Zweifel nach rätselhaftem Absturz von F-16-Kampfjet – Schickt Kiew Piloten zu schnell an die Front?

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Die Luftstreitkräfte der Ukraine haben erstmals einen F-16-Kampfjet verloren. Kritiker werden laut. © Efrem Lukatsky/dpa

Die Ukraine verliert erstmals einen ihrer wertvollen F-16-Kampfjets. Die Umstände sind weiter unklar, doch Zweifel an der Ausbildung der Piloten werden laut.

Kiew – „Die F-16 ist ein Schweizer Taschenmesser“, sagte Oberstleutnant Oleksiy Mes während des Trainings mit dem Kampfflugzeug im vergangenen Herbst. Wie die New York Times aktuell schreibt, habe der Pilot der Luftwaffe der Ukraine die F-16 als eine sehr gute Waffe beschrieben, die jede Mission im Ukraine-Krieg erfüllen könne. Eine der von den Nato-Ländern gelieferten Maschinen ist jetzt mit Mes als Piloten abgestürzt; möglicherweise weder durch Feindkontakt, noch durch Feuer aus eigenen Rohren – der Ort des Absturzes bleibt jedenfalls geheim; und die Welt zerbricht sich über die Ursachen den Kopf. Skeptiker sehen sich bestätigt.

Nachdem Mes bei dem Angriff am Montag drei russische Marschflugkörper und eine Angriffsdrohne abgeschossen haben soll, habe er gerade versucht ein weiteres Ziel abzufangen, als die Bodenkontrolle die Kommunikation mit seiner Maschine verloren hätte, teilten Vertreter der ukrainischen Luftwaffe der Presse mit, wie die NYT schreibt. „Der Abschluss der Grundausbildung bedeutet, dass Piloten in der Lage sind, Kampfaufgaben bei Tageslicht und gutem Wetter zu erfüllen“, sagte Oleksij Melnyk gegenüber n-tv, lange bevor die ersten F-16 in der Ukraine angekommen waren. Der ehemalige Politiker war selbst Jetpilot gewesen und sah dem Nutzen des als „Viper“ bekannten Modells des Kampfflugzeuges F-16 an die Ukraine mit einer gewissen Skepsis entgegen.

Washington sieht sich bei F-16-Kampfjets bestätigt: Ukraine schickt Piloten zu schnell an die Front

Allerdings verkündete er gegenüber der Öffentlichkeit seinen festen Glauben daran, dass die westlichen Flieger Wladimir Putin in die Schranken weisen könnten – vor allem aufgrund ihrer technischen Überlegenheit. Wie das Wall Street Journal jetzt nochmals betont, herrschte auch in Washington Skepsis ob der verkürzten Ausbildung und der Hektik der Ukraine, Piloten ohne große F-16-Erfahrung gegen den Diktator anfliegen zu lassen. „Ein frisch gebackener amerikanischer F-16-Pilot nimmt nach Abschluss seiner Ausbildung in der Regel viele Monate lang nicht an Kampfeinsätzen teil und verbringt die zusätzliche Zeit mit Flügen im Inland mit seiner Einheit“, zitiert Lara Seligman Stimmen von US-Offiziellen.

„Man kann einige Waffensysteme ziemlich schnell beherrschen, aber bei solchen wie der F-16 dauert es länger. Es kann vier oder fünf Jahre dauern, bis einige Staffeln einen ausreichend hohen Bereitschaftszustand erreicht haben.“

Die Ausbildung der Piloten habe zunächst die englische Sprache umfasst, die fliegerische Ausbildung auf diesem Waffensystem und dann individualisierte, auf spezifische, wahrscheinlich auf die Piloten zukommende, Manöver. Ungefähr acht Monate soll die Ausbildung der auf anderen Maschinen mehr oder weniger erfahrenen Piloten gedauert haben – mittlerweile mehren sich auch da die Zweifel. Der erste Verdacht, wonach die Maschine von Oberstleutnant Oleksiy Mes durch eigenen Beschuss verloren gegangen worden sei, ist weiterhin lediglich Spekulation.

Darüber hinaus scheinen die ukrainischen Ermittler bisher ratlos zu sein, weil „westliche Luftabwehrsysteme und F-16-Kampfflugzeuge noch nie unter so komplexen Bedingungen in der Ukraine zusammengearbeitet hätten“, wie die NYT zitiert. Jede Ursache scheint aktuell infrage zu kommen, sagte Anatolii Khrapchynskyi: „Zum Verlust der F-16 hätten viele Dinge führen können, darunter der technische Zustand des Flugzeugs, Pilotenfehler und externe Faktoren“, wie der ehemalige Offizier der ukrainischen Luftwaffe gegenüber der NYT betont.

Kritiker auch in der Ukraine: „Bürokratische Befehlsstruktur“ schuld an Absturz von F-16-Kampfjet

Die russische Nachrichtenagentur Tass hatte gemutmaßt, dass die Ukrainer ihre eigene Maschine abgeschossen hätten und behauptet, ein US-Offizieller sei gegenüber dem Wall Street Journal klar von einem Pilotenfehler ausgegangen. Militärblogger sollen auf ihren Telegram-Kanälen behauptet haben, die F-16 sei während russischen Raketenbeschusses am Boden zerstört worden. Pat Ryder hatte aber bereits zu Beginn der Ausbildungspläne vor allzu hoch fliegenden Hoffnungen durch die F-16 gewarnt.

Der britische Guardian sprach von Äußerungen von US-Militärs, wonach eine jahrelange Ausbildung vonnöten sei, um F-16 effektiv im Kampf einsetzen zu können. Das beschränke den Einfluss dieser Flugzeuge auf die Verteidigung der Ukraine in der nahen Zukunft: „Es geht um die langfristige Unterstützung der Ukraine“, sagte Pentagon-Sprecher Ryder dem Guardian. „Es geht nicht um die Gegenoffensive, die sie gerade führen.“ Gegenüber der New York Times äußerten sich anonyme Stimmen, die eine Ursache vermuten „in einer bürokratischen Befehlsstruktur, die allzu oft jene belohnte, die Autoritäten nicht infrage stellten und deren Denken möglicherweise überholt sei“.

Neuer Luftwaffen-Chef bei F-16-Piloten selbstbewusst: Ukrainer sind kampferprobt

Untermauert wird diese These durch die Entlassung des bisherigen ukrainischen Luftwaffenchefs Generalleutnant Mykola Oleschtschuk durch den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj; allerdings ist noch kein Zusammenhang bestätigt worden. Oleschtschuks Nachfolger, Generalleutnant Anatoliy Kryvonozhka, jedenfalls schloss einen Pilotenfehler von einem Piloten wie Mes weitgehend aus: „Sie wurden beschossen, sie kamen durch Kämpfe. Menschen, die solche Vorfälle erlebt haben, reagieren richtig. Diese Kampferfahrung wird auf neue Flugzeugtypen anwendbar sein“, wie er gegenüber der New York Times ausgedrückt hatte.

Allerdings hatte die französische Zeitung Le Monde aufgrund einer anonymen Quelle aus dem Militär noch im Mai angemerkt, zehn ukrainische Piloten, die in Europa ausgebildet wurden, seien relativ unerfahren gewesen; das hätte die lange Ausbildungsdauer erklärt. „Ihr Durchschnittsalter liegt zwischen 21 und 23 Jahren, und sechs von ihnen saßen vor ihrer Ankunft in Großbritannien noch nie in einem Kampfflugzeug. Die anderen vier waren in der Ukraine nur mit Aero L-39 geflogen, einem tschechischen Trainingsflugzeug, das in den ehemaligen Ländern des Warschauer Pakts weit verbreitet ist“, wie Cédric Pietralunga geschrieben hat.

Präsident Selenskyj schiebt die Schuld am Absturz dem westlichen Zögern für die Nutzung von Langstrecken-Waffen zu: Die Nutzung von Waffensystemen an der F-16 mit Reichweiten lediglich um die 200 Kilometer würden die Piloten zwingen, in niedrigen Flughöhen zu operieren mit der Gefahr eventuell doch von eigener Luftabwehr ins Visier genommen zu werden. Wie Keith Rosenkranz in seinem Buch „Vipers in the Storm“ über seinen Kriegs-Einsatz darlegt. „Rosenkranz vermittele die Ironie, dass Männer, die jahrelang im Luftkampf ausgebildet wurden, zu Bodenangriffen geschickt werden – der gefährlichsten Art von Mission für eine F-16“, schreibt das Literatur-Magazin Publishers Weekly.

Verlust von F-16-Kampfjet macht Analysten Sorgen – erhebliche Beeinträchtigung

Rosenkranz „betont die Synergie moderner Elektronik und menschlicher Fähigkeiten, die erforderlich sind, wenn man kleine Ziele aufspürt, während man Spießruten laufen muss, während man von Flugabwehrfeuer getroffen wird“, so die Rezension seines Buches weiter. Der Verlust dieses ersten westlichen Kampfjets sei jetzt eine schwere Hypothek für die Zukunft des Ukraine-Krieges – so die Prognose des Thinktank Institute for the Study of War. Dieser Verlust eines einzigen F-16-Flugzeugs werde die Luftverteidigung der Ukraine erheblich beeinträchtigen, da nur eine begrenzte Zahl von Jets und ausgebildeten Piloten zur Verfügung stehe, schreibt das ISW.

Laut dem Wall Street Journal seien bisher nur sechs Piloten fronttauglich gewesen, demzufolge sind nach dem F-16-Absturz noch fünf Piloten übrig. Laut Berichten der Nachrichtenagentur Reuters sollen bis zum Ende des Jahres mindestens 20 Piloten fertig ausgebildet haben. Präsident Selenskyj erwartet insgesamt bis zu 80 Maschinen aus verschiedenen Nato-Ländern.

„Die Beherrschung der F-16 geschieht nicht über Nacht“, äußerte General James B. Hecker gegenüber Le Monde. Der Kommandeur der US-Luftstreitkräfte in Europa warnte im August vergangenen Jahres vor übereilter Zuversicht – gerade auch von Menschen wie dem verstorbenen Piloten Oleksiy Mes. „Man kann einige Waffensysteme ziemlich schnell beherrschen, aber bei solchen wie der F-16 dauert es länger. Es kann vier oder fünf Jahre dauern, bis einige Staffeln einen ausreichend hohen Bereitschaftszustand erreicht haben.“

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