Rechtsruck bei der Europawahl: „Migration ist in den Vordergrund gerückt“

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Die Prognosen für die EU-Wahl deuten auf einen Sieg der proeuropäischen Parteien hin. Zugleich gewinnen die extrem rechten Lager an Einfluss.

In der Europäischen Union schrecken extreme Standpunkte die Wählerinnen und Wähler nicht mehr ab. Im Gegenteil, nationalradikale Parteien haben bei der Europawahl zugelegt. Trotz ihrer Skandale wird die AfD in Deutschland zur zweitstärksten Kraft, während die FPÖ in Österreich um ersten Mal eine bundesweite Wahl gewinnt. Auch in Frankreich liegen die rechten Populisten vom Rassemblement National mit über dreißig Prozent in Führung.

Vor diesem Hintergrund geraten die progressiven und gemäßigten Kräfte der Mitte europaweit unter Druck. „Das Thema Migration ist wieder in den Vordergrund gerückt“, erläutert Norbert Kersting, Politikwissenschaftler an der Universität Münster. „Wenn die demokratischen Parteien zulassen, dass vor einer großen Wahl nur über Abschiebungen und Einschränkungen des Asylrechts gestritten wird, darf man sich über solch ein Ergebnis nicht wundern.“ So sei ein klares Signal dieser Wahl: „Europa setzt auf Abschottung.“

In Frankreich nutzt Le Pen die AfD zur Abgrenzung nach Rechtsaußen

Kersting sieht noch einen Hauptgrund für den Rechtsruck in Europa. „Seit der Pandemie legen rechte Populisten zu, auch weil sie moderatere Töne anschlagen“, sagt er. „Sie haben ein Interesse an einer Normalisierung und buhlen in einigen Ländern mit vermeintlich staatstragenden Positionen um die Wählergunst.“ Dies sei beispielsweise in Italien und den Niederlanden zu beobachten, „wo die PVV unter ihrem Vorsitzenden Geert Wilders sich in der gewohnten Parteienlandschaft etabliert hat und von radikaleren rechtspopulistischen Parteien abhebt“.

Marine le Pen, Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei „Rassemblement National“, nach einer Wahlkampfveranstaltung in Nordfrankreich.
Marine le Pen, Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei „Rassemblement National“, nach einer Wahlkampfveranstaltung in Nordfrankreich. © picture alliance/dpa/AP | Uncredited

In Frankreich nutzt Marine Le Pen die AfD zur Abgrenzung nach Rechtsaußen. Sie findet die deutsche Schwesterpartei nach eigenen Angaben mittlerweile zu radikal. Ihren Bruch mit der AfD, die sie 2017 noch umworben hatte, inszenierte sie medial. „Le Pen schlägt inzwischen deutlich moderatere Töne gegenüber Europa an“, sagt Kersting. „So versuchen rechte Populisten, sich und ihre Positionen zu konsolidieren.“ Nach der schweren Niederlage seiner Partei löst Präsident Emmanuel Macron das Parlament auf. In wenigen Wochen sollen Neuwahlen stattfinden.

„Von der Leyen hat extrem rechte Parteien in Europa wählbar gemacht“

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), hat vor der Wahl ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Italiens rechter Regierungschefin Giorgia Meloni betont. „Damit hat sie die Rechten salonfähig gemacht“, kritisiert Kersting. „Sie hat extrem rechte Parteien für viele Menschen in Europa wählbar gemacht.“ Nach ersten Prognosen des Europäischen Parlaments hat das Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit seiner Spitzenkandidatin von der Leyen bei der EU-Wahl die meisten Sitze gewonnen. Trotz der Zugewinne der rechtsextremen Parteien kann die CDU-Politikerin auf eine zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin hoffen.

Die Mitte-Parteien bleiben die zentralen politischen Akteure im Europäischen Parlament. „Für Ursula von der Leyen heißt es jetzt, die EU-Regierungschefs von sich zu überzeugen – ein Hauptgrund, warum sie sich im Wahlkampf Meloni angenähert hat“, erklärt der Politikwissenschaftler Manès Weisskircher von der TU Dresden. „Die Stärke der Rechtsaußen-Parteien im EU-Parlament nimmt zwar signifikant zu. Ihr künftiger Einfluss hängt jedoch auch davon ab, welche Fraktionen sich nach der Wahl bilden werden.“

In Österreich zeichnet sich ein klarer Sieg der FPÖ ab

In Österreich zeichnet sich nach der Europawahl ein klarer Sieg der rechten Populisten von der FPÖ ab. Unter dem Motto „EU-Wahnsinn stoppen“ hat die Partei im Wahlkampf ihre Ablehnung gegenüber Brüssel betont und die Europäische Union nach dem russischen Angriff auf die Ukraine als kriegstreibende Kraft dargestellt. „Das ist noch lange keine Pro-Putin-Strategie, wie man sie teilweise in der AfD sieht“, sagt Kersting. „In Bezug auf Ukraine-Krieg ist das rechtsextreme Lager in Europa ziemlich heterogen.“

Weisskircher, selbst Österreicher, sieht in dem Wahlergebnis in seiner Heimat vor allem Auswirkungen auf die Innenpolitik: Im Herbst stehen Wahlen an. Die FPÖ habe gute Chancen, auch dann auf dem ersten Platz zu landen. Für die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments sei der Wahlerfolg der FPÖ zweitrangig: „Österreich vergibt als kleines Land nur 20 Mandate, die FPÖ erhält voraussichtlich 6, die ÖVP und die SPÖ je 5.“ Weisskircher findet es interessant, mit wem die FPÖ nun im EU-Parlament kooperieren wird. „Im Wahlkampf hat sie ihre Unterstützung der AfD nicht aufgegeben.“

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