„Fachexpertise unwichtig“? Wie Merz sein Kabinett besetzen könnte
Debatte um neue Minister: Nach der Koalitionspräsentation bleibt die Frage offen: Wie wichtig ist Fachexpertise im neuen Kabinett von Union und SPD?
Berlin – Die Besetzung des künftigen Kabinetts von Friedrich Merz (CDU) sorgt nach der Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags mit den Sozialdemokraten für Diskussionen. Während Union und SPD die Ressortverteilung bereits geklärt haben, stellen sich manche die Frage: Wie viel Fachwissen braucht ein Minister?
Nach Einigung auf Koalitionsvertrag: Wie Merz sein Kabinett besetzen will
Der Politologe Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel bringt es gegenüber n-tv auf den Punkt: „Fachexpertise ist unwichtig. Fachleute können sogar eher ein Problem sein, wenn sie meinen, alles besser zu wissen.“ Stattdessen zählten ein „guter Auftritt, Kooperationsfähigkeit und Durchsetzungsvermögen“ – eine Aussage, die Merz‘ Personalstrategie prägen könnte.
Historische Beispiele untermauern Schroeders These: 1998 scheiterten Gerhard Schröders Pläne mit Unternehmer Jost Stollmann, stattdessen wurde der parteilose Werner Müller Wirtschaftsminister – ein Politneuling, der bereits im zweiten Kabinett Schröders nicht mehr berücksichtigt wurde. 2005 gestand Ex-Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU), schreibt n-tv.de: „Ich wusste damals nicht mal, wo dieses Wirtschaftsministerium genau stand.“
Auch Angela Merkel vertraute 2018 auf Anja Karliczek (CDU) als Bildungsministerin – obwohl deren Expertise bei den Finanzen lag. Schroeder erklärt: „Karliczek war auch jemand, der den Mächtigen in der CDU im innerparteilichen Machtwettbewerb nicht im Weg stand.“
SPD sichert sich in Merz-Koalition wichtige Ministerien
Wer nun konkret die Bundesressorts leiten wird, bleibt vorerst noch abzuwarten. Die SPD besetzt überraschend sieben Ministerien – trotz eines mauen Ergebnisses bei der Bundestagswahl von nur 16,4 Prozent. Lars Klingbeil (SPD) soll dem Vernehmen nach Finanzminister und Vizekanzler werden, Boris Pistorius (SPD) bleibt wohl Verteidigungsminister. Für das Amt des Außenministers kursieren Namen wie Johann Wadephul (CDU) oder Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU).
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Die SPD sicherte sich zentrale Häuser wie Finanzen, Justiz und Umwelt. Als zukünftige Justizministerin wird die Brandenburgerin und ehemalige Richterin Sonja Eichwede (SPD) als Favoritin gehandelt – ein unbeschriebenes Blatt auf Bundesebene, wie die Berliner Morgenpost schreibt. Die Union übernimmt dagegen Innen-, Wirtschafts- und das neue Digitalministerium. Letzteres, ein Prestigeprojekt Merz‘, soll die Faxgerät-Ära endgültig beenden und die Verwaltung modernisieren. Als Digitalministerin wird Kristina Sinemus (CDU) gehandelt.
Fachexpertise bei Ministern laut Politologen weniger relevant
Die mögliche Abkehr von der reinen Fachorientierung spiegelt sich in einer Studie (2024) der Unternehmensberatung Horváth wider: Nur 24 Prozent der Führungskräfte in Bundesministerien haben Wirtschafts- oder MINT-Expertise, 58 Prozent keine Berufserfahrung in der Privatwirtschaft. Simon Arne Manner, Co-Autor der Studie, warnt: „Ein Vergleich der Lebensläufe und Hintergründe von Verantwortlichen in Ministerien mit denen von Führungskräften in deutschen Konzernen macht deutlich: Es existieren zwei Welten mit immer weniger Berührungspunkten.“
Dennoch verteidigt Schroeder gemäß n-tv.de den Kurs: „Ein guter Auftritt, die richtige Ansprache, Kooperationsfähigkeit, eine schnelle Auffassungsgabe und Durchsetzungsfähigkeit - all das ist wichtiger als Fachwissen, das ist gouvernementales Kompetenzwissen.“ Ein Risiko bleibt indes: Ohne Praxiserfahrung könnten Projekte wie die geplante Staatsmodernisierung im Bürokratie-Dschungel steckenbleiben.
Merz betonte bei der Vertragspräsentation: Mit Lars Klingbeil, Saskia Esken und Markus Söder sei „ein gutes persönliches Vertrauensverhältnis entstanden.“ Doch bis zur finalen Kabinettsliste Ende April bleibt Raum für Spekulationen – und vielleicht fachfremde Überraschung.