„Gesellschaft ist nicht vorbereitet“: Kreml in Sorge wegen gewaltbereiten Kriegsrückkehrern

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Rückkehrer aus dem Ukraine-Krieg sorgen in Russland für Angst unter der Zivilbevölkerung. Der Kreml sieht darin eine große Bedrohung – doch Putin will seine „neue Elite“ nicht kritisieren.

Moskau – Um möglichst viele Soldaten im Ukraine-Krieg zu haben, hat der russische Präsident Wladimir Putin auch Gefängnisinsassen frei gelassen. Den Verbrechern, die zuvor in Strafkolonien in Russland gewesen sind, wurde im Gegenzug für ihren Kampf an der Front versprochen, ihre Strafen zu erlassen. Diese Entscheidung hat bereits jetzt fatale Auswirkungen auf die Sicherheit in Russland. Doch auch andere Kriegsrückkehrer bereiten dem Kreml Sorge.

Kreml in Sorge: Ex-Sträflingen begehen nach Rückkehr aus Ukraine-Krieg wieder Straftaten

Seitdem Putin die völkerrechtswidrige Invasion der Ukraine im Februar 2022 startete, war Russland sowohl was militärische Ausrüstung, als auch was die Anzahl an Streitkräften angeht, überlegen. Schätzungen zufolge besitzt die Ukraine rund 900.000 Soldaten – während Moskau rund 1,3 Millionen aktive Soldaten zur Verfügung stehen. Auf beiden Seiten sind viele der Streitkräfte keine ausgebildeten Soldaten. Während in der Ukraine seit dem russischen Überfall viele Zivilisten an der Front kämpfen, sind in Russland auch viele Strafverbrecher in den Truppen im Einsatz.

Ein russischer Soldat in der Ukraine
Im Ukraine-Krieg kämpfen hunderttausende Russen für Putin. Nun wächst die Sorge, wie die Soldaten nach dem Krieg in der Gesellschaft aufgenommen werden. © IMAGO/Stanislav Krasilnikov

Das russische unabhängige Portal Meduza berichtet nun von einem Treffen wichtiger Kreml-Vertreter in diesem Juli. Mit dabei soll auch Sergei Kirijenko, stellvertretenden Leiter der russischen Präsidialadministration, gewesen sein. Der russische Politiker soll dort eingeräumt haben, viele Soldaten wollten durch den Dienst lediglich dem Gefängnis entkommen. Einige der Ex-Gefängnisinsassen hätten nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht lange gewartet, weitere Verbrechen zu begehen, darunter Mord und Vergewaltigung. Meduza will die Details zu dem Treffen von zwei Anwesenden und einer weiteren Kreml-nahen Quelle erfahren haben.

„Gesellschaft ist nicht vorbereitet“: Putin-Verbündete sehen in gewaltbereiten Veteranen Sicherheitsproblem für Russland

Nach dem Dienst in der Ukraine sollen russische Veteranen bereits mindestens 107 Menschen getötet und mindestens 100 weitere schwer verletzt haben, berichtet das Portal Verstka im April. In Russlands Gesellschaft schürt das wohl Unmut als auch Angst. „Die Gesellschaft ist nicht vorbereitet“, soll einer der anwesenden russischen Gouverneure laut Meduza bei dem Kreml-Treffen gesagt haben. Kirijenko, der teils bereits als Putins Nachfolger gehandelt wird, befürchte, die Kriegsrückkehrer könnten das „größte politische und soziale Risiko“ für Russland darstellen.

Sergei Kirijenko in Moskau
Sergei Kirijenko zeigt sich bei einem Treffen mit anderen Kreml-Politikern wohl besorgt über die Rückkehrer aus dem Ukraine-Krieg. © IMAGO/Sergei Bulkin

Dabei soll sich Kirijenko nicht nur auf die Strafverbrecher, sondern auch auf andere Veteranen bezogen haben. Allgemein sei besorgniserregend, dass sich die Rückkehrer aus dem Ukraine-Krieg „schlecht“ ins zivile Leben einfügen. Eines der Probleme sei, dass die russische Bevölkerung den Ukraine-Krieg nur „im Fernsehen“ verfolgt habe. Ohne direkte Kriegserfahrung im eigenen Land seien sie nicht darauf vorbereitet, die Veteranen „zu verstehen und zu akzeptieren“. Damit würden die Kriegsrückkehrer ein anderes Schicksal erleiden, als beispielsweise Ex-Soldaten aus dem sowjetisch-afghanischen Krieg oder dem Zweiten Weltkrieg.

Veteranen mit psychischen Folgen nach Ukraine-Krieg – doch Russland kann nicht ausreichend helfen

Die Angst des Kreml: Eine Gesellschaft mit Kriegsrückkehrern, die desillusioniert vom zivilen Leben sind und kriminelle Gruppen bilden. Die Abschottung dürfte auch auf die psychischen Kriegsfolgen zurückzuführen sein. Wie die Putin-Verwandte und Russlands stellvertretender Verteidigungsministerin, Anna Tsivileva laut Newsweek sagt, leidet jeder fünfte Soldat nach dem Ukraine-Krieg an posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). Das Problem sei jedoch, dass es in Russland nicht genügend Psychologen gibt, die auf die Behandlung von PTBS ausgebildet sind, berichtet Meduza.

Hat Putin die sozialen Folgen des Ukraine-Kriegs für sein eigenes Land unterschätzt?

Putin habe vor seiner Invasion der Ukraine „wahrscheinlich wenig über die langfristigen sozialen Folgen“ des Krieges nachgedacht, schreiben Analysten des US-ansässigen Think-Tanks Institute for the Study of War (ISW). Jedoch habe bereits der bewaffnete Aufmarsch der Wagner-Gruppe auf Moskau im vergangenen Jahr gezeigt, wie schnell wachsende Unzufriedenheit innerhalb russischer Militärangehörigen zu einer unmittelbaren Bedrohung für Putin und dessen Regime werden könne.

Doch während innerhalb des Kreml die Sorge vor den Kriegsrückkehrern wohl wächst, will Putin das Problem nicht öffentlich machen. Der russische Präsident bezeichnet die Soldaten, die im Ukraine-Krieg an der Front kämpfen oder gekämpft haben, als die „neue Elite“ des Landes. Um die Propaganda aufrechtzuerhalten, ist es russischen Medien verboten, über Verbrechen zu berichten, die Ex-Soldaten in Russland begonnen haben. (nbe)

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