General legt sich mit Selenskyj an – und fordert mehr Soldaten im Krieg gegen Russland
Zwischen Selenskyj und seinem Armeechef gibt es Meinungsverschiedenheiten – auch wegen der Rekrutierung. Jetzt wird Saluschnyj wohl entlassen.
Kiew – Laut dem Armeechef der Ukraine, Walerij Saluschnyj, muss die Ukraine sich auf eine Verringerung der Militärhilfe ihrer wichtigsten Verbündeten einstellen und sich noch stärker auf Technologie konzentrieren. Zudem fordert er seinen politischen Vorgesetzten, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, auf, seiner Forderung nach der Einberufung von bis zu 500.000 Soldaten nachzukommen.
Der in der Ukraine beliebte General, der zahlreichen Berichten zufolge in den nächsten Tagen entlassen werden soll, äußerte sich am Donnerstag (1. Februar) in einem Gastbeitrag für das US-Newsportal CNN zum Ukraine-Krieg. „Wir müssen anerkennen, dass der Feind einen beträchtlichen Vorteil bei der Mobilisierung von Humanressourcen genießt und dass die staatlichen Institutionen in der Ukraine nicht in der Lage sind, die Personalstärke unserer Streitkräfte ohne den Einsatz unpopulärer Maßnahmen zu verbessern“, so Saluschnyj dort. Damit legt er sich direkt mit Wolodymyr Selenskyj an.

Saluschnyj will 500.000 Menschen einberufen – und ist Selenskyjs einziger ernstzunehmender Rivale
Die geforderte Massenmobilisierung ist bereits seit längerem eine Quelle von Spannungen zwischen ihm und dem ukrainischen Präsidenten. Saluschnyj vertritt seit einiger Zeit die Auffassung, dass möglicherweise eine halbe Million Menschen einberufen werden müssen, wenn Kiew der überwältigenden Übermacht Russlands etwas entgegensetzen möchte. Dieser Streit ist nun, inmitten zunehmender Befürchtungen über die Zusage des Westens, Kiew weiterhin finanziell zu unterstützen, in die Öffentlichkeit gedrungen. Zwar konnte sich die EU am Donnerstag (1. Februar) schlussendlich auf ein 50-Milliarden-Euro-Paket für Kiew einigen. Es bestehen jedoch weiterhin Bedenken, dass sich die Genehmigung neuer Hilfen durch die USA weiter verzögern könnten.
Während Selenskyj im Ausland unbestritten das Gesicht der Ukraine ist, rivalisiert Saluschnyj in der Ukraine mit der Popularität des Präsidenten. Sein Gesicht ist dort auf Plakaten und in Internet-Memes allgegenwärtig, wie der britische Guradian berichtet. Diese rivalisierende Popularität sei es, die den Kern der aktuellen Krise ausmache, sagte der Oppositionsabgeordnete und Saluschnyj-Verbündete Oleksij Hontscharenko gegenüber der Zeitung. Selenskyj wolle „der einzige Star in der Show sein“.
Der General hatte die schleppende Gegenoffensive kritisiert – nun könnte er entlassen werden
Saluschnyj wurde im Juli 2021 zum Chef der ukrainischen Streitkräfte ernannt, also zu einem Zeitpunkt, als die Ukraine bereits sieben Jahre mit russischen Übergriffen auf seine östlichen Provinzen zu kämpfen hatte. Dem Guardian zufolge gilt er als die Verkörperung des militärischen Wandels der Ukraine von der Sturheit der Sowjetzeit zu westlicher Modernität. Im letzten Sommer kam es jedoch zu ersten Konflikten mit Selenskyj, weil der General die schleppende Gegenoffensive der Ukraine gegenüber dem Economist als Sackgasse bezeichnet hatte. Dieses Interview habe das Präsidialamt zwar verärgert, der Beliebtheit Saluschnyjs laut Meinungsumfragen jedoch keinen Abbruch getan, so die Zeitung weiter.
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Jetzt soll der Oberbefehlshaber entlassen werden, ein Schritt, von dem Oleksij Hontscharenko befürchtet, dass er „der Moral der Gesellschaft schaden wird“, auch wenn er auf dem Schlachtfeld wahrscheinlich keine Auswirkungen haben werde. Laut CNN wurde Saluschnyj am Montag (29. Januar) Montag zu einem Treffen im Büro von Herrn Selenskyj einberufen, um über seine Entlassung informiert zu werden. Er habe einen anderen Posten angeboten bekommen, diesen aber abgelehnt. Der ukrainische Präsident werde die Entlassung des Generals, die die größte Umstrukturierung des Militärs seit der russischen Invasion wäre, bis zum Ende der Woche bekannt geben, hieß es weiter.
Zum Sieg, trotz schwindender Militärhilfen: Saluschnyjs Drei-Punkte-Plan für den Ukraine-Krieg
Der Gastbeitrag des Armeechefs für CNN wurde allerdings vor der bereits erwarteten Ankündigung seiner Entlassung verfasst und geht weder auf diese, noch auf seine Beziehung zum Präsidenten ein. Stattdessen versucht der militärische Befehlshaber dort, auf einer Argumentation in einem vor drei Monaten im Economist veröffentlichten Essay aufzubauen, und äußert sich erstmals zu einer Reihe von politischen Rückschlägen im In- und Ausland. Saluschnyj macht sich für den verstärkten Einsatz moderner Technologien auf dem Schlachtfeld stark und mahnt, dass man „mit einer Verringerung der militärischen Unterstützung durch wichtige Verbündete rechnen“ müsse, da diese „mit ihren eigenen politischen Spannungen zu kämpfen“ hätten.
Neben der Forderung nach einer Mobilisierung von Soldaten sind Saluschnyj zufolge drei Bereiche für die Kriegsanstrengungen der Ukraine im kommenden Jahr besonders wichtig. Man müsse ein „System zur Versorgung unserer Streitkräfte mit High-Tech-Mitteln“ schaffen sowie eine „neue Ausbildungs- und Kriegsphilosophie“ einführen, „die den Einschränkungen bei den Mitteln und deren Einsatzmöglichkeiten Rechnung trägt“. Außerdem müsse man so schnell wie möglich lernen, „neue Kampffähigkeiten“ zu beherrschen. Ziel müsse es sein, „die Gunst der Stunde zu nutzen“, um „dem Feind maximalen Schaden zuzufügen, die Aggression zu beenden und die Ukraine in Zukunft vor ihr zu schützen“, so der General. (tpn)