„Stehen hinter dem Völkerrecht“: Weiteres Nato-Land will rote Linie von Scholz im Ukraine-Krieg übertreten
Schweden ließe die Ukraine mit ihren Waffen auch Gebiete von Russland angreifen. Scholz bekräftigt erneut seine rote Linie. Doch ein großer Partner wackelt.
Stockholm/Kiew – Eines haben die Ukraine und Europa in den letzten Jahren schmerzlich erfahren: Wladimir Putin respektiert keine Grenzen. Das war bei der illegalen Annexion der Krim-Halbinsel der Fall und wurde durch den endgültigen Beginn des Ukraine-Krieges bestätigt. Zuletzt grübelte man in Moskau auch laut darüber, See-Grenzen in der Ostsee nach eigenem Gusto zu verschieben. Lauter als solche Gedankenspiele sind dann nur die Warnungen, wenn die eigenen Landeslinien für europäische Waffen zum Thema werden.
Das will man in Schweden nicht mehr hinnehmen: „Die Ukraine ist einem unprovozierten und illegalen Angriffskrieg Russlands ausgesetzt. Nach internationalem Recht hat die Ukraine das Recht, sich durch militärische Aktionen zu verteidigen, die auf das Territorium des Gegners gerichtet sind, solange die militärischen Aktionen mit dem Kriegsrecht übereinstimmen.“

Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg: Schweden erlaubt Angriffe auf russischem Territorium
Damit geben die Skandinavier eine deutliche Antwort auf eine europäische Streitfrage: Wie weit darf die Ukraine mit den Waffenlieferungen der Verbündeten gehen? „Schweden steht hinter dem Völkerrecht und dem Recht der Ukraine, sich zu verteidigen“, heißt es dazu aus dem Büro des Verteidigungsministers Pål Jonson, wie die schwedische Zeitung Hallandsposten am Sonntag (26. Juni) berichtet.
Das neueste Nato-Mitglied positioniert sich somit bei der Frage ziemlich genau auf der anderen Seite als Deutschland und Bundeskanzler Olaf Scholz. Der hatte die Möglichkeit, dass Kiew mit der deutschen Langstreckenrakete russische Gebiete beschießt, wiederholt als Grund genannt, eben keine reichweitenstarken Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Auch am Sonntag bekräftigte er diese Haltung in einem Bürgerdialog in Berlin. Laut Tagesschau sehe er „derzeit keinen Anlass für die Ausweitung des Einsatzgebiets westlicher Waffen im Krieg in der Ukraine“. Widerspruch bekommt der Kanzler dafür unlängst auch aus der eigenen Regierung.
Russland-Angriffe und Streitthema Taurus: Bundeskanzler Olaf Scholz bisher mit USA auf einer Linie
Bislang hat sich SPD-Chef Scholz damit sicher vor der roten Linie des größten Verbündeten eingereiht: Auch US-Präsident Joe Biden betonte jeher, dass Waffen aus den Vereinigten Staaten nur zu Verteidigungszwecken und nicht auf russischem Boden eingesetzt werden dürften. Damit solle ein Dritter Weltkrieg verhindert werden. Diese Vorsicht scheint nach dem Kiew-Besuch von Außenminister Antony Blinken nun zu bröckeln.
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Laut einem Bericht der New York Times sei der Außenminister dabei, dem Präsidenten einen Kurswechsel nahezulegen. Der Grund dafür seien Berichte über die Offensive und neue Front in Charkiw, die der ukrainische Präsident Selenskyj mit dem US-Außenminister geteilt habe. Konkret: Russland soll Waffen und Raketensysteme direkt hinter der Grenze auf russischem Boden stationiert haben – wohl wissend, dass die Ukrainer sie nur mit den eigenen Waffen und Drohnen erreichen können.
Das deckt sich mit einer Einschätzung, die die amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) bereits Mitte Mai äußerte: „Die US-Politik hat effektiv einen riesigen Schutzraum geschaffen“, in dem Russland seine Bodeninvasionstruppen aufstellen und von dort aus Gleitbomben und andere Systeme für Langstreckenangriffe zur Unterstützung seiner erneuten Invasion einsetzen konnte
Putin und der „russische Wahnsinn“: Selenskyj drängt nach Charkiw-Angriff auf Luftabwehrsysteme
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geht deshalb die Verteidigung seines Landes schon auf russischem Boden los, „damit sich russische Terroristen unseren Grenzen nichtmal nähern können“. Grund für den – erneuten – emotionalen Aufruf an die internationale Gemeinschaft, der Ukraine Luftabwehrsysteme wie Patriot zu senden, war der blutige Anschlag auf einen Baumarkt in Charkiw. Bei dem Angriff mit Gleitbomben kamen zum jetzigen Stand 16 Zivilisten zu Tode, darunter auch ein Kind. Das nicht-militärische Ziel des russischen Bombardements war zum Zeitpunkt des Angriffs von rund 200 Menschen besucht.
Schon davor hatte sich innerhalb der Nato-Mitgliedsstaaten die Diskussion um den ukrainischen Einsatz westlicher Waffen erhitzt. Vor wenigen Wochen hatte der britische Außenminister David Cameron bei einem Besuch in Kiew gesagt, es sei der Ukraine überlassen, ob sie die Waffen gegen Stellungen in Russland richte. „Das ist eine Entscheidung für die Ukraine und die Ukraine hat dieses Recht.“ Auch Lettlands Außenministerin hatte in einem Interview mit der European Pravda unterstrichen, dass Ukraine Stellungen auf russischem Gebiet mit westlichen Waffen attackieren dürfe.
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