Donald Trump stichelt wieder gegen Wolodymyr Selenskyj. Beim Thema Wahlen scheint der einzulenken. Womöglich mit einem Hintergedanken. Eine Analyse.
Donald Trump hat es wieder getan – er hat die Ukraine mit einem aus den Sprachrohren des Kreml bekannten Argument unter Druck gesetzt. Der US-Präsident stellte die Demokratie im Land infrage – und forderte Wahlen im von Russland angegriffenen Land; auch Wladimir Putin spricht Präsident Wolodymyr Selenskyj die Legitimität ab. Die ukrainische Verfassung untersagt gleichwohl Wahlen in Kriegszeiten. Die kleine Überraschung: Selenskyj deutete in seiner Reaktion Bereitschaft zu einem schnellen Urnengang an.
In 60 bis 90 Tagen könnten die stattfinden, erklärte Selenskyj – und lud die Parlamentarier seiner Partei „Diener des Volkes“ ein, Vorschläge für entsprechende Gesetzesänderungen zu machen. Der ukrainische Präsident stellte gleichwohl eine Bedingung: Die Sicherheit müsse gewährleistet sein. Das ist einerseits ein ganz praktisch relevanter Punkt, wie die Vizechefin der „Diener des Volkes“-Fraktion unserer Redaktion vor einigen Wochen erklärte. Andererseits könnte das auch das Kalkül hinter Selenskyjs unerwarteter Wende offenlegen.
Neuwahlen im Ukraine-Krieg: „Sollen Menschen während russischer Luftangriffe wählen gehen?“
„In der aktuellen Lage ist es unmöglich, Wahlen abzuhalten, das sagt schon der Menschenverstand. Sollen Menschen während russischer Luftangriffe wählen gehen?“, sagte Politikerin Yevheniia Kravchuk im Juni im Interview. Die Intensität der russischen Schläge hat seither nicht abgenommen. Kravchuk verwies zudem auf organisatorische Probleme: Millionen Menschen seien innerhalb der Ukraine geflüchtet, Millionen auch ins Ausland. Die Wähler-Registrierung sei also schwierig. Fakt ist auch, dass Wahlkreise in von Russland besetzten Gebieten liegen – und dort weiterhin unter oft harten Bedingungen ukrainische Staatsbürger leben, die ein Recht auf eine freie Wahl hätten.
Selenskyj erklärte nun: „Ich bitte die USA darum, das sage ich ganz offen, eventuell zusammen mit unseren europäischen Kollegen, die Sicherheit für die Wahlen zu garantieren.“ In der Praxis würde das den Waffenstillstand bedeuten, den Ukraine und EU seit langem als Vorbedingung für Friedensverhandlungen fordern. Zudem eine gesuchte „Sicherheitsgarantie“ – wenn auch nur für einen sehr begrenzten Zeitraum. Käme es so, wäre es eine Zäsur im seit bald vier Jahren andauernden Ukraine-Krieg. Selenskyj hat nun also die Verpackung und Reichweite dieser Forderungen geändert. Im Kern aber würden sie ein Friedens-Zeitfenster bedeuten.
Die Behauptung, der Krieg gehe nur weiter, weil er „an der Macht hänge“, wies Selenskyj zurück: „Das ist ein völlig unvernünftiges Narrativ.“ Seine Beliebtheit ist zuletzt auch wegen eines Korruptionsskandals deutlich gesunken. Allerdings ist er in einer Umfrage des Instituts InfoSapiens selbst mit nur gut 20 Prozent in Führung, wie Kyiv Independent berichtete. In einer Erhebung des Kyiv International Institute of Sociology sprachen sich im September 63 Prozent der Befragten dafür aus, Wahlen erst nach dem Ende des russischen Überfalls abzuhalten. Trump hatte in einem Interview mit Politico geargwöhnt: „Man kommt an einen Punkt, an dem es keine Demokratie mehr ist.“ Seine US-Regierung steht im Verdacht, russische Positionen Verhandlungsgrundlage zu übernehmen.
Turnusgemäß wären in der Ukraine im Mai 2024 Präsidentschaftswahlen fällig gewesen. „Viele Abgeordnete sind amtsmüde, müssen aber weitermachen, solange es keine Neuwahlen gibt“, sagte Ukraine-Experte Eduard Klein unserer Redaktion. Auch Parlaments- und Kommunalwahlen sind überfällig. Unter Kriegsrecht dürfen sie aber nicht abgehalten werden, wie auch Klein betonte. Das steht in der ukrainischen Verfassung. Und eigentlich darf die im Krieg nicht geändert werden. (Quellen: Yevheniia Kravchuk, Dr. Eduard Klein, dpa, Politico, Kyiv Independent/fn)