Vor zwei Monaten gab es in Afghanistan ein Erdbeben. Aus den Trümmern gerettet wurden fast nur die Männer. Denn laut den Regeln der Taliban dürfen Männer Frauen, die nicht zu ihrer Familie gehören, nicht anfassen. Sogar tote Frauen wurden nur an ihrer Kleidung aus den Trümmern gezogen. Hautkontakt gilt nun mal als ein schlimmes Übel.
Im Iran wacht die Sittenpolizei darüber, ob eine Haarsträhne aus dem Kopftuch ragt. Entblößte Haare und Körperkonturen sind tabu, sagen dort die islamischen Vorschriften. Wer Pech hat, endet wie die 22-Jährige Mahsa Amini, die 2022 in Polizeigewahrsam starb, nachdem sie von der Moralpolizei festgenommen worden war. Und in Ländern, in denen die Unterdrückung der Frau einem immerhin nicht offen ins Gesicht springt, ist ein streng traditionelles Familienleben Alltag. Heimchen am Herd ist da keine freie Entscheidung, sondern alternativlos.
Wie halten es Migranten mit den Frauenrechten?
Ich finde also – bei aller Jammerei – haben wir es in Deutschland nicht allzu schlecht. Vor allem für Frauen ist unser Land heutzutage ein vergleichsweise angenehmes Pflaster. Es hat zwar Jahrhunderte gebraucht, aber die ganz großen Kämpfe wurden bereits gekämpft. Wir sind sogar schon so weit, dass sich Frauen beschweren, wenn das Gendersternchen zu kurz kommt. Schön.
Um auch noch das letzte bisschen Patriarchat zu besiegen, legen sich Feministinnen nun auch mit absurden Debatten ins Zeug. Nur bei einem Punkt neigen viele dazu, erstaunlich wenig hinzuschauen: der Frage, welches Verständnis von Gleichberechtigung manche zugewanderten Männer mitbringen – insbesondere jene, die in stark patriarchal geprägten Gesellschaften aufgewachsen sind.
Die im schlimmsten Fall die Gehirnwäsche der Taliban getankt haben, Frauen als minderwertig und unverhüllt als Objekt der Unmoral betrachten. In deren Weltbild es längst nicht darum geht, ob genug Frauen in Chefpositionen sind, sondern darum, ob Frauen überhaupt arbeiten dürfen. Wer bringt diesen Männern den Feminismus bei?
„Femonationalismus“ – das neuste fiese Etikett
Ich warte schon länger darauf, dass progressive Kreise darauf eine plausible Antwort parat haben. Bisher war Totschweigen die Taktik. Offensichtlich glaubt man in diesen Kreisen gern an das Märchen, Männer aus frauenverachtenden Systemen hätten all ihre Prägungen beim Grenzübertritt abgelegt.
Angestoßen durch die „Stadtbild“- bzw. die „Fragen Sie Ihre Töchter“-Debatte habe ich durch Presseberichte in den letzten Tagen gelernt, dass es für Leute wie mich, die sich der obigen Frage nicht erwehren können, zwar keine Antwort, aber ein neues fieses Wort gibt: den Begriff des „Femonationalismus“.
Wer Frauenrechte verteidigt, „instrumentalisiert“ sie angeblich
Ausgedacht hat sich das Wort vor einigen Jahren die britische Soziologin Sara R. Farris. Ihre These: Wer feministische Ideale bemüht, um vor frauenfeindlichen Einstellungen unter Zugewanderten zu warnen, missbrauche den Feminismus für rassistische Kampagnen. Feminismus sei also nur ein Vorwand, um gegen Zugewanderte zu hetzen.
Was das heißen soll? Dass nicht die Frauen geschützt werden müssen. Sondern der migrantische Mann vor den Rassisten, die ihm Frauenverachtung und Sexismus unterstellen. Migrationsbewegte Kreise lieben eben die Täter-Opfer-Umkehr.
Auch die sprachliche Spitzfindigkeit ist wieder einmal beeindruckend: Wer sich für den „guten“ Feminismus stark macht – also gegen „Catcalling“ oder toxische Männlichkeit – „engagiert“ sich für Frauenrechte. Wer patriarchale Strukturen unter Migranten anspricht (also „Femonationalist“ ist), „instrumentalisiert“ oder „missbraucht“ den Feminismus.
Der nächste Maulkorb: „homonationalistisch“
Auch die LGBTIQ-Community bleibt von alldem nicht verschont. Denn auch Zweifler aus ihren Reihen hatten schon Bedenken in Sachen Zuwanderung angemeldet. Sie fürchten, dass sie das Nachsehen haben könnten bei zu viel Zustrom aus nicht-westlichen Ländern. Deshalb haben auch sie einen Maulkorb, pardon, ein Etikett aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm verliehen bekommen: „homonationalistisch“ heißt es in ihrem Fall.
Das Prinzip funktioniert wie bei den Frauen: Wer sich sorgt, dass Einwanderung aus erzkonservativen Regionen zu homophoben Tendenzen führen könnte, der „benutzt“ queere Rechte nur, um Migranten zu diffamieren. Natürlich.
Über die Kolumnistin
Julia Ruhs ist Journalistin, vor allem beim Bayerischen Rundfunk. Sie ist Teil jener Generation, die vor Klimaaktivisten, Gender-Bewegten und Zeitgeist-Anhängern scheinbar nur so strotzt. Sie will denjenigen eine Stimme geben, die sich darin nicht wiederfinden und sich oft allein fühlen mit ihrer Meinung. Wenn alle das gleiche zu denken scheinen, verspürt sie Unwohlsein.
Kampf gegen das Patriarchat, aber nur gegen das westliche
Was man aus all dem Irrsinn lernt: Kritik an westlichen Männern – kein Problem. Kritik an migrantischen Macho-Kulturen? Ganz dünnes Eis. Schnell klingt es dann nach kolonialer Überheblichkeit. Wenn das Patriarchat kritisiert wird, dann selbstverständlich nur das „eigene“, westliche.
Man konzentriert sich also gern auf die leichten Ziele: Stürzt sich mit Vorliebe auf die „Tradwifes“ – junge Frauen, die auf Social Media das traditionelle Familienleben idealisieren. Schlimm, schlimm, las man die letzten Monate in zig Medien rauf und runter. Vieles, was sie auf Social Media posten, ist auch befremdlich. Doch was ist mit dem oft viel konservativerem Frauenbild vieler Zugewanderter? Deren Vorstellung vom einzig richtigen Frauenleben – verheiratet, häuslich, viele Kinder – wird kritiklos hingenommen. Soll das etwa die viel bekundete kulturelle Vielfalt sein, die wir auch noch feiern sollen?
Die bizarre Wiedergeburt des Kopftuchs
Auch das Kopftuch erlebt gerade eine bizarre Wiedergeburt. Der österreichische „Standard“ veröffentlichte letztens auf seiner Instagram-Seite ein Foto zum Frauenstreik am 24. Oktober. Erinnern wollte er damit an die historische Arbeitsniederlegung von Frauen vor 50 Jahren in Island. Abgebildet auf dem Post: eine Frau mit verschränkten Armen und – Kopftuch. Während das Kopftuch in anderen Staaten der Erde Zwang ist, wird es von einer hiesigen Zeitung als Zeichen von Selbstbestimmung und Feminismus inszeniert. Das ist nichts anderes als purer Hohn.
Während Islamisten wie im Iran gegen eine Verwestlichung ihrer islamischen Sitten kämpfen, hat offenbar nicht einmal der Westen selbst noch Ansporn genug, westlich zu bleiben. Zu sehr fürchtet man, kulturell nicht inklusiv genug zu sein.
Die Totengräber westlicher Werte
Ich habe letztens einen guten Kommentar dazu in der „Neuen Zürcher Zeitung“ gelesen. Darin schreibt der Autor Thomas Ribi, dass die größte Gefahr für den Westen gar nicht von außen komme – sondern vom Westen selbst ausgehe:
- „Von seiner Fähigkeit zur Selbstkritik, die seine größte Stärke ist, aber zur Schwäche werden kann, wenn sie ausgenützt wird.
- Von einer Linken, die, angestachelt von der postkolonialen Kritik, das westliche Erbe pauschal unter Verdacht stellt.
- Von einer Rechten, die universalistische Prinzipien ablehnt und die Demokratie schlechtredet.“
Und, wie er schreibt: „Von einer Gesellschaft, die den Wert der Freiheit nicht mehr schätzt, weil sie sie für selbstverständlich hält.“
Ich befürchte, da ist sehr viel dran.