Stellungnahme entpuppt sich als mühsamer Paragrafenritt: In den Fängen des Bürokratie-Monsters

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Soll einem Neubau weichen: das Anwesen an der Mittenwalder Tiefkarstraße. © Wolfgang Kunz

Eine Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamtes entpuppt sich für den Mittenwalder Gemeinderat als mühsamen Paragrafenritt. Bürokratie-Abbau? Von wegen.

Mittenwald – Wer kennt ihn nicht, Asterix, den kleinen aber kräftigen Gallier, wie er einst versuchte, seinen Passierschein A38 zu bekommen? Im Haus, das Verrückte macht. Verrückt sind die Mittenwalder Gemeinderäte kürzlich bei ihrer Sitzung zwar nicht geworden. Weit weg davon waren sie aber auch nicht. „Das ist ja nur noch der Wahnsinn“, kommentierte Kurt Stransky (CSU) beinahe fassungslos. „Gesundheitsschädlich ist das, hab’ schon das zweite Mal Kopfweh vom Lesen“, meinte Fraktionskollege Ludwig Hornsteiner (Danzer). Was nicht nur sie an diesem Abend so in Rage brachte? Der Gang durch das Haus der Verrückten wie im Zeichentrickfilm „Asterix erobert Rom“ war’s zwar nicht. Mit einem unerbittlich mürbe machenden Bürokratie-Monster hatten die Räte aber trotzdem zu tun.

Der Marktgemeinderat arbeitete sich in seiner Sitzung durch die Stellungnahmen der Öffentlichkeit und Behörden zum Bebauungsplan Nr. 52. Hier dürfen sämtliche Institutionen, Behörden, Vereine oder Bürger Bedenken äußern, wenn ein neuer Bebauungsplan aufgestellt oder verändert wird. Wie berichtet, möchte dort die Mittenwalder Siedlungsgenossenschaft ein Wohnbauprojekt mit 18 zeitgemäßen und bezahlbaren Einheiten verwirklichen. Ein in die Jahre gekommenes Haus an der Tiefkarstraße soll dabei einem Neubau weichen.

24 Seiten reine Bürokratie

So weit, so gut möchte man meinen. Eine Formalie, die eigentlich relativ trocken, dafür aber zügig über die Bühne geht. Schließlich handelt es sich bei dem Plan mit der Nummer 52 um bereits bebautes Gebiet. Doch wurden die verhältnismäßig zahlreichen Besucher, die unter anderem noch vom vorherigen Tagesordnungspunkt (Sportlerehrung) übrig geblieben sind, eines Besseren belehrt.

Während die KEW GmbH, Kreisbrandmeister Josef Gschwendtner oder die Deutsche Telekom in kurzen, dafür allessagenden Sätzen ihre Anregungen übermittelten, umschlungen die Tentakel der bürokratischen Krake des Wasserwirtschaftsamt Weilheim die Mittenwalde. Satte 24 Seiten hatte Marktbaumeister Ralf Bues über 20 Minuten lang Wort für Wort zu verlesen – ein Rechtsakt, also Pflicht.

Passagen wiederholen sich, Textabschnitte teils eins zu eins im eingereichten Bebauungsplan enthalten

Unzählige Passagen wiederholten sich. „Das haben wir vorher schon Mal gehabt“, kommentierte Bues diese Stellen. Manche Textabschnitte waren bereits eins zu eins so im eingereichten Bebauungsplan bereits enthalten. „Das ist sogar wortgleich in unserem Entwurf drin“, meinte Bues dazu.

Stransky hob schon während dieser bürokratischen Bibelstunde die Hand und fragte, ob das eigentlich deren Ernst sei. „Da reden alle in der Regierung vom Abbau der Bürokratie, derweil wird alles noch viel schlimmer.“ Für Bues seien solche ausufernden Texte Alltag. „Jetzt seht ihr mal, mit was sich Bauämter so den ganzen Tag über beschäftigen müssen.“ Doch das sei erst der Anfang. „Es wird noch schlimmer werden künftig“, sagte er, nachdem er sein Werk endlich verkündet, seine Aufgabe erledigt hatte.

Die Stellungnahme salopp zusammengefasst: Der Bauherr soll sich an geltendes Recht halten. Und ein paar redaktionelle Änderungen übernimmt das Mittenwalder Bauamt. Der Gemeinderat segnete alles einhellig ab. Punkt. „Im Endeffekt wäre die Stellungnahme in einem Satz gesagt gewesen“, meinte auch Ursula Seydel (SPD). Als Architektin weiß sie, wovon sie spricht. Dieter Schermak (CSU) vermutete gar, ob da nicht vielleicht schon mit KI, also künstlicher Intelligenz, gearbeitet wird. Anders würden sich die ellenlangen Absätze in perfektem Bürokratendeutsch gar nicht erklären lassen.

Ämter wollen sich unter anderem 1000-prozentig absichern

Ganz so Unrecht hatte er damit nicht. Zwar werden die Sätze noch nicht von der KI geschrieben. Allerdings haben manche Behörden fixe Textbausteine, die sie quasi in „copy-paste“, also kopiert und eingefügt, verwenden. Das hat einen Hintergrund: Die Ämter wollen sich unter anderem dadurch rechtmäßig 1000-prozentig absichern vor etwaigen Klagen, die im Laufe des Verfahrens oder danach folgen könnten, teilt ein Behördensprecher mit.

Zwar gibt es auch immer wieder Fälle, in denen der Staat Regeln und Verbote aufgelockert hat. Das gefalle allerdings nicht jedem. Beispielsweise fürchten unter anderem Umweltverbände, dass dadurch demokratische Mitsprache- und Beteiligungsrechte ausgehebelt werden. Es ist eben manchmal eine schwierige Balance zwischen Bürokratie und Demokratie.

Der Gemeinderat nahm die Stellungnahme zur Kenntnis und segnete die kleinen Nachbesserungen ab. Nun kann der Bau der Wohneinheiten an der Mittenwalder Tiefkarstraße in die nächste Ebene gehen.

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