Wenn die Windräder ausbleiben: Jetzt sitzt NRW in der Strom-Falle

Am 30. Juni 2025 liefen in deutschen Gewässern genau 1639 sogenannte Offshore-Windräder, zusammen erzeugen sie eine Kapazität von etwa 9,2 Gigawatt. Doch im gesamten ersten Halbjahr kam kein einziges neues Windrad ans Netz – ein Rückschlag, der politisch kaum erklärbar ist angesichts der Klimaziele.

Der Stillstand auf hoher See betrifft nicht nur den Norden. Vor allem Nordrhein-Westfalen, das stark auf Stromimporte aus Offshore-Anlagen gesetzt hat, droht damit in eine energiepolitische Sackgasse zu geraten. Sie bedroht die Versorgungssicherheit, Erfolgschancen des Kohleausstiegs und schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Doch gerade diese Flaute zwingt das Industrieland zu einem Kurswechsel, der neue Chancen eröffnet: zu mehr Eigenproduktion, effizienteren Netzen und einen Innovationsschub bei alternativen Energieformen.

Abhängigkeit als Strategie

NRW hat früh im Kontext seiner Energie- und Wärmestrategie erklärt, dass es die Stromwende maßgeblich über Importe aus Offshore-Windparks abwickeln will. In der Strategie ist explizit vorgesehen, dass „direkte Anschlüsse … mit bis zu 18 Gigawatt (GW) Leistung“ ab 2031 an das Übertragungsnetz in Nordrhein-Westfalen realisiert werden sollen.

Die Maxime, Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Ökologie im Gleichgewicht zu halten, soll eingehalten werden. Im Leitbild der Landesregierung heißt es: NRW wolle „erste klimaneutrale Industrieregion Europas“ werden – doch diese Ambition beruht auf dem Plan, netto überschüssigen Strom aus dem Norden zu importieren. Damit hat sich das Bundesland gewissermaßen in eine Energieabhängigkeit manövriert.

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Der Kontrast zwischen ambitionierten Zielen und tatsächlichem Ausbau ist bereits scharf: Im Jahr 2025 wurden bei deutschen Offshore-Ausschreibungen zwei Standorte mit insgesamt 2,5 GW ausgeschrieben – und kein einziger Bieter beteiligte sich. Das wirft die Frage auf, ob das deutsche Auktionsdesign für Offshore-Wind praxistauglich ist.

Zudem steigen die Kosten: Laut der Beratungsfirma Boston Consulting sind Projektkosten in Offshore-Wind in den letzten zwei Jahren um 30 bis 40 Prozent gestiegen, was das Investment schwer kalkulierbar macht. Der Netzausbau hinkt ebenfalls hinterher: Einige bereits gebaute Windparks liegen fertig, können aber noch nicht einspeisen, da die Schnittstellen fehlen. 

Fehlende Bieter, gestiegene Kosten, Defizite im Netz: Die bisherige Strategie droht zu scheitern. Die Politik hat die Ausbau-Flaute längst im Blick, erst am Montag war sie Thema bei einer Sachverständigenanhörung im Bundestag. Begrenzte Produktionskapazitäten in der Lieferkette sowie der Ausbau der Infrastruktur und Netzanbindungen seien limitierende Faktoren, erklärte Carla Langsenkamp, politische Beraterin bei der Umweltorganisation WWF Deutschland. Und Andrees Gentzsch vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betonte, Offshore-Windparks seien „ein elementarer Bestandteil der Energiewende“, doch Verfahren von “drei bis fünf Jahren seien zu lang“. 

NRW unter Zugzwang

Die Industrie in NRW ist besonders energieintensiv: Chemie, Stahl und Maschinenbau benötigen planbare, bezahlbare, sichere Energie. Ohne Planungssicherheit prüfen Unternehmen Verlagerung ins Ausland, warnte die Industrie- und Handelskammer (IHK) in ihrem Report „Der Wirtschaftsstandort NRW braucht Planungssicherheit“. Mit Atom- und Kohleausstieg wird NRW zur Strom-Importregion, Engpässe und volatile Preise drohen – für energieintensive Betriebe ein Standortnachteil. 

Der Ausbau der Windkraft in Nord- und Ostsee ist ins Stocken geraten (Archivbild)
Der Ausbau der Windkraft in Nord- und Ostsee ist ins Stocken geraten (Archivbild) wirestock/freepik.com

NRW ist also gezwungen, seine in hohem Maße auf Offshore-Importe setzende Strategie zu überdenken, vor allem, weil der Ausbau auf See kaum vorankommt und das Stromsystem starr ist. Fachverbände schlagen daher Optimierungen vor, die über reine Mengensteigerung hinausgehen: etwa hybride Lösungen und Kooperationen mit Nachbarstaaten. Und den parallelen Ausbau von Windkraftanlagen an Land sowie der Photovoltaik, um Abschattungs- und Netzprobleme zu reduzieren. 

Alleine wird das aber noch nicht ausreichend sein: Nach Berechnungen der deutschen Übertragungsnetzbetreiber herrsche ein zusätzlichen Bedarf an 20 bis 25 Gigawatt gesicherter Leistung, der weit über den aktuellen Ausbauplänen liegt. Ohne Anreize für Speicher, Lastflexibilitäten oder dezentralen Ausbau droht der Markt ins Leere zu laufen. 

Wenn der Norden nicht liefert, muss der Westen selbst erzeugen

Allerdings: Die Herausforderungen im Offshore-Bereich könnten langfristig zum Innovationsmotor werden. Der Druck auf Politik und Wirtschaft beschleunigt neue Allianzen zwischen Netzbetreibern, Industrie und Kommunen. Projekte für grünen Wasserstoff, lokale Wärmenetze und Abwärmenutzung gewinnen in NRW an Fahrt. Auch Stadtwerke – etwa in Düsseldorf, Essen und Köln – investieren verstärkt in regionale Erzeugung und Speichertechnologien, um unabhängiger zu werden.

Nach Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende kann NRW seine Stromerzeugung bis 2030 um bis zu 40 Prozent steigern, wenn Genehmigungen und Netzausbau beschleunigt werden. Der Strukturwandel im Rheinischen Revier gilt vielen inzwischen als Labor für neue Energiepolitik: weniger Kohle, mehr Kreislauf, mehr Kooperation.

Strom aus Müll

NRW zeigt bereits, wie lokale Energieformen Teil der Lösung werden können. Die ehemalige Eon-Tochter EEW Energy from Waste beispielsweise wandelt jedes Jahr rund fünf Millionen Tonnen Abfall in Energie um – genug für 700.000 Haushalte. Mit der Abscheidung von CO₂ sollen die Emissionen mittelfristig weiter sinken.

Auch Experten betonen, dass Klimaschutz und Versorgungssicherheit kein Widerspruch sein müssen, wenn Investitionen planbar sind. Wenn das Land die Zeit nutzt, um Netze, Speicher und lokale Energieformen zu verbinden, könnte ausgerechnet die aktuelle Ausbau-Flaute zum Startsignal eines neuen Kapitels werden.