Rund um die Bundeswehr-Evakuierungsmission aus Afghanistan hat Deutschland Fehler gemacht. Nun wird der leitende Kommandeur im U-Ausschuss vernommen. CSU und Grüne erklären, was schiefgelaufen ist.
Berlin/Kabul – Am Donnerstag geht die Aufarbeitung der Bundeswehr-Evakuierungsmission aus Afghanistan in eine heiße Phase. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags wird Brigadegeneral Jens Arlt, damaliger Kommandeur der Evakuierung, als Zeuge vernommen. Denn: Rund um die kurzfristig organisierte Flucht vom Kabuler Flughafen kam es zu vielen Fehlern. Im Vorfeld der Befragung räumen das auch Politier aus dem U-Ausschuss und der Enquete-Kommission ‚Lehren aus Afghanistan‘ ein. Verantwortlich dafür sei jedoch die Politik selbst – nicht die Bundeswehr.
Afghanistan-Evakuierung durch die Bundeswehr: Fehler kamen aus der Politik
„Die ‚Lessons Learned‘ aus Afghanistan liegen mehr im politischen Bereich und der Vorbereitung verschiedenster Szenarien durch die jeweiligen Ministerien“, sagte der CSU-Politiker und stellvertretende Vorsitzende im Untersuchungsausschuss Afghanistan, Thomas Erndl, im Vorfeld der Vernehmung zu IPPEN.MEDIA.
Im Sommer 2021 eroberten die radikal-islamistischen Taliban zum Ende eines über 20 Jahre dauernden internationalen Militäreinsatzes Afghanistan im Eiltempo zurück. In einer kurzfristig auf die Beine gestellten Evakuierungsmission flogen unter anderem das US-Militär und die deutsche Luftwaffe Tausende verzweifelte Menschen außer Landes. Allein die Bundeswehr rettete so über 5000 Menschen vor den Taliban. Die Mission stand trotzdem sinnbildlich für das Scheitern in Afghanistan. Zusagen der damaligen und aktuellen Bundesregierung, neben deutschen Staatsbürgern auch allen afghanischen Ortskräften Sicherheit zu gewähren, sind bis heute nicht erfüllt.
CSU-Politiker: Bundeswehr kann Evakuierungsmission jederzeit erfolgreich durchführen
CSU-Politiker Erndl gesteht im Zuge der Evakuierung Fehler der Politik ein. Frühere Befragungen im U-Ausschuss hätten gezeigt, „dass man so ein Szenario frühzeitiger hätte in Erwägung ziehen und sorgfältiger vorbereiten hätte können“. Erndl spricht von vollständigen Listen Schutzbedürftiger, frühzeitiger Visa-Vergabe und dem Einsatz von Charterflügen, „bevor sich die Situation so dramatisch zuspitzte“. Neben den politischen Fehlern stand besonders während der Evakuierungsmission aber auch die Bundeswehr und ihre Einsatzkraft zur Debatte. Hier wird Erndt, der auch im Vorsitz des Auswärtigen Ausschuss sitzt, deutlich: „Das ist eine Fähigkeit der Bundeswehr, die seit vielen Jahren trainiert wird, und deshalb gibt es am rein militärischen Teil der Evakuierung nichts auszusetzen.“
Erndt zufolge gehören Evakuierungsmissionen zu den Standardfähigkeiten der Division „Schnelle Kräfte“. „Die Evakuierung aus dem Sudan im April 2023 hat nochmal verdeutlicht, dass die Bundeswehr jederzeit eine Evakuierung deutscher Landsleute im Ausland auch unter schwierigsten Bedingungen erfolgreich durchführen kann.“
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Die Bundesregierung sagt afghanischen Ortskräften Hilfe zu – und löst sie nicht ein
Während der Bundeswehr also ein gutes Zeugnis ausgestellt wird, rückt die Politik in den Fokus der Kritik. Denn im Zuge der Evakuierung hat sich die Bundesregierung auf Hilfsangebote für afghanische Schutzberechtigte, sogenannte Ortskräfte, verständigt. „Wir werden unsere Verbündeten nicht zurücklassen“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Man wolle jene besonders schützen, die „der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als Partner zur Seite standen und sich für Demokratie und gesellschaftliche Weiterentwicklung eingesetzt haben“.
Ursprünglich sollten gefährdete Ortskräfte und ihre engsten Familienangehörigen durch unbürokratische Verfahren in Sicherheit gebracht werden. „Wir tragen weiterhin Verantwortung für die Menschen in Afghanistan“, sagte nun Schahina Gambir, Obfrau der Grünen in der Enquete-Kommission ‚Lehren aus Afghanistan‘, unserer Redaktion. „Das ist nicht nur meine persönliche Überzeugung, sondern auch ein Ergebnis der Arbeit der Enquete-Kommission. Die aktuell verheerende Situation in Afghanistan ist eine direkte Konsequenz unserer Versäumnisse während unseres 20-jährigen Engagements dort.“
Noch immer können afghanische Ortskräfte trotz Zusage nicht nach Deutschland einreisen
Die Taliban hatten die afghanische Hauptstadt Kabul kurz nach dem hastigen Abzug der internationalen Kräfte vollständig eingenommen. „Währenddessen haben wir viele Ortskräfte zurückgelassen, die auf uns vertraut haben und ohne die unsere Arbeit vor Ort nicht möglich gewesen wäre“, sagt Gambir. „Auch heute, drei Jahre später, ist es noch immer nicht gelungen, sie alle in Sicherheit zu bringen.“
Von den 5500 Personen, denen die Bundesregierung eine Aufnahme zugesagt habe, seien bislang erst 4200 Personen nach Deutschland eingereist. „Das zeigt, die Verfahren dauern viel zu lange“, sagt Gambir. Hinzu kommt nach den Worten der Grünen-Politikerin, dass die Kriterien dafür, wer als Ortskraft anerkannt wird, noch immer ungenügend seien. „Beschäftigte von Subunternehmen werden weiterhin nicht genügend berücksichtigt.“ Die Definition von sogenannten Kernfamilien sei zu eng gefasst, sie reiße Familien auseinander. „Wir konnten uns bei unserem Einsatz auf diese Menschen verlassen, sie müssen sich nun auch auf uns verlassen können“, sagt Gambir. „Als Ampel sind wir es den Ortskräften weltweit schuldig, ihre Aufnahmeverfahren endlich zu reformieren.“