einem anderen Unternehmen fortzusetzen. Stimmt das Umfeld, die Kollegen sind toll, aber der Job ist nicht das, was man sich vorgestellt hat? In vielen Betrieben werden mehr als nur ein Ausbildungsberuf angeboten. Einfach ins Gespräch kommen und nach Lösungen suchen! Jeder schlägt mal einen falschen Weg ein. Wichtig ist, dass man, wenn man wechselt, nicht in ein Loch fällt.
Das steht in der Studie
Die Zahlen, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vorlegte, sind besorgniserregend. Vor 20 Jahren lag die Abbrecherquote unter den Auszubildenden – je nach Landkreis – zwischen 3,8 und maximal 17 Prozent. Ganz anders die Lage im Jahr 2020. Die deutschlandweit niedrigste Quote wies der Landkreis Eichstätt in Bayern auf. Sie lag damals bei 11,3 Prozent. Die höchste Abbrecherquote verzeichnete man in Pirmasens (Rheinland-Pfalz) mit 42,5 Prozent. Fast jeder zweite Auszubildende warf dort also hin.
Ganz so schlimm stellt sich laut Studie die Lage im Landkreis Weilheim-Schongau nicht dar. Zwar werden keine konkreten Zahlen für den Landkreis ausgewiesen, laut der Grafik liegt die Abbrecherquote allerdings bei rund 17 Prozent und damit deutlich niedriger als in den benachbarten Landkreisen Starnberg und Garmisch-Partenkirchen. Für die Autoren der Untersuchung spielt die Wirtschaftskraft einer Region eine durchaus wichtige Rolle dabei, wie hoch die Abbrecherquote ist: „Weist eine Region eine höhere Wirtschaftskraft (gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) und viele freie Stellen auf, sinkt die Wahrscheinlichkeit einer höheren Ausbildungsabbruchquote.“
Die Abbrecherquoten unterscheiden sich auch zwischen den einzelnen Branchen deutlich. Am höchsten liegt sie im Bildungsbereich, zu dem auch Betreuer in den Kindergärten zählen, knapp gefolgt von Dienstleistungen wie dem Friseurhandwerk sowie der Hotel- und Gastronomiebranche. Letzteres würde auch erklären, warum die Abbrecherquoten in den stärker touristisch geprägten Nachbarlandkreisen höher liegen als in Weilheim-Schongau.