Festakt in Kempten zum Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“

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Würdigten beim Festakt gemeinsam das Grundgesetz: Oberbürgermeister Thomas Kiechle (li.) und Dr. Theo Waigel. © Brock

75 Jahre nach Verkündigung des Grundgesetzes hat Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle eingeladen, dieses Ereignis gemeinsam zu feiern.

Kempten – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ lautet der Paragraf 1 des Grundgesetzes. Er stand in vielen Farben und vielen Sprachen gut lesbar im Hintergrund, als sich der frühere Spitzenpolitiker Dr. Theo Waigel aus Seeg mit Oberbürgermeister Thomas Kiechle auf der Bühne des Kemptener Stadttheaters zum Gespräch traf. Der Oberbürgermeister lieferte Dr. Theo Waigel die Stichworte, stellte Fragen und gab Themen vor, für die Antworten konnte sein Gegenüber aus dem Vollen seiner jahrzehntelangen politischen Erfahrung schöpfen. So mischten sich ernste Überlegungen und unterhaltsame Anekdoten zu einer stimmigen Würdigung des Gesetzeswerks.

75 Jahre Grundgesetz: Skeptische Stimmung zu Beginn

„Wir können riesig stolz sein auf das, was geleistet wurde. Das Grundgesetz hat es ermöglicht“, so Waigel. Als es am 23. Mai 1949 im Radio verkündet wurde, war die Stimmung in Deutschland eher skeptisch, erinnert er sich. Als 18-Jähriger wollte er „an einer neuen Welt mitwirken“. Mutige Visionäre haben damals die Jugend für Demokratie und ein vereintes Europa begeistert und so die Aussöhnung mit Frankreich erreicht. Grund für Dankbarkeit sei, dass 90 Prozent aller Hoffnungen, die er damals hatte, in Erfüllung gegangen sind. Auch heute brauche es eine junge Elite, die für die Demokratie eintritt, sie weiterentwickelt und deren Feinde in die Schranken weist.

Auftritt Peter Lewys Preston, ein junger Schauspieler und Pianist aus Brandenburg. Er hat sich musikalisch mit den ersten fünf Paragrafen des Grundgesetzes beschäftigt und einen rasanten Lobgesang daraus gemacht. Sein gereimter Text, den er selbst am Flügel begleitete, verblüffte und wurde mit starkem Applaus belohnt.

Ein unglaublicher Glücksfall

Und was waren die großen Herausforderungen der vergangenen Jahrzehnte? Theo Waigel, der an maßgeblicher Stelle mitwirkende Zeitzeuge, konnte sie unschwer aufzählen: die Integration von zwölf Millionen geflüchteter Menschen, den Lastenausgleich, Aufbau der Bundeswehr, Notstandsgesetze und schließlich die Wiedervereinigung Deutschlands, für die ja nur zwei Jahre Zeit zur Verfügung stand.

Waigel bezeichnet es als unglaublichen Glücksfall, dass Michail Gorbatschow damals auf die Demokraten Willy Brandt und Helmut Kohl hörte und nicht auf Erich Honecker und die DDR-Führung. Waigel erzählte von mehreren sehr bewegenden Begegnungen mit Gorbatschow, an den er mit ewiger Dankbarkeit denkt. Helmut Kohl, dem damaligen Bundeskanzler, attestierte er die ausgeprägte Gabe, persönliches Vertrauen zu schaffen und so die diplomatischen Wege zu ebnen.

Publikum wurde zum Mitsingen animiert

Auf die Frage des OB, an welche Wegmarken der vergangenen 30 Jahren sich Waigel besonders erinnert, kam diesem sofort die Einführung des Euro in den Sinn: „Die gemeinsame europäische Währung hat das Zusammenwachsen gefördert, alle profitieren davon, der Weg zu Europa ist das Beste, was wir machen können.“

Dass die „Ode an die Freude“ mit dem Text von Friedrich Schiller und der Musik von Ludwig van Beethoven zur „Europahymne“ wurde, sei eine Anerkennung und stärke das Gefühl der europäischen Verbundenheit, ist Waigel überzeugt. Das Publikum ließ sich vom Pianisten zum Mittun ermuntern und sang die Hymne vom schönen Götterfunken erst auf Deutsch, dann sogar auf Englisch und Französisch vom ausgeteilten Blatt.

„Wir müssen die Zeitenwende bestehen“

Was bereitet Waigel mit Blick auf Deutschland Sorgen? Vor allem der Krieg in der Ukraine. „Wir konnten uns diese Situation in den 1990er-Jahren nicht vorstellen. Nach der Rede von Wladimir Putin 2001 im Bundestag glaubten wir an eine gemeinsame Zukunft. Nun müssen wir die Zeitenwende bestehen.“

Waigel fordert eine ungeschminkte politische Bestandsaufnahme und den Menschen die Botschaft zuzumuten, dass in den kommenden zwei Jahren keine Verbesserung des Lebensstandards zu erwarten sei, „damit wir uns verteidigen können“. Positiv sieht er, dass auch große Nationen an der Seite der Ukraine stehen. Da nur ein einiges Europa in der Welt bestehen kann, hofft Waigel auf eine hohe Wahlbeteiligung und auf Erfolge der demokratischen europafreundlichen Parteien.

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