Fakten über drei Nazis aus Dorfen
Dorfen - Nach ihrer Recherche geht die Geschichtswerkstatt an die Öffentlichkeit: Drei Mitglieder veröffentlichen Aufsätze über drei Persönlichkeiten, die im Nationalsozialismus tragende Rollen innehatten und danach in Dorfen als geachtete Bürger galten.
Vor dem Sitzungssaal im Rathaus hängen Bilder von allen Stadtchefs ab 1945. „In den 1950er Jahren war Georg Erhard Bürgermeister, ebenso von 1933 bis 1945, er trägt auf dem Foto sogar noch ein Hitler-Bärtchen“, wundert sich Lukas Huge. Irritiert hat sich der 23-jährige Dorfener, der an der Musikhochschule in München studiert, an die Heimatzeitung gewandt: „Dieses Porträt finde ich echt kritisch und unangebracht.“ Die meisten Dorfener wüssten vermutlich nichts von dieser posthumen Würdigung eines NS-Ortsgruppenführers.
Die ausführliche Vita des ehemaligen Bürgermeisters Erhard kann jetzt nachgelesen werden. Schorsch Wiesmaier, Vorsitzender der Geschichtswerkstatt Dorfen, hat dessen Geschichte in dem Buch „Helfer Täter Trittbrettfahrer – NS-Belastete aus Oberbayern“ beschrieben. Auch findet sich ein ausführlicher Bericht von ihm über Josef-Martin Bauer im 17. Band dieser Reihe, die Dr. Wolfgang Proske aus Kelheim herausgibt.
Ein berühmter Sohn der Stadt
Arthur Dittlmann, Radiomoderator beim Bayerischen Rundfunk, packte zudem seinen Beitrag über Bauers bekannten Roman „So weit die Füße tragen“ in schriftliche Form, Hans Elas beschäftigte sich mit dem SS-Sturmbannführer Albert Hartl. „Drei aktive Nazis aus Dorfen und Umgebung, und keiner von ihnen zeigte Reue“, so die Autoren.
„Wir würden wir uns heute nicht mit Bauer, Erhard oder Hartl beschäftigen, hätten sie sich nach 1945 mit kritischen Äußerungen zum NS-Regime geäußert“, fügt Wiesmaier an. Im Gegenteil, die drei Akteure stellten sich sogar noch als Opfer dar: „Das wollen wir so nicht stehen lassen“, meint der Lokalhistoriker. Schließlich sei es nach wie vor von Bedeutung, mit wem sich ein Ort identifiziere.
Aus Josef-Martin Bauers Feder stammt der Welterfolg „So weit die Füße tragen“ mit zwei Millionen verkauften Exemplaren, zudem wurde der Stoff verfilmt. Er ist einer der berühmtesten Söhne der Stadt, Dorfener Ehrenbürger und Träger des Bayerischen Verdienstordens sowie des Ehrenrings des Landkreises Erding.
Arthur Dittlmann stieß ihn sozusagen vom Sockel. „Als Rundfunkredakteur habe ich natürlich immer nach Berichten aus der Region gesucht. Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers machte ich dann eine Sendung.“ Ihn habe der Roman „So weit die Füße tragen“ sehr fasziniert. „Da kämpft sich einer von Sibirien nach München zurück – sehr spannend geschrieben.“ Der Dorfener erinnert sich: „Das war eine Heldengeschichte, ein irres Abenteuer.“ Vielen Menschen, die 1955 noch vermisste Angehörige in Gefangenschaft hatten, gab das Buch Hoffnung, andere faszinierte das Thema: „Wie Karl May, nur spielte die Geschichte nicht im Wilden Westen, und dessen Autor lebte in Dorfen.“
Der Journalist ging ins Hauptstadtarchiv, um zu recherchieren. Genau zu dieser Zeit wurde der Spruchkammerakt Bauers frei. Schnell wurde Dittlmann klar: „Bauer war Parteimitglied der NSDAP und Nutznießer des Nazi-Systems.
Bereits 2001 kamen also Zweifel an der Integrität Bauers auf. Dittlmann wurde als Nestbeschmutzer beschimpft, sah sich persönlichen Angriffen ausgesetzt. Viele Dorfener waren empört. „Da kam einer und hat am Image des bekannten und verehrten Josef Martin Bauer gekratzt“, erklärt Wiesmaier, der sich in der Geschichtswerkstatt Dorfen schwerpunktmäßig mit der Zeit der lokalen NS-Geschichte beschäftigt.
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Im Buch veröffentlicht er Fakten: „Bauer war ein Profiteur des NS-Regimes, er verdiente um die 40 000 Reichsmark, weit über das Zehnfache des Jahresgehalts eines Lehrers, mit seiner Propaganda für die NSDAP.“ Sowohl Bauer als auch Bürgermeister Erhard tischten im Spruchkammerverfahren Lügen auf, bemängelt Wiesmaier.
Das waren alles Säulenheilige in Dorfen.
Über den Ortsgruppenführer Erhard schreibt Wiesmaier, dass er „ein Musterbeispiel für einen Opportunisten“ war: von 1933 bis 1945 Bürgermeister, zuvor Mitglied der Bayerischen Volkspartei. 1941 trat der Dorfener aus der katholischen Kirche aus, nach dem Krieg bekannte er sich wieder zum katholischen Glauben.
Erhard wurde nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus 27 Monate in Moosburg interniert und war von 1952 bis zu seinem Tod 1955 noch einmal Bürgermeister in Dorfen. Die Geschichtswerkstatt hat Dokumente gefunden, die belegen, wie er persönlich dafür gesorgt hatte, dass Dorfener Bürger ins damalige KZ Dachau kamen.
Vom SS-Mitglied zum geachteten Bürger
Hans Elas von der Geschichtswerkstatt, ebenfalls pensionierter Lehrer, widmet sich Albert Hartl, der in der Bevölkerung zwar so gut wie unbekannt ist, dessen Werdegang jedoch gleichermaßen außergewöhnlich wie exemplarisch ist. Hartl wuchs in Hofkirchen auf, ebenso wie Elas. Nach der Priesterweihe 1929 wurde Hartl Lehrer und geistlicher Präfekt im katholischen Knabenseminar in Freising. Es folgten seine Abkehr von der Kirche, seine Hinwendung zu den Nazis und 1933 der Beitritt in die SS. Im NS-Regime war Hartl an führender Stelle im Reichssicherheitshauptamt dafür mitverantwortlich, dass katholische Geistliche in Konzentrationslager kamen. Auch er war später ein geachteter Bürger.
„Das waren alles Säulenheilige in Dorfen“, erzählt Dittlmann. Ihm sei es wichtig, „diese Persönlichkeiten auf den Boden zu stellen“, beschreibt er seine Motivation. „Ich wünsche mir, dass man aus der Geschichte lernt, wie gefährlich es ist, sich mit solchen Systemen einzulassen.“ Und Wiesmaier ergänzt warnend: „Bauer, Erhard und Hartl kamen aus der Mitte der Gesellschaft – was einmal geschah, kann wieder geschehen.“