Theo Waigel in Marktoberdorf deutlich: „Setzen Sie sich für unser Europa ein“

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Theo Waigel am Rednerpult in der Aula des Marktoberdorfer Gymnasiums. © Michael Dürr

Mut zur Zuversicht und ein entschiedenes Einstehen für die Demokratie – diese Kernbotschaften hat der CSU-Ehrenvorsitzende und frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel seinen Zuhörern bei einer Veranstaltung der Volkshochschule Ostallgäu Mitte mit auf den Weg gegeben.

Marktoberdorf - In seiner einstündigen Rede nahm der „Vater des Euro“ seine rund 170 Zuhörer in der Aula des Marktoberdorfer Gymnasiums mit auf einen analytisch messerscharfen Streifzug durch Europa, gewürzt mit mancherlei Pointen und Anekdoten. Dabei räumte er durchaus das eine oder andere Defizit und auch eigene Fehler ein, stellte der Europäischen Union samt Währungsunion unter dem Strich aber ein entschieden positives (Zwischen)Zeugnis aus. Das Europa des 21. Jahrhunderts dürfe man sich von den Feinden der Demokratie nicht kaputt machen lassen, forderte er. Begeisterter und anhaltender Beifall stand am Ende seines Vortrags, ein Besucher sprach wohl den meisten aus dem Herzen: „Diese Rede war eine Meisterleistung.“

Spitzenpolitiker Waigel zeigt sich locker

Nein, wie ein 85-Jähriger sieht der einstige Spitzenpolitiker auf gar keinen Fall aus. Zehn Jahre jünger gingen bei ihm locker durch, dazu wirkt er topfit, wie er da kerzengerade auf der Bühne steht. Dass ihn jeder, auch Jahrzehnte nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik, sofort wieder erkennt, genießt er sichtlich.

Andererseits hätte er ja schon gerne auch hie und da mehr Privatsphäre, wie er schmunzelnd erzählt. So habe ihn ein Wanderer in Südtirol angesprochen mit den Worten ‚Sie sind doch der Waigel‘, was er („ich wollte meine Ruhe haben“) glatt verneint habe. Der Wanderer habe sich daraufhin an die Stirn gefasst und gesagt: „Stimmt, der Waigel ist ja schon lange gestorben.“

Der Euro als Friedensmodell

Es solle ihm keiner mit der angeblich ach so guten alten Zeit kommen, sagt der im Jahr 1939 als Bauernsohn in Oberrohr im damaligen Landkreis Krumbach geborene Waigel, auch früher habe es gewaltige Probleme gegeben. Schon die Gründerväter der heutigen EU (Waigel: „Ich bewundere noch heute deren Mut, vor allem den der Franzosen“) hätten nach Ende des Zweiten Weltkriegs erkannt, dass „Nationalstaaten die Herausforderungen der Zukunft nicht mehr alleine lösen“ könnten. Eine Gemeinschaftswährung sei allein deshalb wichtig, „weil Länder mit einer Währung keine Kriege gegeneinander führen“.

Die Staaten Europas könnten heute „nur deshalb eine Rolle auf der Weltbühne spielen, weil es die EU gibt“. Und der Euro sei eine wesentliche Grundlage für den Wohlstand nicht zuletzt auch in Deutschland: „Man stelle sich vor, 28 Währungen allein in Europa, jeden Tag Auf- und Abwertungen - für ein derart exportabhängiges Land wie Deutschland völlig unmöglich.“

„Vom Euro haben alle profitiert“ sagt Waigel

Wenn dann rechtsgerichtete Populisten daherkämen und lautstark die Abschaffung des Euros und den Austritt aus der EU forderten, müsse diesen Leuten mit aller Entschiedenheit widersprochen werden. „Unser Europa ohne Grenzen“, setzt Waigel dagegen, „was ist das für ein Vorteil!“ Wobei mit dem Zusammenrücken der Staaten auch „die längste Friedensphase begonnen hat, die es in Europa je gab“. Und mit dem Euro habe es „in den vergangenen 25 Jahren weniger Inflation gegeben als zuvor mit der D-Mark“, was zu dem Schluss führe: „Es haben alle profitiert.“

Als es um die Namensgebung für die Gemeinschaftswährung ging, streut Waigel eine weitere Anekdote ein, hätten die Franzosen für „Ecu“ plädiert. „Völlig unmöglich“, habe er erwidert, „damit hätte ich mich nirgendwo in Deutschland mehr sehen lassen können, auch in Marktoberdorf nicht.“

Wenig „erotisch“, dieser Name

Durchgefallen sei aber auch sein eigener Vorschlag „Franken“. Denn das hätte auf spanisch „Franco“ geheißen, was mit Blick auf den früheren Diktator auf der iberischen Halbinsel gar nicht gegangen sei. Sein Freund Jean-Claude Juncker, späterer EU-Kommissionspräsident, habe wiederum gemäkelt, dass „Euro so gar nicht erotisch“ klinge, doch habe er gekontert: „Hauptsache, es klingt eurotisch.“

So kam die neue Währung zu ihrem Namen, den sie sich in den Augen des früheren Finanzministers längst auch weltweit gemacht hat. „Immerhin knapp über 20 Prozent der Währungsreserven auf der Welt bestehen heute aus Euro, die USA mit ihrem Dollar sind nicht mehr allein.“

Rückblick auf die Wiedervereinigung

Mit den Worten „Was für ein Glück“ überschreibt Theo Waigel seinen Rückblick auf die deutsche Wiedervereinigung samt Nato-Mitgliedschaft für das gesamte Deutschland sowie die Osterweiterung der EU. Die Wiedervereinigung sei ja „von einem Mann aus dem Saarland, dessen Namen ich vergessen habe, abgelehnt worden“, spöttelt er.

Wobei er sich an dieser Stelle eine (gewollte?) Unschärfe leistet, weil Oskar Lafontaine als damaliger SPD-Kanzlerkandidat die Wiedervereinigung keineswegs abgelehnt, wohl aber auf die hohen Kosten und daraus folgenden unausweichlichen Steuererhöhungen hingewiesen hatte. Der damalige Kanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister erteilten im Wahlkampf höheren Steuern eine Absage, gewannen die Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 - und führten im Jahr darauf den Solidaritätszuschlag ein und erhöhten am 1. Juli des gleichen Jahres die Mineralölsteuer. Für die Finanzierung der deutschen Einheit.

Schnee von vorgestern?

Schnee von vorgestern - für die Zukunft fordert der Finanzexperte, anstatt immer neue Schulden zu machen mehr Mut zu Einsparungen. Der Slogan „Mach dich fit durch Defizit“ könne nicht der Stein der Weisen sein, weil Schulden stets eine Hypothek für folgende Generationen seien. Selbst wenn er sich „bei den jungen Leuten nicht beliebt mache“, führe außerdem kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, in Zukunft länger zu arbeiten. So könne auch dem Fachkräftemangel durch flexible Angebote fürs längere Arbeiten begegnet werden.

Waigel lässt dabei nicht unerwähnt, dass er selbst mit seinen 85 Jahren noch in der Anwaltskanzlei seines Sohnes mitarbeite. Trotz aller Probleme in der Welt gebe es im Übrigen durchaus auch Anlass zu Optimismus. Waigel: „Sagen Sie den jungen Menschen, es ist besser, in der Zuversicht als in der Angst zu leben.“

In der weiteren Bilanz seines politischen Wirkens räumt Theo Waigel frank und frei ein, dass man schon vor Jahrzehnten eine gemeinsame europäische Afrikapolitik hätte forcieren müssen. Die Flüchtlingsprobleme wären heutzutage möglicherweise kleiner, und China könnte sich auf dem Kontinent nicht so ungehemmt ausbreiten und die Bodenschätze ausbeuten.

Putin völlig falsch eingeschätzt

Völlig falsch eingeschätzt habe man zur Jahrtausendwende auch den russischen Präsidenten. Wladimir Putin habe 2001 eine Rede auf deutsch im Bundestag gehalten, habe von Frieden, Freiheit und von Demokratie gesprochen - „und wir sind aufgestanden und haben applaudiert“. In Wahrheit sei Putin aber der KGB-Agent geblieben, der er immer war: „Russland wird heute von einem Dämon regiert“. Putin habe die Hegemonie in Europa angestrebt - „als er aber gemerkt hat, dass sich alle Staaten besser entwickelt haben als sein Russland, hat er zu militärischer Gewalt gegriffen“.

Putins furchtbarer Angriffskrieg gegen die Ukraine (Waigel: „Diesen Krieg kann niemand gewinnen, die Ukraine darf ihn aber nicht verlieren“) mache überdeutlich, wie wichtig eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik mit zueinander kompatiblen Waffensystemen sei. Auch das sei früher versäumt worden, rechtzeitig in die Wege zu leiten. Spätestens 2014, als Putin völkerrechtswidrig die Krim annektiert habe, „hätte man unter Kanzlerin Angela Merkel auch die Abhängigkeit von russischer Energie herunterfahren müssen“.

Waigel wird laut: „Das Blödeste, was hier herumläuft“

Apropos Merkel, und an dieser Stelle wird Waigel zum einzigen Mal an diesem Abend richtig laut: Als ihm ein Populist von Rechtsaußen vorgehalten habe, ‚Frau Merkel hasst Deutschland‘, habe er ihn mit den Worten angefahren: „Sie sind doch das blödeste, was hier herumläuft!“ Deshalb müssten Demokraten deutliche Antworten geben auf solche Unwahrheiten, die von Feinden der Demokratie verbreitet würden. Nur wählen zu gehen reiche nicht, es gelte vielmehr, eine aktive Rolle einzunehmen. Theo Waigel: „Meine herzliche Bitte, verteidigen Sie die Demokratie überall, wo es notwendig ist, und setzen Sie sich für unser Europa ein.“

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