„Große Besorgnis“ bei der Automobilindustrie – Verschwinden bald die Hersteller?
Die Automobilindustrie hinkt hinterher, was die nachhaltige Transformation umgeht. Einer Expertin zufolge könnte es bereits zu spät sein. Sie sieht mit „Besorgnis“ auf die Industrie.
Berlin – Abgasskandal, Umweltbonus, dann die Abschaffung desselben. In der Automobilindustrie ging es innerhalb der letzten 20 Jahre hoch her, was die Transformation hin zur Klimaneutralität angeht. Allerdings sehen Experten in der Automobilindustrie einen der „Bremser“ auf dem Weg zu einer CO₂-freien Bundesrepublik. Mehr noch: Nicht alle Autokonzerne würden die nächsten 20 Jahre überleben. Eine Expertin stellt ein pessimistisches Zeugnis aus.
Klimaziele im Automobilsektor
Konkret will die Bundesregierung bis 2030 rund 15 Millionen vollelektrische Pkw auf die Straßen bringen. Aktuell sind es rund eine Million. Bis Dezember hatte die Bundesregierung den Kauf von Elektroautos noch mit einem Umweltbonus gefördert, dann aber die umstrittene Entscheidung getroffen, diese Hilfe einzustellen.
Außerdem plant der Gesetzgeber die Errichtung von einer Million Ladepunkte bis 2030. Eine funktionierende Infrastruktur sei für den Betrieb dieser Fahrzeuge unerlässlich. Allerdings hatte es dabei erst kürzlich Probleme mit Aral gegeben – der Konzern würde gern mehr Aufladepunkte aufstellen, doch der Netzausbau kommt nicht hinterher.

Die Autokonzerne wiederum verfolgen jeweils eigene Ziele. Bei BMW zum Beispiel heißt es, dass die Emissionen der BMW Group zwischen 2019 und 2030 um 80 Prozent sinken sollen. VW bekennt sich zum Pariser Klimaabkommen und will bis 2050 als Unternehmen „komplett CO₂-neutral sein“. Dies betreffe sowohl die Fahrzeuge als auch die Produktion. Und Audi will bis 2025 in allen Produktionsstandorten bilanziell CO₂-neutral produzieren. Soll heißen, „unvermeidliche“ CO₂-Emissionen gleicht das Unternehmen durch Kompensationsprojekte aus.
Autoindustrie soll bis 2030 „nahezu vollständig“ elektrisch sein
Grundsätzlich sah es für die Automobilindustrie im vergangenen Jahr noch vergleichsweise gut aus. Das zeigte jedenfalls eine Umfrage. Zwar hatte die Autoindustrie mit einem hohen Kostendruck wegen gestiegener Materialpreise zu kämpfen, außerdem führt China branchenübergreifend einen Preiskrieg. Allerdings hatte sich die Stimmung unter den deutschen Automobilzulieferern im Januar deutlich gebessert. „Die Unternehmen der deutschen Automobilbranche bewerten ihre aktuelle Geschäftslage positiver und sehen vor allem den nächsten Monaten deutlich optimistischer entgegen als noch Ende 2023“, sagte Fachreferentin Anita Wölfl vom Ifo-Institut der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
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Eine Studie von Pricewaterhouse Coopers (PwC) kam zu dem Schluss, dass die Fahrzeugproduktion in Europa „bis 2030 nahezu vollständig auf Elektrofahrzeuge umgestellt sein wird“, berichtete dazu die Wirtschaftswoche. Der Absatz von Elektrofahrzeugen solle weiter wachsen, die Nachfrage bei Zulieferern steigen.
Klima Wirtschaft sieht mit „großer Besorgnis“ auf die Zukunft der Automobilindustrie
Sabine Nallinger, Chefin der Stiftung Klima Wirtschaft, sieht das anders. Die Stiftung arbeitet eng mit Unternehmern zusammen, die ihren Konzern weiter auf Nachhaltigkeit ausrichten wollen, berät und klärt auf. Im Podcast mit Zeit Online gab sie einen Einblick darüber, wie Deutschland im internationalen Wettbewerb um die grünen Industrien abschneidet und was CEOs brauchen, um ein umweltfreundlicheres Unternehmen zu führen. „Ich sehe mit großer Besorgnis auf die Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland“, sagte Nallinger im Podcast.
Dabei gebe es durchaus Potenzial. „Wenn die Autoindustrie zur Transformation bereit wäre, hätte sie einen großen Zukunftsmarkt“, erklärte die Expertin. Stattdessen aber habe sie viele Jahre damit zugebracht, Einfluss auf die Politik auszuüben und schärfere Regulatorik zum Thema CO₂ in Brüssel zu verhindern. Dadurch sei die Industrie selbst nicht in der Lage gewesen, eine echte Transformation zu beginnen. „Und heute sagen die Branchenvertreter, dass sie Vorgaben brauchen, um schnell genug umdrehen zu können.“
Nallinger geht nicht davon aus, dass sie sich ausreichend schnell transformieren kann, um die Marktanteile von heute zu behalten. Außerdem stehe infrage, ob die Hersteller, die heute in Deutschland produzieren, das auch in 20 Jahren noch tun werden. In anderen Branchen, vor allem in denen, die viel mit fossilen Brennstoffen arbeiten, sieht sie ebenfalls Probleme.
Klimaziele der Automobilindustrie
Was die Zielsetzung zum Thema CO₂-Ausstoß ein Stück weit komplex macht, ist, dass es je nach Branche und Unternehmen viele verschiedene Klimaziele gibt. Im Kern der nationalen Klimapolitik steht das sogenannte Klimaschutzgesetz. Dieses legt fest, dass Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral arbeiten muss. Weiter sieht das Gesetz ein „umfassendes Klimaschutzprogramm 2023 mit wirksamen Maßnahmen“ vor, insgesamt ergibt sich daraus der Gesamtplan für die Klimapolitik der Bundesregierung.
Ursprünglich hatte es ein verbindliches Sektorziel für die Verkehrsbranche gegeben, das aber nach der Novelle des Klimaschutzgesetzes weggefallen ist. Laut dem Umweltbundesamt muss das zuständige Verkehrsministerium in dem Fall, sobald die Emissionen im Verkehrssektor zur Überschreitung der Gesamtemissionen beitragen, Maßnahmen vorschlagen, um wieder auf den Zielpfad zu kommen. „Voraussichtlich“ bedeutet das Klimaschutzgesetz für den Verkehrssektor eine Reduktion der Treibhausgasemissionen auf null.
Ein hohes Ziel – und der Fall der Automobilindustrie zeigt, dass ein Aufschub dieser Pläne am Ende nur noch mehr Kosten, mehr Regulierung und eventuell Arbeitsplätze kosten kann.