Feilschen um Stundenzahl für Streetwork in Peißenberg?

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Elisa Finsterer ist Streetworkerin bei der Brücke Oberland. © Ralf Ruder

Wird die Entscheidung über eine mögliche Erhöhung der Wochenstundenzahl für Streetwork in Peißenberg zu einer Art Glaubensfrage? Es sieht fast danach aus. Im Haupt- und Finanzausschuss wurde kein Beschlussvorschlag für den Marktrat verabschiedet. Vertreter des Jugendamts betrieben indes indirekt Lobbyarbeit – und zwar gegen eine Stundenerhöhung.

Mit ihrem interfraktionellen Antrag bezüglich einer Erhöhung der Wochenstundenzahl für Streetworkerin Elisa Finsterer (Brücke Oberland) von aktuell 5,25 auf 15 Stunden haben Bürgervereinigung, Freie Wähler und Bündnis 90/Die Grünen offenbar einen wunden Punkt getroffen. In der Rathausverwaltung reagierte man verärgert, weil der Vorstoß, wie es dem Vernehmen nach heißt, nicht vorher kommuniziert und abgestimmt war. Auch in der SPD-Fraktion scheint Unmut zu herrschen. Obwohl die Geschäftsordnungsregeln von den Antragsstellern eingehalten wurden, kritisierte SPD-Gemeinderat Maximilian Maar im Hauptausschuss, dass der Antrag offenbar „schnell durchgepeitscht“ werden solle: „Das stößt mir sauer auf.“ Ein Vorwurf, gegen den sich Cornelia Wutz (Bürgervereinigung; „Das weise ich komplett von mir“) und Jürgen Forstner zur Wehr setzten: „Wir haben bei gewissen Jugendgruppierungen Betreuungslücken. Da fehlt ein Zahnrad. Wir stellen den Antrag nicht aus Jux und Tollerei. Es gibt wahnsinnig viele Jugendliche, die wir nicht erreichen“, erklärte der Fraktionssprecher der Freien Wähler.

Obwohl formal dafür nicht zuständig, hat der Antrag offenbar auch beim Jugendamt wenig Freude ausgelöst. Mit Wolfgang Herz und Viktoria Meyer waren zwei Vertreter der Kreisbehörde zur Ausschusssitzung eingeladen. Von den beiden gab es zunächst einmal einen Frontalvortrag. Ausgiebig wurden die eigentlich bekannten Ergebnisse der 2023 veröffentlichten Jugendbefragung im Landkreis vorgestellt. Meyer berichtete von „wunderbaren Daten“ in Bezug auf die Situation von Jugendlichen in Peißenberg, von „Zufriedenheit“ der Klientel und von „wunderschönen Orten“ in der Marktgemeinde, die als Treffpunkte dienen.

Jugendamt: Stunden sind „ausreichend“

Dass die über ausgewählte Schuljahrgangsstufen organisierte Befragung aufgrund ihrer begrenzten Teilnehmerkapazität tatsächlich repräsentativ ist, wurde jedoch von einigen Ausschussmitgliedern in Frage gestellt. Daten und Statistiken, so Forstner, seien das eine, die Realität „sieht in Peißenberg anders aus“. Zumal es sich bei der Streetwork-Klientel um Jugendliche handeln würde, die in der Regel durch alle Raster der Jugendarbeit fallen würden und nicht in Vereinen organisiert seien.

Wolfgang Herz erklärte in der Ausschusssitzung, dass Streetwork eine Einzelfallhilfe für einen bestimmten Personenkreis von Jugendlichen sei (u. a. Drogenabhängige, Obdachlose, Kriminelle oder Prostituierte). Sie sei eine Säule der Jugendarbeit, aber eben nur eine. Die Brücke Oberland interpretiert die sozialpädagogischen Inhalte offenbar etwas anders – inklusive präventivem Charakter. Das räumte Herz im Ausschuss ein: „Dafür ist es durchaus sinnvoll.“ Aber: „Die 5,25 Wochenstunden halten wir für ausreichend.“

Das war ein Urteil, das man von einem Jugendamtsmitarbeiter nicht unbedingt erwartet hatte. Herz verwies darauf, dass die Stundenzahl auf einem Monitoring der aktuell noch gültigen Sozialraumanalyse basiert. Wie genau die Herleitung erfolgt, konnte Herz im Anschluss der Ausschusssitzung auf Nachfrage der Heimatzeitung nicht detailliert erklären. Jeder Landkreis würde andere Kriterien ansetzen, lautete seine Antwort. Der Haken: Die Sozialraumanalyse bezieht sich auf den Zeitraum von 2017 bis 2019. Das heißt, die Daten sind angesichts der dynamischen Prozesse in jugend-gesellschaftlichen Themen ziemlich veraltet und stammen noch aus der Zeit vor Corona und auch noch vor Beginn des Kriegs in der Ukraine.

Was könnte hinter der Argumentationslinie des Jugendamts stecken? Intention von Seiten der Rathausverwaltung war es, das breite Spektrum der Jugendarbeit vorzustellen. Da gibt es einerseits die offene Jugendarbeit in den Jugendzentren, die Jugend- sowie Schulsozialarbeit und das Streetwork. Feste Absicht ist es, wie Bürgermeister Frank Zellner (CSU) der Heimatzeitung bestätigt, das Jugendzentrum „stabil“ zu halten – das heißt, Öffnungszeiten nicht einzuschränken. Das würde sich auch das Jugendamt wünschen.

Kompromiss bei Stundenzahl erwartet

Das Paradoxe dabei: Der Landkreis wird künftig sein Finanzierungsengagement im Bereich der Jugendzentren massiv zurückfahren und auf die Vermittlung von Inhalten zur Demokratiebildung beschränken. Die Fachaufsicht wird das Jugendamt jedoch behalten. Den Löwenanteil der Kosten muss künftig der Markt tragen. Das heißt, die Gemeinde verzeichnet in einer Säule der Jugendarbeit Mehrausgaben. Selbige müssen im Kommunalhaushalt in einer anderen Säule der Jugendarbeit oder an einer fachfremden Etatstelle bei den freiwilligen Leistungen kompensiert werden. Frank Zellner spricht in dem Zusammenhang von „kommunizierenden Röhren“.

Dass sich das Jugendamt im Ausschuss distanziert zum Streetwork geäußert hat, könnte aber noch einen weiteren Grund haben – und zwar im Hinblick auf die strukturelle Ausrichtung der Jugendarbeit. Wolfgang Herz erklärte, dass die Schaffung einer über die einzelnen Säulen hinweg koordinierenden Gemeindejugendpflegerstelle für Peißenberg interessant wäre. Dem Vernehmen nach könnte dafür die amtierende Juze-Leiterin Julia Schäfer in Frage kommen. Der Markt müsste die Stelle finanzieren. Ob dem Jugendamt ein weiterer Ausbau des Streetwork generell ins Konzept passt? Es sei grundsätzlich „großartig“, so erklärte Herz im Ausschuss, dass sich der Marktrat mit der Thematik beschäftige: „Aber es sollte letztlich auch etwas bringen.“ Für einige Ausschussmitglieder kam der Hinweis auf die Gemeindejugendpflegerstelle überraschend: „Das könnte durchaus sinnvoll sein“, erklärte Cornelia Wutz: „Aber das ist ein anderes Thema. Wir reden heute über das Streetwork.“

Es bleibt also spannend, wie am heutigen Mittwoch, 24. Juli, im Marktrat (18.30 Uhr im Rathaus) nun abgestimmt wird. Die Prognose: Es werden wohl zehn oder 13 Wochenstunden werden. Zum Vergleich: Penzberg hat zwölf und Weilheim 26 Wochenstunden gebucht. 15 Stunden, wie im Antrag gefordert, machen aber wohl auch keinen Sinn, da Streetworkerin Elisa Finsterer – ihre fachlichen Qualitäten werden allseits gelobt – aufgrund ihrer Auslastung nur maximal 13 Wochenstunden in Peißenberg tätig sein kann. Deshalb wird es vermutlich so kommen, wie Christian Quecke (CSU/Parteilose) bereits zum Ende der Ausschusssitzung diplomatisch ankündigte: „Wir müssen auf den Gesamtkomplex schauen, und dann werden wir uns im Marktrat auf eine vernünftige Wochenstundenzahl einigen.“

Maximal 25 000 Euro an Mehrkosten

Rathausverwaltung und Jugendamt äußerten sich in der Ausschusssitzung zum Streetworking – nicht aber die Brücke Oberland. Diese war entgegen der Ankündigung in der Sitzungsvorlage nicht eingeladen worden – was bei Jürgen Forstner (Freie Wähler) für Unmut sorgte: „Was soll das?“

Die Rathausverwaltung dröselte zur Einführung in den Tagesordnungspunkt akribisch genau auf, was die Gemeinde insgesamt im Bereich der Jugendarbeit investiert. Es sind unter dem Strich knapp 2,7 Millionen Euro – inklusive von Pflichtaufgaben wie Schulen und Kindergärten. Zudem wurde auf die Unterstützung von Vereinen verwiesen, die im Jugendbereich wertvolle Arbeit leisten würden.

Und es wurden die Mehrkosten für diverse Erhöhungsvarianten bezüglich der Streetworking-Wochenstundenzahl aufgeschlüsselt. Aktuell zahlt die Gemeinde für das Streetworking 13 600 Euro – wobei der Landkreis 3200 Euro fördert. Das ist aber aufgrund der erhobenen Daten aus der Sozialraumanalyse mit der aktuell empfohlenen Wochenstundenzahl von 5,25 der Maximalbetrag. Bei einer Stundenzahl von zehn müsste die Gemeinde Mehrkosten von 12 400 Euro aufbringen, bei 13 Stunden 19 800 Euro und bei 15 Stunden 25 000 Euro. Laut Marktkämmerer Michael Liedl wären das Summen, „die uns nicht total Sorgen machen“.

Aber die Mehrkosten müssten an anderer Stelle eingespart werden. Höhere Steuereinnahmen in der Etatplanung seien eher „unwahrscheinlich“. Liedl verweist zudem auf den Umstand, dass die Gemeinde im Bereich „Jugendzentrum“ höhere Ausgaben wird schultern müssen. Der Landkreis wird seine aktuelle Förderung wohl von 63 000 Euro auf 25 000 Euro zurückfahren, das heißt, der Juze-Zuschussbedarf wird sich im nächsten Jahr für die Gemeinde von 80 000 Euro (2024) auf 121 000 Euro erhöhen.

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