Klingbeil zittert vor Zahl, die den SPD-Parteitag auf den Kopf stellen kann

Kurz bevor die SPD am Freitag auf dem Messegelände in Berlin ihren Parteitag startet, werden sich die Blicke der Sozialdemokraten auf ein Ereignis ein paar Kilometer weiter richten. Um 13 Uhr soll im Haus der Bundespressekonferenz die Mindestlohnkommission ihre Entscheidung bekannt geben. Die beiden Termine fallen nicht nur zeitlich zusammen – sie sind auch inhaltlich eng verknüpft. 

Die SPD ist mit einer eindeutigen Forderung in den Wahlkampf gezogen: Der Mindestlohn von aktuell 12,82 Euro soll ab 2026 bei 15 Euro liegen. Für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU konnte die Partei dann die Formulierung durchsetzen, dass „ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar“ ist.

Was das heißt, ist unter den schwarz-roten Koalitionären aber nicht geklärt. Die Sozialdemokraten interpretieren die Abmachung so: Wenn die unabhängige Mindestlohnkommission nicht 15 Euro als Untergrenze vorschlägt, wird die Zahl einfach über das Gremium hinweg gesetzlich festgelegt. Die Union hingegen verweist zum Beispiel in Person von Kanzler Friedrich Merz darauf, dass es dafür keinen "gesetzlichen Automatismus" gibt.

Streit in SPD und Koalition bei Mindestlohn unter 15 Euro

Verkündet die Mindestlohnkommission eine Zahl, die deutlich unter den 15 Euro liegt, ist Streit vorprogrammiert. Zum einen in der Koalition über das weitere Vorgehen. Zum anderen aber auch in der SPD. 

Denn der Mindestlohn war eines der Argumente, mit denen Parteichef Lars Klingbeil für den Eintritt in das schwarz-rote Bündnis geworben hatte. Die 600 Delegierten könnten eine nur kleine Mindestlohn-Erhöhung zum Anlass nehmen, die Parteiführung ins Kreuzfeuer zu nehmen.

Lars Klingbeil, SPD-Bundesvorsitzender.
Lars Klingbeil, Bundesvorsitzender der SPD Foto: dpa/Michael Kappeler

Klingbeil fürchtet offenbar ein solches Szenario. In solchen Fällen kann die Parteitagsregie durch geschickte Planung der Tagesordnung versuchen, Themen kleinzuhalten. Auf dem SPD-Parteitag wird das allerdings nicht der Fall sein: Direkt zum Auftakt der Versammlung soll Yasmin Fahimi, Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds und ehemalige SPD-Generalsekretärin, ein Grußwort sprechen. Das Thema Mindestlohn wird sie dabei sicher nicht umschiffen.

Entscheidung vertagen oder geschickter Kompromiss?

Dafür könnte an anderen Stellen der Druck vor dem Parteitag gemindert werden: Nicht ausgeschlossen ist, dass die Pressekonferenz der Mindestlohnkommission doch noch abgesagt wird, weil das Gremium bei seinen Verhandlungen in die Verlängerung geht – möglicherweise sogar bewusst langsam, so dass die Entscheidung erst nach dem Parteitag verkündet wird.

Möglich ist auch, dass die Kommission eine für alle Seiten nicht perfekte, aber tragbare Lösung findet. Selbstverständlich ist das allerdings nicht. Das Gremium, bestehend aus Vertretern der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite sowie einer Vorsitzenden, wäre bei seinen Verhandlungen 2023 im Streit fast auseinandergebrochen. Auch bei den aktuellen Gesprächen könnte es Zoff geben, der sich womöglich nur dadurch auflösen lässt, dass die Vorsitzende Christiane Schönefeld mit ihrer Stimme eine der beiden Seiten überstimmt.

Sie könnte aber beispielsweise auch für einen Kompromiss werben. Der könnte darin bestehen, dass der Mindestlohn ab 2026 nur etwas höher liegt, dann aber in Schritten bis ins Jahr 2027 auf 15 Euro oder mehr steigt. Zur Einordnung: Davon hängt der Lohn für zahlreiche Beschäftigte ab, laut Statistischem Bundesamt erhielten im April 2024 rund 1,4 Millionen genau den damals geltenden Mindestlohn.

Mindestlohnkommission soll keine Rücksicht auf Parteipolitik nehmen

So oder so muss die Kommission dicke Bretter bohren, weil es keine Formel oder ähnliches für die neue Lohnuntergrenze gibt. Im Gesetz festgelegt ist nur, dass sie sich an der Tarifentwicklung orientieren soll. Ein Problem könnte zudem werden, dass die neue Untergrenze in einigen Branchen höher ausfallen könnte als die tariflich festgelegte Bezahlung in den niedrigsten Lohngruppen. Das könnte wiederum in allen Gruppen zu teuren Lohnerhöhungen führen. 

Wenn solche Feinheiten sorgsam austariert werden müssen, kann die Mindestlohnkommission eigentlich nicht auch noch Rücksicht nehmen auf die Befindlichkeiten der SPD – zumal das nicht ihrem Auftrag entspräche. Klingbeil kann also Gespräche mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden führen, direkt einwirken kann er auf die Entscheidung aber nicht.

Vielleicht muss Klingbeil auch gar nicht nervös sein und am Freitag wird eine überraschende Einigung auf 15 Euro verkündet. Auch das würde dem SPD-Parteitag einen neuen Spin geben – ganz im Sinne des Parteivorsitzenden kurz vor seiner Wiederwahl.