„Vertrauen in Energiepolitik ist stark beschädigt“: So viele deutsche Firmen erwägen ins Ausland abzuwandern

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Abwanderungstendenzen bei deutschen Firmen: Vier von zehn Industriebetrieben überlegen ihre Produktion hierzulande einzuschränken oder ins Ausland zu verlagern.

Berlin – Eine aktuelle Studie der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) mit rund 3.300 Unternehmen zeichnet ein düsteres Bild der deutschen Wirtschaft. Vier von zehn Unternehmen erwägen wegen der Energiekrise, ins Ausland abzuwandern oder ihren Standort in Deutschland zu verkleinern. Außerdem zieht sogar die Hälfte der Industrieunternehmen über 500 Mitarbeitern eine Abwanderung in Betracht. Die deutsche Energiepolitik entwickelt sich zunehmend zu einem Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland – und für Unternehmen.

„Keine Perspektive“: Vertrauen der Industrie in die Politik bricht weg

Das bundesweite IHK-Energiewende-Barometer 2024 sieht einen Hauptgrund für die Abwanderungstendenzen: Hohe Energiepreise und mangelnde Planbarkeit der Energieversorgung belasten Unternehmen am Standort Deutschland. Das betrifft vor allem auch die energieintensive Industrie, die sich Sorgen zur Energieversorgung und den Standortkosten macht.

„Das Vertrauen der deutschen Wirtschaft in die Energiepolitik ist stark beschädigt“, meint der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. „Der Politik ist es bisher nicht gelungen, den Unternehmen eine Perspektive für eine zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung aufzuzeigen.“ In den Jahren vor 2023 hätten viele Unternehmen auch Chancen in der Energiewende für den eigenen Betrieb gesehen, nun überwiegen aus ihrer Sicht deutlich die Risiken.

Alarmierende Abwanderungstendenzen: „Mehr Risiken, als Chancen“

Die Zahl der Industrieunternehmen, die Produktionseinschränkungen oder eine Abwanderung ins Ausland erwägen, steigt weiter an. Im Jahr 2022 waren es noch 21 Prozent, letztes Jahr bereits 32 Prozent. Dieses Jahr erwägen nunmehr 37 Prozent eine Abwanderung oder Einschränkung. Deutlich zeigt sich hier ein Aufwärtstrend bei Industriebetrieben mit hohen Stromkosten (Der Wert steht aktuell 45 Prozent) und bei Industriebetrieben mit über 500 Mitarbeitern, von denen 51 Prozent Abwanderungs- oder Einschränkungstendenzen erwägen – 37 Prozent davon waren es im Jahr 2022 und 43 Prozent in 2023.

„In den bisherigen energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung sehen die Unternehmen keine Grundlage für eine Entwarnung. Angesichts der Bedeutung der Schlüsselbranche Industrie für den gesamten Wirtschaftsstandort sind das deutliche Alarmzeichen“, so Dercks im Rahmen der Studienvorstellung. Für die deutsche Industrie gebe es aktuell mehr Risiken als Chancen für die eigene Wettbewerbsfähigkeit.

Energiekosten hemmen Innovation, Bürokratie verhindert Transformation – auch Klima betroffen

Hohe Energiepreise bremsen die Investitionen der Unternehmen und damit deren Innovationsfähigkeit. Mehr als ein Drittel der Industriebetriebe investiert aufgrund der hohen Energiekosten weniger in betriebliche Kernprozesse, während ein Viertel der Unternehmen weniger in den Klimaschutz investieren kann. Zusätzlich hemmen Bürokratie und fehlende Planbarkeit die Transformation, da fast zwei Drittel der Unternehmen hierdurch ausgebremst werden. Die Bundesregierung beabsichtige zwar, Bürokratie abzubauen und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen, trotzdem sind bisher keine spürbaren Verbesserungen in der Praxis erkennbar: „Die Unternehmen sehen sich mit Vorgaben konfrontiert, die in der Praxis viel Zeit und damit Ressourcen kosten und dann für Transformation und Innovation fehlen“.

„Die Uhr tickt“: Deindustrialisierung von Deutschland längst im Gange

Laut DIHK brauche es von der Bundesregierung Lösungen zum Energieangebot und wettbewerbsfähige Preise sowie Planungssicherheit. Damit die Industrie in Deutschland eben doch ansässig bleibt. Dercks kritisiert damit auch die vorgestellte „Wachstumsinitiative“ der Bundesregierung – komplett gefehlt hätten nachhaltige Lösungen des Energieangebots und der Energiepreisfrage. Die Politik nehme die Sorgen der Betriebe nicht ernst. „Wer das nicht auf dem Schirm hat, kann irgendwann der Deindustrialisierung unseres Landes nur noch zusehen“. Es sei noch nicht zu spät, aber „die Uhr tickt“. Rund 80 Prozent der Betriebe fordere außerdem Steuersenkungen und günstigere Abgaben beim Strompreis.

Deutschland ist „Problemkind der Eurozone“: Immer mehr Firmen wandern ab

Hohe Energiepreise, anhaltende Konjunkturschwächen, schmelzende Auftragsbestände sind nur wenige Gründe, wieso sich die deutsche Wirtschaft im Krisenmodus befindet. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln bezeichnete Deutschland diese Woche sogar als „Problemkind der Eurozone“. Der Standort sei schlicht zu teuer, die Infrastruktur zu marode, die Bürokratie zu lähmend. Auf die Frühjahrsmüdigkeit folge die Sommerflaute.

Die Deindustrialisierung Deutschlands ist in vollem Gange“, meinte im Frühjahr bereits Harald Müller, Geschäftsführer der Bonner Wirtschafts-Akademie (BWA). Und auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, forderte erst kürzlich von der Politik bessere Standortbedingungen für Investitionen. „Große Reformen müssen her und eine Willkommenskultur für Industriebetriebe“. Denn die Meldungen von deutschen Unternehmen, die vermehrt ihren Standort ins Ausland verlagern, nehmen zu: BASF baut Stellen in Deutschland ab und investiert Milliarden Euro in China, Miele baut Standorte in Polen, Solarhersteller Mayer Burger verlässt Deutschland in Richtung USA. Nun muss die Politik tätig werden.

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