Experte zerlegt Nato-Plan: „Zahl der wirklich kampfbereiten Truppen ist sehr bescheiden“

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Ein neuer Ansatz könnte der Ukraine den ersehnten Schutz bringen. Doch genau das macht den Nato-Plan so riskant – und unwahrscheinlich, glaubt ein Historiker.

Kiew – Die Ukraine hat ihre Nato-Mitgliedschaft zu einem wichtigen strategischen Ziel erklärt. Sollte das Land in das Bündnis aufgenommen werden, so die Hoffnung, wäre es künftig umfassend vor russischen Aggressionen geschützt. Bisher war das allerdings stets ein ferner Traum; auch lange vor den erneuten Absagen durch US-Regierung unter Donald Trump. Jetzt könnte ein neuer Plan der europäischen Staatschefs frischen Wind in die Angelegenheit bringen. Doch das Vorhaben wird wohl auch deshalb scheitern, weil die Ukraine dann faktisch in die Nato aufgenommen würde.

Für Kiew ist die Hoffnung auf einen Nato-Beitritt zentraler Bestandteil des Plans, eine Zukunft innerhalb der Europäischen Union zu sichern. Die Nato hat der Ukraine seit mindestens 2008 eine eventuelle Mitgliedschaft versprochen, jedoch ohne einen Zeitplan zu nennen. Im Jahr 2022, nach der Invasion Russlands, beantragte das Land dann offiziell eine Aufnahme in das Bündnis. Allerdings war es immer unwahrscheinlich, dass eine solche erfolgen würde, bevor der Ukraine-Krieg beendet ist.

Macron-Starmer-Plan für Bodentruppen in der Ukraine: Wäre das Land damit „de facto“ Nato-Mitglied?

Nach Ansicht des Militärhistorikers Sönke Neitzel birgt eine aktuelle Entwicklung in der europäischen Politik aber das Potenzial, der Ukraine auch ohne offiziellen Beitritt einen solchen Schutz des Bündnisses zuteilwerden zu lassen. Gleichzeitig macht dies ihm zufolge die Umsetzung des Vorhabens unmöglich.

Konkret geht es dabei um den Plan des französischen Premierministers Emmanuel Macron und des britischen Premierministers Keir Starmer, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Würde dies umgesetzt, „wäre die Ukraine de facto in der Nato“, wie Neitzel gegenüber dem Stern verdeutlichte. Doch gerade das sei auch der Knackpunkt solcher Gedankenspiele. „Putin wird niemals europäische Truppen in der Ukraine akzeptieren– noch dazu gut bewaffnet und mit Luftabwehr“, ist der Militärhistoriker überzeugt.

Trump und der Ukraine-Krieg: Welche Folgen ein erzwungener Waffenstillstand haben könnte

Den britisch-französischen Vorstoß wertet Neitzel daher als bloßes „politisches Argument gegenüber Trump, um sich wieder an den Verhandlungstisch zu bringen“. In Europa sei man besorgt, zwischen den Großmächten zerrieben zu werden. Daher wolle man Stärke demonstrieren. Obendrein sei zweifelhaft, dass die Nato eine 30.000 Mann starke Truppe überhaupt entbehren könnte. „Die Zahl der wirklich kampfbereiten Truppen ist sehr bescheiden“, so der Historiker. Sende man Soldaten in die Ukraine, müsse man diese an anderer Stelle einsparen, beispielsweise im Baltikum.

Hintergrund der Überlegungen sind die Versuche von US-Präsident Donald Trump, einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine zu erzwingen. In Europa gibt es jedoch Befürchtungen, dass dabei vor allem die Ukraine Zugeständnisse machen müsste. Ohne glaubwürdige Sicherheitsgarantien könnte sie dann bald erneut von Russland angegriffen werden. Frankreich und Großbritannien arbeiten daher bereits seit Längerem mit anderen Unterstützerstaaten an einem Sicherheitskonzept für die Ukraine. Dieses soll beim Gipfeltreffen der sogenannten „Koalition der Willigen“ am Donnerstag (27. März) in Paris vorgestellt werden. Macron hat dazu auch den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj eingeladen.

Wird die Ukraine bald „de facto“ zur Nato gehören?
Wird die Ukraine bald „de facto“ zur Nato gehören? © IMAGO/Christophe Ena/Pool/Bestimage

Gipfeltreffen in Paris: Macron und Starmer wollen neues Sicherheitskonzept für die Ukraine vorantreiben

Macron und Starmer hatten sich in der Vergangenheit grundsätzlich offen dafür gezeigt, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden. Russland hat jedoch unmissverständlich klargemacht, dass es die Präsenz von Nato-Soldaten in der Ukraine nicht akzeptieren werde. Inzwischen erwägen die westlichen Unterstützerstaaten der Ukraine daher eine entmilitarisierte Zone an der Grenze zwischen Russland und der Ukraine. Wie die dpa berichtet, soll diese vorrangig aus der Luft sowie mit technischen Mitteln wie Satelliten und Drohnen überwacht werden. Darüber hinaus sei vorstellbar, dass Marineeinheiten eingesetzt werden, um die Schifffahrtsfreiheit im Schwarzen Meer sicherzustellen.

Eine klassische Friedenstruppe werde, falls sie überhaupt zustande komme, ausschließlich durch die Vereinten Nationen mobilisiert und nur aus Soldaten neutraler Drittstaaten bestehen. Europäische Streitkräfte könnten dem Bericht zufolge stattdessen entlang der ukrainischen Westgrenze stationiert werden. Von dort aus könnten sie unter anderem Ausbildungsprogramme für ukrainische Soldaten zu organisieren. Als übergeordneter Sicherheitsgarant komme die atomare Supermacht USA infrage. (tpn)

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