Jetzt starten die Briten die E-Auto-Revolution, die in Deutschland gar nicht geht

Nachts das E-Auto laden und dann kostenlos Auto fahren: Was in Großbritannien gerade Realität wird, klingt aus deutscher Perspektive wie Zukunftsmusik. Der britische Energieversorger Octopus Energy startet gemeinsam mit dem chinesischen Autohersteller BYD ein Projekt, das unter Branchenexperten als potenzieller Gamechanger für Energie- und Verkehrswende gilt.  

Strom rein, Geld raus

Der Schlüssel ist die sogenannte „Vehicle to Grid“-Technologie (V2G), auch „bidirektionales Laden genannt“. Mit ihr können E-Autos in der heimischen Garage nicht nur Strom aus dem Netz laden, sondern Strom auch wieder ins Netz abgeben.

E-Fahrzeuge werden dadurch zu Stromspeichern auf Rädern – woraus sich wiederum spannende Geschäftsmodelle ergeben. Das Prinzip ist einfach: Wenn Strom günstig ist – meist nachts oder bei viel Wind und Sonne –, lädt das Auto automatisch. Sobald die Nachfrage steigt und die Preise anziehen, speist es Energie zurück ins Netz.

Die Auto-Armee für die Stromnetze

Die Fahrer profitieren doppelt: Sie zahlen weniger für ihren Strom und erhalten bei Rückspeisung sogar Geld. Unterm Strich könnten viele von ihnen mit einem geleasten E-Auto inklusive bidirektionaler Wallbox und dynamischem Tarif für umgerechnet 350 Euro monatlich praktisch kostenlos mobil sein, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung von Octopus Energy und BYD. 

Auch für die Energiewende könnte die Technologie wichtig sein. Wenn sich E-Autos als flexible Batterien einsetzen ließen, könnte V2G das Stromnetz entlasten, Preisspitzen abfedern und eine flexible, dezentrale Energieversorgung ermöglichen, ohne dass neue Kraftwerke gebaut werden müssen – einfach durch besseres Timing.

Deutschland? „Für kostenloses Laden fehlen die Voraussetzungen“

Auch in Frankreich läuft seit letztem Jahr ein ganz ähnliches Projekt des deutsch-schweizerischen Unternehmens Mobility House mit dem Autoriesen Renault. Während die Energie- und Verkehrswende im europäischen Ausland weiter voranschreitet, bleibt Deutschland Zuschauer. Denn in Deutschland ist V2G derzeit weder technisch noch regulatorisch möglich.

„Für die Umsetzung des kostenlosen Ladens sind in Deutschland noch die Voraussetzungen zu schaffen“, heißt es in der Mitteilung von Mobility House aus dem letzten Jahr. Eine diplomatische Umschreibung für einen Rückstand von mehr als zehn Jahren.

Ein Teilnehmer einer Projektstudie der Netze BW lädt in seiner Garage ein E-Auto.
Ein Teilnehmer einer Projektstudie der Netze BW lädt in seiner Garage ein E-Auto. Marijan Murat/dpa

Smartmeter fehlen – und ohne sie geht nichts

Zentrale Voraussetzung für V2G sind Smartmeter, also digitale Stromzähler, die in Echtzeit Verbrauch und Börsenpreise erfassen und übermitteln können. Erst mit ihnen lassen sich dynamische Stromtarife nutzen und erst mit ihnen kann ein Auto intelligent laden und einspeisen.

Doch in Deutschland sind gerade einmal knapp zwei Prozent der Haushalte mit Smartmetern ausgestattet. In Frankreich und Italien liegt der Anteil bei über 90 Prozent, in Skandinavien sogar bei 100 Prozent. Seit Beginn des Jahres haben Verbraucherinnen und Verbraucher zwar Anspruch auf einen Smartmeter-Einbau durch ihren Energieversorger, doch der Ausbau verläuft schleppend. Ein großflächiger Rollout ist daher frühestens zwischen 2030 und 2032 realistisch.

Komplexität made in Germany

Warum dauert das so lange? Einerseits fehlt es an Fachkräften, Know-how und Prozessen. Andererseits hat sich Deutschland mit einem technologischen Sonderweg selbst ausgebremst: Smartmeter sollen hierzulande nicht nur messen, sondern auch steuern und absichern. Diese zusätzlichen Anforderungen machen die Systeme aufwendiger und teurer als anderswo.

„Kein einziger Netzbetreiber hat einen Plan, wie er das umsetzen soll“, sagte Jannik Schall vom Energie-Start-up 1Komma5 im Dezember zu FOCUS online Earth. Sein Urteil: „Man hat es sich halt mal überlegt – aber schlecht gemacht.“ Die Folge ist ein digitaler Flickenteppich, in dem es sogar vorkommt, dass Netzbetreiber den Einbau eines Smartmeters leugnen, obwohl er nachweislich erfolgt ist.

Das Fazit ist bitter: Deutschland, einst Vorreiter der Energiewende, verliert den Anschluss an einen der wichtigsten Zukunftsmärkte. Während E-Autos hierzulande oft als teures Hobby gelten, werden sie andernorts zum integralen Baustein einer günstigen, flexiblen Stromversorgung. Die Technik steht längst in deutschen Garagen – genutzt wird sie allerdings woanders.