„Vom Rekruten bis zum Frontkämpfer“ – wie ukrainische Soldaten in Deutschland für den Krieg trainieren

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In Norddeutschland üben ukrainische Soldaten ein letztes Mal mit dem Leopard-Panzer, bevor sie in ihrer Heimat dem russischen Aggressor gegenüberstehen. Einige wurden gerade erst rekrutiert.

Ein Mündungsblitz in der Mittagshitze, vor dem Kanonenrohr steigt ein Feuerball auf. Ein gewaltiger Knall, lauter als ein Donnergrollen, jagt über die staubige Heidelandschaft. Die Druckwelle schwappt zum Kommandostand. Wohl dem, der einen Gehörschutz trägt. „Gut gemacht“, murmelt der Ausbilder, der sich am Morgen als Oberstabsfeldwebel Dave vorgestellt hat. „Nach wenigen Wochen haben sie schon einiges gelernt.“

Leopard-Panzer auf einer Schießbahn der Bundeswehr.
Leopard-Panzer auf einer Schießbahn der Bundeswehr. © EUMAM UA/ST-C/PAO

Seit Beginn des Ukraine-Krieges steht Deutschland an der Seite Kiews

Stahlkolosse rollen über eine Schießbahn des „Hub North“ der Bundeswehr. Die, die hier so gelobt werden, sind Männer aus der Ukraine – jüngere und ältere, kriegserfahrene und gerade erst hinzugestoßene Kerle aus dem Norden und dem Osten des Landes; je vier auf insgesamt vier Kampfpanzern des Typs Leopard 1. Die ukrainischen Soldaten sind zunächst gar nicht als solche zu erkennen. Sie tragen die Uniform der Bundeswehr. In einer Trainingspause sitzen die Männer in einer Schutzhütte zwischen Kiefern, schlürfen Kartoffelsuppe, rauchen und lenken sich auf Instagram ab. „Slawa Ukrajini“, grüßt ein deutscher Soldat: für eine freie Ukraine.

Ukrainische Soldaten während der Mittagspause auf einem Übungsplatz.
Ukrainische Soldaten während der Mittagspause auf einem Übungsplatz. © EUMAM UA/ST-C/PAO

Seit dem russischen Angriff im Februar 2022 steht Deutschland der Ukraine in ihrem Kampf gegen den Aggressor zur Seite. Zum Unterstützungspaket gehört auch die Ausbildung an Waffen. „Bis zum Ende dieses Jahres sollen insgesamt 20.000 ukrainische Soldatinnen und Soldaten in Deutschland ausgebildet worden sein“, sagt der zuständige Presseoffizier. „Grundsätzlich kommen sie mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen – vom jungen ungedienten Rekruten bis zum erfahrenen Frontkämpfer.“

Weil er Deutschland „kriegstüchtig“ machen will, geriet Minister Pistorius in die Kritik

Das Hub North ist das größte Ausbildungszentrum für ukrainische Streitkräfte in Deutschland. Es gilt als Drehscheibe für die erste militärische EU-Mission zur Unterstützung der Verteidigung eines anderen Staates. Die im November vor zwei Jahren gegründete EUMAM UA, so der Name der multinationalen Hilfsmission für die Ukraine, bildet in Norddeutschland ukrainische Panzergrenadiere, Panzertruppen und Sturmpioniere aus, erklärt Dave, ein altgedienter Soldat aus den Niederlanden. Aus Sicherheitsgründen nennt er nur seinen Vornamen. „Mit unseren Ausbildungsinhalten reagieren wir auf die Bedürfnisse des ukrainischen Militärs – es hängt immer vom Kriegsfortgang ab.“

Bevor es auf den Panzer geht, werden die ukrainischen Soldaten am Computer geschult.
Bevor es auf den Panzer geht, werden die ukrainischen Soldaten am Computer geschult. © EUMAM UA/ST-C/PAO

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius wird vorgeworfen, mit seiner Mahnung an Deutschland, bald „kriegstüchtig“ sein zu müssen, Ängste zu schüren. Eigentlich lehne er diesen Begriff selbst ab, sagte der SPD-Politiker jüngst in einem Interview. Es sei aber nun mal „die Wahrheit, dass wir uns am besten schützen, wenn wir in der Lage sind, einen möglichen Angriffskrieg abwehren zu können“, so der Minister. „Was wäre die Alternative? Dinge verharmlosen, Menschen in falscher Sicherheit wiegen und dann unvorbereitet in Gefahr zu bringen? Das kommt für mich nicht infrage.“

Der Leopard-Panzer – „sieht aus wie Stahl, ist aber ein riesengroßer Computer“

In der norddeutschen Heidelandschaft hebt der Presseoffizier die „kriegsnahe Ausbildung“ der ukrainischen Soldaten hervor. Vor der Gefechtssimulation wird jedoch erst mal „angeschossen“, erklärt Oberleutnant Marielisa im Militärjargon. An einem Hügel, rund zwei Kilometer vom Kommandostand entfernt, stehen Schießscheiben, um die Panzer auf ihre Munition zu justieren. „Kriegsmanöver stellen wir durch Nebel oder Pyrotechnik nach“, erläutert die Panzerzugführerin. „Mal wird aus der Fahrt geschossen, mal aus der Stellung. Mal geht die Besatzung auf Angriff, mal weicht sie aus – unsere Trainingsformen sind nah an der Realität.“

Oberleutnant Marielisa im Gespräch mit Redakteur Florian Pfitzner (l.).
Oberleutnant Marielisa im Gespräch mit Redakteur Florian Pfitzner (l.). © EUMAM UA/ST-C/PAO

In einer großen Sandgrube an der Schießbahn hocken vier Ukrainer im Schatten der Kiefern und fachsimpeln über den „Leo“. Wegen der Kriegslage sind sie angehalten, sich nicht gegenüber der Presse zu äußern. Dafür spricht Ausbilder Arco. Er zieht seinen Schlauchschal herunter, die Sonnenbrille lässt er auf. Er zeigt auf den Panzer. „Sieht aus wie Stahl, ist aber ein riesengroßer Computer“, sagt Arco, der wie Dave aus den Niederlanden kommt. Er bringe den Soldaten bei, „wie das Anschießen geht“. Wenn neue Munition in die Ukraine geliefert wird, sind sie auf sich allein gestellt – „dann muss alles funktionieren“.

„Wir sprechen eher über die Familie und über die Kinder als über den Krieg“

Die Ausbildung ist anstrengend, sie geht mitunter über zwölf Stunden täglich, an sechs Tagen in der Woche. Es wird Ukrainisch gesprochen, aber auch Russisch. Mental werde den Sprachmittlern, überwiegend Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, einiges abverlangt, erzählt der Presseoffizier. „Sie hören Kriegsgeschichten, die sogar hier nicht jeder hört.“ Manchmal entstehen zwischen den Soldaten kameradschaftliche Bindungen. Gleichzeitig wird dazu geraten, nicht zu viel persönliche Nähe zuzulassen. „Schon aus Selbstschutz“, sagt Oberleutnant Marielisa. „Sonst wird die psychische Belastung eines Tages zu groß.“

Ausbilder Arco zeigt ukrainischen Soldaten, wie man einen Leopard-Panzer für den Gefechtsfall einstellt.
Ausbilder Arco zeigt ukrainischen Soldaten, wie man einen Leopard-Panzer für den Gefechtsfall einstellt. © EUMAM UA/ST-C/PAO

Vor Arco stehen regelmäßig neue Panzerschüler. „Wir sprechen eher über die Familie und über die Kinder als über den Krieg“, sagt er. Die Frage, die ihm von den ukrainischen Soldaten am häufigsten gestellt wird, ist allerdings weder eine persönliche noch eine militärische – es ist eine politische: Wann schafft ihr mehr von diesen Panzern in die Ukraine? Arco lächelt bitter, während er davon erzählt. Auf diese Frage kann er rein gar nichts entgegnen, was die Gäste auch nur irgendwie zufriedenstellen könnte. Er sieht darin allerdings auch einen Beleg für die Truppenmoral. „Die Jungs, die zu uns kommen, sind alle hochmotiviert.“

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