„Sicherlich nicht normal“: Politik-Experte kritisiert geplanten Baerbock-Wechsel zur UN

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Annalena Baerbock will als Präsidentin der UN-Generalversammlung nach New York wechseln. Ein Experte spricht von einem „ungewöhnlichen Vorgang“.

Sagt Ihnen der Name Philémon Yang etwas? Nein? Dann sind Sie wahrscheinlich nicht alleine. Yang war zehn Jahre Premierminister des zentralafrikanischen Kamerun, von 2009 bis zu seinem Rücktritt 2019. Heute ist der 77-Jährige Präsident der UN-Generalversammlung. Er hat jenen Job inne, auf den sich nun Noch-Außenministerin Annalena Baerbock bewerben will.

Der Posten bei den Vereinten Nationen wechselt jedes Jahr zwischen Vertretern der fünf von den Vereinten Nationen festgelegten Weltregionen: Afrika, Asien und Pazifik, Osteuropa, Lateinamerika und Karibik sowie Westeuropa und Rest der Welt. Dutzende Männer – und nur eine Handvoll Frauen – hatten den Job bislang inne, darunter bislang je ein west- und ein ostdeutscher Diplomat. Zu weltweiter Bekanntheit hat es bislang keiner von ihnen gebracht, anders als etwa die bisherigen UN-Generalsekretäre.

Baerbock als nächste Präsidentin der UN-Generalversammlung? Nicht unbedingt ein Aufstieg

Das liegt auch an der wenig glamourösen Jobbeschreibung, die Ulrich Schlie von der Universität Bonn so zusammenfasst: „Die Präsidentin führt den Vorsitz in der jährlichen Generalversammlung, die im September beginnt und im Jahr darauf endet. Sie teilt sich die Sitzungsleitung mit ihren Vize-Präsidenten, die über die gleichen Rechte verfügen“, erklärt der Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie. Anders als der UN-Generalsekretär (aktuell ist das der Portugiese António Guterres) reist der Präsident der UN-Generalversammlung also nicht medienwirksam von einem Krisengipfel zum nächsten.

Wenn Annalena Baerbock also in wenigen Wochen aus dem Amt scheidet: Ein Wechsel nach New York wäre nicht unbedingt ein Aufstieg für die 44-Jährige. Aber nicht nur deshalb kam die Nachricht, dass die Bundesregierung Baerbock für den UN-Job nominiert hat, überraschend. Denn einerseits hatte die Grünen-Politikerin ihren Rückzug aus der deutschen Politik ja auch damit begründet, sie wolle künftig mehr Zeit für ihre Familie haben. In New York dürfte das schwierig werden, wobei das freilich Baerbocks persönliche Entscheidung ist.

Annalena Baerbock am Mittwoch in Beirut
Annalena Baerbock, hier am Mittwoch in Beirut, will nach New York zu den Vereinten Nationen wechseln. © Hannes P. Albert/dpa

Kritik gab es aber auch daran, dass eigentlich eine andere Frau für den Posten als Präsidentin vorgesehen war: die deutsche Diplomatin Helga Schmid. Sie muss nun Platz machen für Baerbocks Ambitionen. Von einer „Unverschämtheit“ sprach deshalb der frühere Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen.

„Sicherlich nicht normal“: Experte äußert Kritik an geplantem Baerbock-Wechsel

Auch Ulrich Schlie nennt den Vorgang „ungewöhnlich“. Zwar seien in der Vergangenheit viele Präsidenten der UN-Generalversammlung scheidende Außenminister gewesen. Nur habe sich die Bundesregierung eben im vergangenen Jahr auf Schmid geeinigt. „Normal ist es sicherlich nicht, dass sich die Bundesregierung so kurz vor Amtszeitende in einer so wichtigen Personalfrage selbst korrigiert, um ein Mitglied der Bundesregierung auf eine internationale Position zu bringen.“

Für Schlie wirft Baerbocks geplanter Wechsel nach New York noch eine weitere Frage auf: „Ich verstehe auch nicht ganz, was die Aufgabe über die künftigen beruflichen Absichten von Annalena Baerbock aussagt“, sagte Schlie der Frankfurter Rundschau. „Vielleicht will sie sich ganz aus der deutschen Politik zurückziehen und diese Aufgabe als Einstieg in den Karrierewechsel in den deutschen Auswärtigen Dienst als Diplomatin vornehmen.“

Baerbocks Wechsel zu den UN könnte der Bundesrepublik schaden

Für Helga Schmid, die geschasste deutsche Diplomatin, erwartet Schlie indes keine Nachteile. „Es ist eine Auszeichnung, für diese Aufgabe von der eigenen Regierung ausgesucht worden zu sein. Helga Schmid ist eine langjährige und sehr erfolgreiche Diplomatin“, sagt Schlie. „Sie nimmt sicherlich keinen professionellen Schaden, weil durchsichtig ist, dass sie einem politischen Manöver zum Opfer gefallen ist.“

Auf die deutsche Diplomatie könnte die Causa Baerbock indes durchaus ein schlechtes Licht werfen, glaubt der Politik-Experte: „Diese Einzelpersonalie wird im deutschen Auswärtigen Dienst, in der Öffentlichkeit und natürlich bei unseren Partnerländern sehr genau beobachtet, und es werden Rückschlüsse gezogen werden.“ So oder so ist es eine Entscheidung mit langfristigen Konsequenzen – „weil Deutschland vermutlich erst in 70 Jahren wieder diese Position besetzen kann“, sagt Ulrich Schlie.

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