Kommentar - Scholz‘ Trump-Rüffel ist richtig – und lässt ihn dennoch schlecht dastehen

Ungewöhnlich war schon die spontane Ansetzung des Kanzler-Statements am Mittwoch – noch ungewöhnlicher aber das, was Olaf Scholz (SPD) da verlauten ließ. Zunächst referierte er über Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und welch hohes Gut die Souveränität von Staaten sei. Nur einen Atemzug später wendete sich Scholz dem eigentlichen Adressaten seiner kurzen Rede im Kanzleramt zu.

„Die Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land – egal ob es im Osten von uns liegt oder im Westen.“ Daran müsse sich jeder halten, „egal ob es ein kleines Land ist oder ein sehr mächtiger Staat“. Scholz bleibt damit einerseits im Ungefähren. Dass es ihm um den designierten US-Präsidenten Donald Trump und dessen gestrige Aussagen zu einer möglichen gewaltsamen Annexion Grönlands und Panamas geht, macht er in keinem Satz konkret. 

West-Zeitenwende nach der Ost-Zeitenwende?

Andererseits sind Scholz‘ Worte den USA gegenüber so scharf, wie es das im transatlantischen Verhältnis der Nachkriegszeit selten gegeben haben dürfte. Nach der Zeitenwende mit Blick auf den Osten läutet das Scholz-Statement eine West-Zeitenwende ein – wobei das nicht ganz stimmt, denn eigentlich ist sie schon seit Trumps erster Präsidentschaft im Gange.

Der deutsche Regierungschef betont, dass seine Aussagen auf einem Treffen mit einigen europäischen Staats- und Regierungschefs sowie EU-Ratspräsident António Costa beruhen. Immerhin: In der Haltung steht Scholz offenbar nicht alleine da, sie ist auch grundsätzlich richtig. Diese Haltung verpackt er aber wenig diplomatisch.

Verhältnis schon vor Amtsantritt beschädigt

Sicher, Trump schert sich nicht um diplomatische Gepflogenheiten. Seine Grönland-Aussagen sind ein Affront gegen das Nato-Mitglied Dänemark, zu dem die Polarinsel gehört. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es nicht einen besseren Weg gegeben hätte. 

Scholz hätte schweigen können, wenn er Trumps Getöse nicht ernst nimmt. Oder er hätte mit dem Republikaner und seinen Vertrauten das Gespräch suchen können. Durch die öffentliche Rüge aber ist das Verhältnis zwischen Scholz und Trump schon vor dem Amtsantritt des US-Präsidenten nachhaltig beschädigt. Wie soll der Kanzler da noch auf Trump einwirken können, wenn es wirklich ernst wird?

Andere EU-Regierungschefs schweigen

Von anderen europäischen Staats- und Regierungschefs – mit Ausnahme der dänischen Premierministerin Mette Frederiksen – waren bislang noch keine vergleichbar deutlichen Aussagen in Sachen Grönland zu hören. Ist Scholz vorgeprescht, weil er damit im Wahlkampf punkten will? Haben ihn seine Amtskollegen vorgeschickt, weil er nach der Bundestagswahl womöglich gar nicht mehr Kanzler ist und freier sprechen kann? Beides wäre keine angenehme Interpretation für den Kanzler.