„Toxische Schulden“ belasten Russlands Wirtschaft – Zentralbank steht unter Druck
Russlands Zentralbank steht unter Druck. Unternehmen ächzen unter den Leitzinsen. Grund dafür soll ein geheimer Banken-Plan sein.
Moskau – Immer wieder war sein Beginn des Ukraine-Kriegs zu hören, wie „resilient“ Russlands Wirtschaft trotz der massiven Kriegsausgaben und der westlichen Sanktionen ist. Zwar sind die offiziellen Zahlen aus Russland immer mit Vorsicht zu genießen, aber auch westliche Ökonomen kamen im Laufe des Jahres 2024 zu dem Schluss, dass die Wirtschaft stärker dasteht als vorher gedacht. Einer aktuellen Analyse des Morgan-Stanley-Bankers Craig Kennedy zufolge liegt das jedoch an einer zutiefst riskanten Bankenstrategie.
Banken-Strategie soll Krieg finanzieren – Geldhäuser leiden unter Zinsen
Im Grunde ist Russland zweigleisig gefahren, um den vom russischen Präsidenten Wladimir Putin begonnenen Ukraine-Krieg zu finanzieren, erklärte der Banker. Zum einen gab es seit Beginn einen Geldfluss aus dem regulären Haushalt, zum anderen – und hier wird es kurios, denn angeblich hatten nur wenige westliche Ökonomen einen Blick darauf gehabt – existiert fast ebenso lang eine Finanzierung durch Bankenkredite, die in etwa so umfangreich sein soll wie die des Verteidigungshaushalts.

Das funktioniert wie folgt: Abseits der Kriegsfinanzierung durch den russischen Staatshaushalt sei innerhalb der Banken ein System entstanden, das sie dazu zwingt, günstige Kredite an Unternehmen der Kriegswirtschaft zu vergeben. „Dieses Konzept führt dazu, dass der offizielle Staatshaushalt auf einem soliden Niveau bleibt“, hatte das Finanzmagazin Capital.de Kennedy zitiert. „Damit entsteht der falsche Eindruck, dass Russlands Kapazitäten zur Kriegsfinanzierung auf Dauer belastbar sind.“
Im Kern finanzieren die Banken also Rüstungsunternehmen (zuzüglich anderen Firmen, die Kriegs-Infrastruktur bereitstellen) zu viel billigeren Bedingungen als der Kapitalmarkt es rechtfertigen würde. Gleichzeitig leiden die Banken unter den hohen Zinsen, die ihre Refinanzierung mit sich bringt – wenn sie die Kredite nicht aus eigenen Mitteln gewähren, müssen sie sich das erforderliche Geld anderweitig beschaffen.
„Toxische Schulden“ – Kreditvergabe bringt Russlands Wirtschaft in Schwierigkeiten
Diese Strategie soll der hauptsächliche Treiber für den massiven Anstieg bei Inflation und die Leitzinserhöhungen der russischen Zentralbank sein, führte Kennedy aus. Darüber hinaus soll es die notwendigen Voraussetzungen für eine „systemische Kreditkrise“ schaffen. Der Banker sprach hier von einem destabilisierenden „Grundstock an toxischen Schulden, der sich im Markt für Unternehmenskredite ausbreitet“.
Meine news
Das belegt die Analyse anhand zweier Faktoren: Erstens hatte Russland schon früh (im Februar 2022) ein neues Gesetz verabschiedet, dass es dem Staat ermöglichte, Banken dazu zu zwingen, Kredite an kriegsrelevante Unternehmen zu vergeben. Seit dem Sommer 2022 hatte Russland eine „anomale“ Ausdehnung der Unternehmensverschuldung erlebt, die sich mittlerweile auf 415 Milliarden US-Dollar (oder 19,4 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts) belaufen soll (Stand Oktober 2024). Etwa die Hälfte davon soll dabei unter dem Schirm dieser Bankenstrategie an mit dem Krieg zusammenhängende Unternehmen geflossen sein.
„Inflation außer Kontrolle“ – Russlands Wirtschaft bekommt tiefgreifende Probleme
Die russische Zentralbank steckt dementsprechend in der Klemme. Das ging so weit, dass in Russland Gerüchte umgehen, die Bank würde Konten ab einem gewissen Betrag einfrieren. Innerhalb der letzten Monate, so hatte es die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, seien die Privatkundeneinlagen „explosionsartig“ gewachsen – was an den massiv steigenden Zinssätzen liegt.
In mehreren Schritten hatte die Zentralbank den Leitzins in Russland auf ein enorm hohes Niveau gehoben (aktuell liegt sie bei 21 Prozent) – privaten Unternehmen fällt es damit schwerer, Kredite aufzunehmen. Entsprechend wächst der Druck auf die Bank, die Leitzinsen wieder zu senken. Ein Auslöser für diese Entwicklung ist die hohe Inflation. Im Dezember 2024 stieg sie auf 9,50 Prozent, einen Monat zuvor hatte sie noch 8,90 Prozent betragen. Der Ökonom Liam Peach, leitender Schwellenmarktökonom bei Capital Economics, ging Ende 2024 noch von einem baldigen Anstieg auf 10,50 Prozent aus.
„Die Inflation ist außer Kontrolle und wir glauben, dass die Tendenz zu einer weiteren Straffung der Geldpolitik in den kommenden Monaten bestehen bleibt, da die Inflation weiter steigt und die Inflationserwartungen hoch bleiben“, erklärte Peach.
„Medizin gefährlicher als Krankheit“ – Unternehmer kritisieren Zentralbank-Aktionen
Weitere Erhöhungen beim Leitzins würden eine Vielzahl russischer Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax waren die Zahlungsausfälle in der gesamten Wirtschaft auf dem Vormarsch. Zwischen Juli und September hätten sich 19 Prozent der mittelgroßen und großen Unternehmen im Zahlungsverzug befunden, bei den kleinen Unternehmen habe der Zahlungsverzug bei 25 Prozent gelegen.
Die größeren Staatsunternehmen und Wirtschaftslobbygruppen hatten im Herbst noch Sorge vor einem höheren Leitzins geäußert. „Es ist klar, dass wir die Zinsen erhöhen müssen, um die Inflation einzudämmen, aber wir gehen langsam zu weit“, hatte Oligarch Alexey Mordashov, Vorstandsvorsitzender des Unternehmens Severstal, erklärt. „Wir geraten in eine Situation, in der die Medizin gefährlicher werden könnte als die Krankheit.“
Ende Dezember kündigte die Zentralbank dann an, den Leitzins bei 21 Prozent zu belassen. Euronews berichtete hier noch von einem „leidenschaftlichen Protest“ einflussreicher Geschäftsführer. Die Bank hatte jedoch für das nächste reguläre Treffen eine mögliche Erhöhung in Betracht gezogen. Die Inflation soll 2025 von 9,5 Prozent auf vier Prozent pro Jahr fallen – soweit jedenfalls die Prognose.