Vor 150 Jahren: Freisinger Kirchweih endet tödlich
Zu handfesten Auseinandersetzungen mit tödlichem Ausgang kam es vor 150 Jahren an Kirchweih in Freising. Hobbyhistoriker Ernst Keller berichtet, was geschah.
Freising - Das bei der bäuerlichen Bevölkerung wohl beliebteste Fest im Königreich Bayern war das Kirchweihfest – am Weihetag der jeweiligen Kirche. Weil aber die traditionellen Zusammenkünfte bei den vielen Kirchweih-Feiern im Umland nicht selten exzesshaft ausuferten, führte die Obrigkeit ab 1867 eine sogenannte Allerweltskirta am 3. Sonntag im Oktober ein. Ein weiteres Problem war, dass der im Volksmund gebräuchliche Kirchweihspruch, wonach ein „richtiga Kirta“ bis zum darauffolgenden Dienstag oder gar Mittwoch dauerte, oft und gerne in die Tat umgesetzt wurde.
So geschehen auch an Kirchweih 1874 in Freising, also vor genau 150 Jahren. Doch die Vorfälle an diesen Tagen werden Gegenstand eines Prozesses, der vom 31. Mai bis 2. Juni 1875 vor dem Oberbayerischen Schwurgericht in München stattfindet. Danach soll sich nachfolgende Geschichte zugetragen haben.
Rachefeldzug am Kirchweihsonntag
In der „Glas‘schen Maschinenfabrik zu Freising vor dem Münchner Thore“ (heute Ecke Fabrikstraße, Gartenstraße), gegründet 1863/64 von dem Fabrikanten Maurus Glas, gibt es in den verschiedenen Bereichen zur Fertigung von landwirtschaftlichen Geräten und Maschinen auch viele Arbeiter, die von auswärts kommen und hier einen Arbeitsplatz gefunden haben.
Johann Krößer zum Beispiel aus München, 28 Jahre alt, katholisch, verheiratet, arbeitet seit einigen Jahren in dem Betrieb, ebenso seine Ehefrau Anna, 36 Jahre alt und katholisch. Nachdem Krößer bei seiner Beschäftigung als Eisengießer immer wieder über Missstände klagt, wird ihm im Frühherbst 1874 eine andere Arbeit zugewiesen und seine bisherige Stelle mit dem Eisengießer Karl Koller aus dem Oberelsass besetzt. Doch auch mit dieser Entscheidung ist er nicht einverstanden. Er ist eifersüchtig auf den neuen Kollegen und sinnt auf Rache.
Am besten dazu geeignet erscheint ihm der Kirchweihsonntag, der 18. Oktober 1874. Krößer weiß, dass Koller gerne beim „Zieglerwirth“ (heute vietnamesisches Lokal Ecke Ziegelgasse/Kirchgasse) einkehrt. So marschiert er in Begleitung seiner Frau Anna gegen Abend in das Wirtshaus und trifft dort tatsächlich auf Koller, der sichtlich überrascht ist. Nach einigen Sticheleien zwischen den beiden und „Beendigung des Theaters“ verlassen sie aber bald wieder das Lokal, ohne dass etwas passiert.
Doch als Krößer und seine Frau gegen 10 Uhr nachts das „Stiegl‘sche Wirthshaus“ (Stiegelbräu, heute „Et Cetera“) aufsuchen, treffen sie zu ihrem Erstaunen erneut auf Koller. Es kommt sofort zu einem scharfen Wortwechsel und zu kleineren Tätlichkeiten, an denen sich Frau Krößer „eifrigst beteiligt“. Aber auch hier bleiben sie nicht allzu lange.
Offenbar von Zweifeln geplagt, ob eine „körperliche Attacke“ auf seinen Kontrahenten und dessen eventuellen Helfern auch von Erfolg gekrönt sein wird, beschließt Krößer, Verstärkung zu holen. Dazu begibt sich das Ehepaar in das „Café Flörs“ (Obere Domberggasse 9, später „Café Hütt“), in der Hoffnung, dort ein paar gleichgesinnte Arbeiter der „Glas‘schen Fabrik“ anzutreffen. Eine Zeitung berichtet: „Hier fanden sie auch die Fabrikarbeiter Anton Hundseder, Xaver Wildmoser und Franz Grimm, welche sie von dem Vorfalle in Kenntnis setzten und sie unter dem Versprechen, alles zu bezahlen, was sie saufen, ersuchten, in Ausübung ihrer Rache an Koller behilflich zu sein. Es wurde nun unter der sauberen Gesellschaft verabredet, gemeinschaftlich in das Stiegelwirthshaus (Stieglbräu) zu ziehen, um dort den anwesenden Koller durchzubläuen.“ Die Arbeiter sind einverstanden.
Meute traktiert Koller mit Schlägen
Doch auf dem Weg dorthin kommt ihnen Koller auf der Moosachbrücke bereits entgegen, der „ruhig und ohne jeden Argwohn“ gerade nach Hause gehen will. Krößer, kurz irritiert, erfasst die Gelegenheit und gibt das Zeichen zum Angriff, indem er seinen Leuten zuruft: „Das ist mein Kamerad!“ Sofort stürzt sich die ganze Meute auf den verdutzten Arbeitskollegen und schlägt wie wild auf ihn ein.
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Während zwei Mann den am Boden liegenden Koller unnachgiebig mit den Fäusten traktieren, versetzt die „Vertreterin des zarten Geschlechts“ dem wehrlosen Opfer einige Hiebe mit dem Gehstock ihres Mannes und schreit: „Hier hast du von mir auch ein paar!“ Dem jüngsten in der Gruppe, Anton Hundseder, 19 Jahre alt, katholisch, Eisengießer bei der Firma Glas und bereits mehrfach vorbestraft, genügt das nicht. Er drischt mit seinem mitgebrachten Totschläger mehrfach und gezielt auf den Kopf von Koller, bis dieser lauthals stöhnt: „Oh weh, mein Aug‘!“
Eine Zeitung schreibt: „Nach vollbrachter Heldentat ging die Banditengesellschaft im Triumpfe ins Café Lamprecht [Domberggasse 1, später Domcafé], woselbst Frau Krößer die Helfershelfer mit 2 und 3 Flaschen Wein und 3 Flaschen Weißbier regalierte (reichlich bewirtete).“ Der schwer Gezeichnete wiederum kann sich noch mit letzter Kraft in das „Zieglerwirthshaus“ schleppen. Dort kümmern sich seine Freunde um ihn bringen ihn ins Spital. Es stellt sich heraus, dass das rechte Auge schwer verletzt ist und „dass ihm der Bengel das linke Auge buchstäblich aus dem Kopfe hieb“, womit es nach Aussage der Ärzte für immer verloren sei.
Koller, der von allen Seiten als sehr braver und tüchtiger Arbeiter geschildert wird, kann nach „wochenlangem Schmerzenslager“ seiner Arbeit nicht mehr nachgehen. Ihm bleibt nichts anderes mehr übrig, als Freising wieder zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren.
Nach Streit vor dem Hummelbräu eskaliert die Lage
Während die Gendarmerie gerade angefangen hat, nach Zeugen des Überfalls am Kirchweihsonntag zu suchen, kommt es zwei Tage später, am Dienstag, den 20. Oktober 1874, erneut zu schlimmen Ausschreitungen. Und wieder ist unter den Tätern der junge Eisengießer Anton Hundseder, der mit „exzessiver Rohheit höchst gewalttätig“ alle seine Genossen übertrifft.
Wie das Gericht später feststellt, habe sich Hundseder an diesem Tag mit zwei Freunden – dem Zimmerergesellen Franz Böhm und dem Fabrikarbeiter Adolph Hug – verabredet, sich am frühen Abend in das „Rödel`sche Wirthshaus“ („Rödlwirt“ bis 1889, schmalste Wirtschaft in Freising, heute Wohnhaus Rindermarkt 15) zu treffen. Nach „ausgiebigem Gelage und rohem Benehmen“ gegenüber Gästen und Wirtspersonal weigern sie sich, ihre Zeche zu bezahlen, worauf sie der Wirt mit ein paar Helfern unsanft auf die Straße befördert. In der Folgezeit ziehen sie von Wirtschaft zu Wirtschaft, werden aber wegen ihrer „Aufführungen“ umgehend wieder hinausgeworfen oder von den Hunden der Wirte „hinausgehetzt“. Die Randalierer revanchieren sich, indem sie Gegenstände in die Wirtsstuben werfen und die Fenster einschlagen.
Als sie gegen Mitternacht in der „unteren Stadt“ angelangt sind, werden sie auf einmal von einem heftigen Tumult aufgeschreckt. Das Geschrei kommt vom „Hummelwirthshaus“ („Hummelbräu“ bis 1935, heute Geschäftshaus Untere Hauptstraße 24). Laut Zeugenaussagen sei dort unter den Gästen ein Streit ausgebrochen, zu dessen Austragung der Wirt die Beteiligten aus der Wirtschaft verwiesen und auf die Hauptstraße geschickt habe. Das Gericht konstatiert: Auf so etwas haben die drei Rabauken offenbar gewartet. Ohne jede Veranlassung mischen sich Hundseder, Böhm und Hug sofort ein, so dass der Disput zu einer massiven Schlägerei ausartet.
Ein Messerstich hat fatalen Folgen
Einem jungen Metzgerlehrling, dem sein Meister eine „friedliebende Natur“ bestätigt, ist das alles zu viel. Es ist der 17 Jahre alte Kaspar Eisenberger von Schrobenhausen. Von der Angst gepackt, rennt er auf die andere Straßenseite gegen das Königliche Rentamt (bis 1906 Finanzamt, heute Filiale HypoVereinsbank) zu.

Dies wiederum ist das Signal für den überaus aggressiven Hundseder. Mit gezogenem Messer verfolgt er den Flüchtigen und stellt ihn nach wenigen Metern vor dem „Ettenhofer‘schen Gasthaus“ (ab 1889 Bayerischer Hof, gleich neben dem Rentamt) mit den Worten: „Wo hast dein Messer Bürscherl?“ Ohne eine Antwort abzuwarten sticht Hundseder zu, worauf der „in der linken Schultergrube und am rechten Oberschenkel“ getroffene Lehrling einen erbärmlichen Schrei ausstößt: „Ich bin gestochen!“
Dann stürzt er zusammen, schleppt sich aber noch auf die andere Straßenseite auf das Trottoir, wo er das Bewusstsein verliert und nach wenigen Minuten verblutet. Als einer seiner herbeigeeilten Kameraden Hundseder Vorhaltungen macht, den jungen Burschen getötet zu haben, erwidert dieser: „Halt‘s Maul, es hat ja niemand gesehen!“
Beide Angeklagte werden zu Zuchthaus verurteilt
Nach Festnahme und Einlieferung in die Freisinger Fronfeste werden beide „Reate“ (Straftaten) rund ein halbes Jahr später vor dem Schwurgericht München verhandelt. Nicht ganz ohne Häme berichten dabei einige Zeitungen des Königreichs über „ein betrübliches Bild ganz kolossaler Rohheit in der Bischofsstadt“.
Anton Hundseder wird „wegen eines Verbrechens der Körperverletzung mit nachfolgendem Tode“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, Johann Krößer „wegen eines Verbrechens der Körperverletzung“ zu eineinhalb Jahren Zuchthaus. Beiden werden die bürgerlichen Ehrenrechte für fünf Jahre aberkannt. Die restlichen vier Angeklagten erhalten wegen Beihilfe vier und sechs Monate Gefängnis.
Ernst Keller
Quelle: Digitale Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek München, BSB