Elke Heidenreichs neues Buch „Altern“: Dieses Buch macht Mut!
Elke Heidenreich hat ein fantastisches neues Buch geschrieben. Ehrlich und voller mutmachender Gedanken schreibt sie übers „Altern“. Unser Buchtipp!
So, und dieses Buch lesen jetzt bitteschön alle. Die Jungen, die meinen, die Welt gehe unter, weil eine Prüfung versemmelt, das Fahrrad gestohlen, ein Herz gebrochen wurde. Die Mittelalten, die mit der 40, der 50 hadern, Angst haben vor den Jüngeren, die nachrücken – und dem Moment, in dem man zum alten Eisen gezählt wird, sich nicht mehr gesehen fühlt. Und die im hohen Alter sollen es lesen, die mit 70, 80 noch aussehen möchten, als sei ihr Geburtsjahr im Pass ein Irrtum, als hätte das Leben keine Spuren hinterlassen. Elke Heidenreich bringt sie alle in ihrem neuen Buch „Altern“ auf ihre klipp und klare Art dazu, die Hysterie für einen Moment einzustellen. Und auf den Boden zurückzukommen. Wer’s trotz Zipperlein noch kann, sitzt dann im Schneidersitz da, auf diesem Boden der Tatsachen, und erkennt die Essenz des mutmachenden Büchleins: Die einzige Alternative zum Altern ist jung zu sterben. Also jetzt mal zusammenreißen und sich vergegenwärtigen, wie schön es ist, ein weiteres Jahr den Frühling schnuppern zu dürfen, die Sommerhitze zu spüren, durch den ersten Schnee zu stapfen. „Mein Grundgefühl ist nicht: Verlust, mein Grundgefühl ist: Dankbarkeit.“
Elke Heidenreich gibt handfeste Tipps fürs Älterwerden
Klar weiß auch sie, dass Altern nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Spart Einsamkeit so vieler älterer Menschen, Krankheit, den nach und nach wegsterbenden Freundes- und Bekanntenkreis nicht aus. Kennt sie ja alles selbst, hat ja mit ihren inzwischen 81 Jahren irrsinnig viel erlebt, mit offenen Augen und wachem Geist gesehen. Doch die Heidenreich, Pragmatikerin, die sie ist, gibt handfeste Tipps, sich beispielsweise in Einsamkeit nicht traurig einzuigeln. Stattdessen: sozial engagieren, rausgehen zu den vielen kostenlosen gesellschaftlichen Angeboten. „Und auch wichtig ist: nie bitter zu werden über Fehler, Verpasstes, falsche Entscheidungen. Seltsame Entwicklungen. Ändern kann man es nicht mehr. Nur akzeptieren.“ Vor allem: lebendig bleiben. „Mein Wille lässt mich beben – und leben! Das ist doch eine gute Einstellung.“
Viele ihrer Sätze würde man gern in großen Lettern ausdrucken und in der ganzen Stadt plakatieren. Manchmal ganze Absätze. Wie diesen hier: „Klar, ein paar Falten sind da. Die habe ich mir erworben in langen Nächten mit Freunden, bei diesem ganzen ungesunden, wunderbaren Leben mit so viel Lachen und Lieben. ... Ich finde die alten, ja: die vom Leben verwüsteten Gesichter von Jeanne Moreau oder Louise Bourgeois wunderschön, sie erzählen von prall gefülltem Leben sehr viel mehr als die Gesichter von Frauen mit prall gefüllten Botoxwangen.“ Zack, auf den Punkt.
Elke Heidenreich stellt sich gegen Botox und Jugendwahn
Sie selbst will ihr Alter nicht verleugnen, nicht versuchen, jünger zu wirken: „Ich stelle mich ihm“. Und siehe da: Das Leben dankt es ihr mit Kraft und Energie. Ihr Partner ist 27 Jahre jünger, was zu erzählen ihr immer wieder eine diebische Freude ist.
Und doch hadert auch sie. Mit den gesellschaftlichen Entwicklungen, den Smartphones, Social Media, den neuen Formen der Kommunikation. Dabei hat sie sich immer geschworen, nie Sätze anzufangen mit „Früher...“ „Früher war nicht alles besser. Und was früher war, interessiert heute keinen mehr.“ Einerseits. Andererseits: „Aber früher saßen wir nicht allein mit Handy in unserm Zimmer, wir standen an den Straßenecken und rauchten und flirteten und redeten miteinander.“ Absatz. „Vergessen Sie das wieder. Ich will nicht ,Früher...‘ sagen. Aber ... Oder?“
Aber. Das ist Elke Heidenreich: klare Prinzipien, doch immer ein Türchen offenhalten. Beleg für ihre Entdeckerfreude. Auch daran, zu erspüren, wie sich das so anfühlt, alt zu werden. „Ich altere mit Neugier. Siehe da, die Knie wollen nicht mehr. Ach, guck mal, ich höre mein Herz, war mir noch nie aufgefallen, dass ich ein Herz habe, das so heftig schlägt, wenn ich mich beim Treppensteigen anstrenge.“
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Und dann verfasst sie kurzerhand schon ihren – deftigen – Nachruf. Eine Abrechnung mit uns übersättigten, anspruchslosen, das eigene Glück gar nicht erkennenden (Kultur-) Banausen. „Ich bin tot, aber ihr seid es auch.“ Und stellt sich vor, wie das wäre, wenn tatsächlich gelingt, was sie verfügt hat: Dass die Öffentlichkeit von ihrem Tod erst erfährt, wenn sie schon längst im Friedwald beerdigt worden ist („Schön! Ich, die ewig Unfriedliche im Friedwald!“). Und wie dann irgendeine Buchhändlerin bei ihrer guten Freundin anruft wegen einer Lesung, „und dann sagt meine Freundin: ,Ach, die liest nicht mehr, die ist doch tot!‘“
Galgenhumor? Von wegen. Genau die richtige Art, mit der Tatsache umzugehen, dass wir doch sowieso schon alle halb am Galgen hängen. Deshalb versteht die lebenshungrige Autorin, die gerne trinkt, raucht, spät ins Bett geht, unsere übervorsichtigen Zeiten nicht mehr. „Das rundum Versicherte, Gesunde, woke, Brave geht mir schon auch sehr auf den Wecker. Und ich freu mich jetzt schon auf die empörten Briefe, die ich dazu kriege, und, das sollten Sie wissen, nicht beantworten werde. Ich bin keine nette Alte. Ich bin ich, wie immer.“
Ein Glück. Wer erinnerte uns sonst daran, dass das Leben keine Generalprobe ist für irgendwas, das noch kommt. „Es IST schon die Sache selbst. Mach was draus.“ Das Leben will gelebt werden. In langen Nächten, mit viel Lachen und Lieben – und im Anschluss ganz verwüsteten Gesichtern. Soll schon jeder sehen, wie bunt die Jahre waren. „Das ist es: sich sein verletzliches, emphatisches und empathisches, sein liebendes Anfangsherz zu bewahren, bis zum Schluss. Erschütterbar bleiben. Mitfühlend bleiben. Nicht verhärten.“ Alt werden – schön!„Altern“. Elke Heidenreich: „Altern“. Hanser Berlin, 114 Seiten; 20 Euro.