Patriot-Streit entfacht: Einfache Rechnung zeigt Deutschlands Ukraine-Dilemma
CDU und CSU fordern mehr Patriot-Luftabwehrsysteme aus Deutschland für die Ukraine. Annalena Baerbock lehnt das ab. Sie hat einen alarmierenden Grund.
Berlin - Wenn man denkt, Wladimir Putin kann nicht noch brutaler sein, setzt der heimtückische Machthaber aus Russland im Ukraine-Krieg noch einen drauf.
Ukraine-Krieg: Russland bombardiert Charkiw seit Wochen heftig
Denn: Der Autokrat aus Moskau lässt Charkiw derzeit regelrecht sturmreif bombardieren, die mit rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern zweitgrößte Stadt der Ukraine. Dort, im Nordosten des geschundenen Landes, attackieren die russischen Streitkräfte zuerst zivile Gebäude aus der Luft, um dann Sanitäter und die Feuerwehr mitten im Einsatz mit Kamikaze-Drohnen anzugreifen. Mehrere Rettungskräfte sollen dieser menschenverachtenden Taktik Putins in den vergangenen Wochen zum Opfer gefallen sein.
Eine weitere alarmierende Erkenntnis ist: Die Russen schaffen es im April 2024 offenbar immer häufiger, die ukrainische Luftverteidigung zu umgehen. Im Deutschen Bundestag diskutierten die Parlamentarier an diesem Mittwoch (10. April) deshalb eifrig, ob die Ukrainer nicht mehr Patriot-Flugabwehrsysteme bekommen könnten. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beantwortete diese Frage mit einem Nein.

Patriot-Luftabwehr für die Ukraine? Deutschland kann laut Baerbock nicht liefern
Baerbock hatte im Parlament rund sechs Minuten über die mutmaßlich wichtigsten geopolitischen Themen referiert. Danach musste sich die Grünen-Politikerin eine Dreiviertelstunde lang den kritischen Fragen der Abgeordneten stellen. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen wollte von der Außenministerin etwa wissen: „Sprechen Sie sich dafür aus, dass Deutschland angesichts dieser dramatischen Vernichtungsgefahr in Charkiw der Ukraine zwei weitere Patriot-Systeme zur Verfügung stellt?“
Deutschland könne aus eigenen Beständen nicht mehr liefern, erklärte Baerbock. Die Ampel-Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP sei jedoch weltweit auf der Suche nach möglichen Alternativen für die ukrainische Flugabwehr. Putin sei „mit seinen Angriffen auf die Ukraine noch nicht am Ende“, warnte sie und stellte klar: „Wenn die Ukraine aufhört, sich zu verteidigen, dann ist die Ukraine zu Ende, nicht der Krieg.“ Welche Alternativen zu den begehrten Patriots sie meinte, ließ die Grünen-Politikerin indes offen.
MIM-104 Patriot | |
Waffentyp: | bodengestütztes Flugabwehrraketen-System |
Indienststellung: | 1984 |
Hersteller: | Rüstungskonzern Raytheon & Lockheed aus den USA |
Raketen: | PAC-2 oder PAC-3 |
Geschwindigkeit der Raketen: | Mach 4 (4939,2 km/h) |
Gefechtsgewicht einer Rakete: | 998 Kilogramm |
Zielortung: | Track-via-Missile (TVM) = Mischung aus halbaktiver Radarlenkung und Funkfernsteuerung der Rakete |
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Flugabwehr gegen Wladimir Putin: Der Nato gehen die Patriot-Systeme aus
Alarmierend: Die Verteidigungsallianz Nato hat trotz 32 Mitgliedstaaten nur eine begrenzte Anzahl an Patriot-Systemen für die Verteidigung seiner eigenen Ostflanke zur Verfügung. Und: Putins Invasionstruppen waren zuletzt offenkundig auf der Jagd nach westlichen Flugabwehr-Anlagen. Kürzlich gelang es den Russen offenbar, mit einer Iskander-M-Rakete ein Patriot-System nahe Pokrowsk im Donbass zu zerstören. Wie das Online-Portal Army Recognition jüngst schrieb, kann die russische Rüstungsindustrie zudem monatlich angeblich knapp 100 Marschflugkörper und strategische gelenkte Raketen herstellen. Darunter seien geschätzt 40 Marschflugkörper vom Typ Ch-101 sowie 40 ballistische Mittelstreckenraketen Iskander-M, hieß es in der Analyse.
Deutschland hatte der Ukraine im vergangenen Jahr zwei Patriots geliefert, die USA stellten ein System zur Verfügung. Ferner hatten die Niederlande zwei Patriot-Abschussrampen geschickt. Das war es. Weder Ungarn noch die Slowakei oder Polen haben zum Beispiel eigene Patriot-Luftabwehrsysteme. Die Luftverteidigung in Polen übernehmen weitgehend die Amerikaner mit ihren Patriots am Militärflughafen Rzeszow im Südosten des ukrainischen Nachbarlandes. Im Fall von Deutschland gibt es dagegen eine gewaltige Hürde. Und zwar, dass die Bundeswehr die eigene Landesverteidigung gewährleisten muss, während die Ukrainer über eine verstärkte Rekrutierung von Frauen für die Front nachdenken.

Charkiw unter russischem Beschuss: Bundeswehr braucht Patriots offenbar selbst
Das Problem: Die Flugabwehrraketengruppen der Bundeswehr hatten ursprünglich zwölf komplette Patriot-Luftabwehrsysteme - mit Startgeräten M903, Feuerleitständen AN/MSQ-104, Multifunktionsradaren und Antennenmastanlagen. Die Flugabwehrraketengruppen 21, 24 und 26 unterstehen - auf Deutschland verteilt - der deutschen Luftwaffe. Aber: Es gab in den Sozialen Medien reichlich Spekulationen, dass es sich bei dem im Donbass zerstörten System um eines der gelieferten deutschen gehandelt hat. Generell sind in Deutschland nur noch zehn Systeme mit jeweils einer Reichweite von 160 Kilometern übrig - für ein Land mit 84 Millionen Einwohnern.
Und: Im April 2023 hatte die Bundeswehr zur Abschreckung Moskaus zum Beispiel zeitgleich drei Patriots in Polen sowie zwei komplette Systeme in der Slowakei stationiert. Laut Berliner Morgenpost wurden zum selben Zeitpunkt fünf Systeme bei der Rüstungsindustrie modernisiert. Weil von den zwei übrigen Patriots ein System schon an Kiew geliefert war, blieb damals genau eines zur Verteidigung der Bundesrepublik übrig. Baerbock dürfte für ihre Bedenken demnach erklärbare Gründe haben, während Putins Raketen weiter auf Charkiw hageln. (pm)