So alt und so gesund: Die Bürgermeister-Finsterwalder-Linde

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Stumme Zeitzeugen sind Linden, die oftmals in der Ortsmitte gepflanzt wurden. Unter ihrer Krone wurde getanzt und auch Gericht gehalten. Dieses besonders schöne Exemplar steht am Loisachufer in Wolfratshausen und ist ein Naturdenkmal. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Wo steht der höchste Baum im Landkreis? Welcher ist der dickste? Unter dem Titel „Von der Wurzel bis zur Krone“ stellen wir besondere Exemplare in loser Reihenfolge vor. Heute: Die Bürgermeister-Finsterwalder-Linde in Wolfratshausen.

Wolfratshausen – Was mag diese prominente Linde, die seit 200 bis 250 Jahren im Wolfratshauser Stadtzentrum unweit des Loisachufers steht, schon alles miterlebt haben: Kriege, Krankheitsepidemien und Gerichtsverhandlungen, Friedenszeiten, Feste und Hochzeiten. Sie ist ein stummer Zeitzeuge und sie wird, weil sie immer noch sehr vital ist, mutmaßlich ein sehr hohes Alter erreichen – bis zu 1000 Jahre sind möglich.

Seit 1991 ein Naturdenkmal

Die Linde, die Förster Robert Nörr unserer Zeitung heute vorstellt, trägt sogar einen Namen. Unter der Ägide von Bürgermeister Peter Finsterwalder wurde der etwa 25 Meter hohe Baum zum Naturdenkmal erklärt, berichtet Annalena Beischl vom Referat Planen und Umwelt im Wolfratshauser Rathaus beim Ortstermin. „Wegen ihrer Schönheit, ihrer Eigenart und dem landschaftsprägenden Charakter ist sie unter Schutz gestellt worden“, sagt Beischl. Die Verordnung trat 1991 in Kraft. Damals war Peter Finsterwalder Bürgermeister von Wolfratshausen. Deshalb wird der Baum auch Peter-Finsterwalder-Linde genannt. Ein Stadtbaum werde aufgrund äußerer Einflüsse oftmals nicht sehr alt. „So alt und so gesund, das ist schon besonders“, sagt Beischl. Zuletzt sei der Baum im Januar kontrolliert und als sehr vital eingestuft worden.

Mittelpunkt im Dorf

„In unserer Kulturgeschichte ist die Linde wohl der bedeutsamste Baum“, ergänzt Förster Nörr. „Schon die Germanen weihten den Baum ihrer höchsten Göttin Freia.“ Deshalb sollte der Marktplatz jedes Dorfes eine Linde haben. Die Christen tauschten zu späterer Zeit die unter den Linden aufgestellten Freia-Statuen gegen Darstellungen der Jungfrau Maria aus. Im Schatten der Dorflinde spielte sich das gesellschaftliche Leben ab: Dort wurde gefeiert, getanzt und geheiratet. „Es gab sogar extra sogenannte Tanzlinden“, berichtet der Wolfratshauser. „Diese meist sehr alten Linden trugen ein Podest, das zum Tanzen genutzt wurde.“

Der Gerichtstag und der Dienstag

Unter Linden wurde aber auch Gericht gehalten. An einem Thing-Tag, von welchem sich wohl der Name des Dienstags ableitet, wurde der zuvor „thingfest“ (dingfest) Gemachte verurteilt und zuweilen „gleich an der Dorflinde aufgehängt. Das war aber eher die Ausnahme.“ Galt die Linde – anders als die Stieleiche – doch als weibliches Wesen, weshalb das Urteil unter der Linde meist „lind“, also milde ausfiel. „Auch war es üblich, die Unschuld des Angeklagten zu beweisen, indem er eine Linde umgekehrt einpflanzen musste. Grünte die Linde dann an der Wurzel, war seine Unschuld bewiesen.“

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Nach Kriegen oder Pestepidemien gab es den Brauch, sogenannte Friedenslinden zu pflanzen. Die meisten erhaltenen Exemplare erinnern an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, einige noch an den Westfälischen Frieden von 1648. „Aber auch viele Städte verdanken der Linde ihren Namen, zum Beispiel Lindau am Bodensee oder auch der Ort Linden bei Dietramszell.“ Laut Nörr gibt es in Deutschland insgesamt etwa 850 Orte, deren Namen auf den Baum zurückzuführen sind. Linden werden außergewöhnlich alt. Die bekanntesten in der Gegend sind die 1000-jährige Tassilo-Linde in Wessobrunn und die etwa 870 Jahre alte Hindenburg-Linde in der Ramsau bei Berchtesgaden.

„Lindes“ und „heiliges“ Holz

Schon zu früher Zeit habe man das weiche, „linde“ (daher wohl der Name), dennoch aber feste Holz des Baums zum Schnitzen genutzt. Aufgrund der häufigen Verwendung in der Sakralkunst wurde es Nörr zufolge auch als „Heiligenholz“ bezeichnet. Heutzutage werde es in der Bildhauerei und in der Spielzeugherstellung verwendet. „Das helle Holz mit seiner feinen, ebenmäßigen Struktur ist besonders für die Darstellung von Gesichtszügen sowie zum Einfärben und Lackieren geeignet.“ In der Möbelindustrie ersetze Lindenholz teilweise das teure Nussbaumholz. „Qualitativ hochwertiges Holz wird daher gar nicht so schlecht bezahlt“, sagt der Experte.

Baum für Kahlflächen und Schutzwälder

Wirtschaftlich gesehen spielen die beiden Lindenarten (Sommer- und Winterlinde) derzeit eine eher untergeordnete Rolle. Die Qualitäten des Baums liegen woanders: Das Laub ist wertvoller Naturdünger. Es enthalte viel Magnesium sowie Kalzium und nur wenig organische Säuren. Die Linde werde als Beimischung zu Ahorn, Esche oder Eiche geschätzt. Sie beschatte die wertvollen Stämme der Edellaubbäume und verhindere, dass die am Stamm vorhandenen Knospen – die sogenannten schlafenden Augen – austreiben, sich zu Ästen entwickeln und damit den Stamm entwerten. Auch die unerwünschte Brombeere oder das wild wuchernde Springkraut würden wirkungsvoll unterdrückt, so Nörr. Wegen ihrer geringeren Empfindlichkeit gegenüber Frost und Mäusen seien Linden oft der Buche oder Hainbuche vorzuziehen.

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In tiefer liegenden Bodenschutzwäldern und den unteren Berglagen seien die tief reichenden Wurzeln der Linden zur Bodenbefestigung geschätzt. „Noch wichtiger ist, dass nach einer Beschädigung oder Fällung des Baumes aus dem Wurzelstock zahlreiche neue Triebe herauswachsen“, erklärt Nörr. „Kahlflächen wachsen damit sehr rasch wieder zu.“ In früheren Zeiten wurde diese Fähigkeit der Linde genutzt, in sogenannten Nieder- und Mittelwäldern in 20- bis 30-jährigem Abstand alle Bäume für Brennholzzwecke zu entnehmen. „Dass diese Gedanken nicht von gestern sind, zeigen viele zukunftsweisende Energiekonzepte, die auf solche stockausschlagsfähigen Bäume zur Gewinnung von Holzenergie setzen.“ Auch mit Blick auf den Klimawandel würden die Linden zu den Gewinnern gehören.

Linderung bei Krankheiten

Bekanntlich sorgt ein Lindenblütentee bei grippalen Infekten durch seine schweißtreibende Wirkung für „Linderung“. In Volksbräuchen spielte der Lindenbaum eine große Rolle. „Man sagte beispielsweise, ein Kind bekäme nie Zahnweh, wenn sein erster Brei mit Lindensprossen angerührt wäre“, erzählt Nörr. Bei Vergiftungen wurde verkohltes Lindenholz als Medizin verabreicht.

Steckbrief

Nadel: herzförmig; Unterseite rötlich (Winterlinde), weiße Haare (Sommerlinde);

Rinde: junge Rinde glatt, später rissig und rau;

Früchte: kugelartige Samen an herabhängenden Dolden, ein Flügelblatt;

Wurzel: intensives, tiefgehendes Wurzelwerk;

Höhe: maximal 35 Meter;

Altersgrenze: bis 1000 Jahre möglich;

Vorkommen im Landkreis: wärmere und tiefere Lagen, in Isar- und Loisacheinhängen und -auen;

Holzeigenschaften: weich, hervorragend bearbeitbar, im Außenbereich wenig dauerhaft;

Holzpreis: in der Regel Brennholz, Wertholz (selten) bis zu 250 Euro pro Festmeter.

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