Tückische Erkrankung - Refeeding-Syndrom: Was es ist, was es verursacht und wie man es verhindert

Sie haben in letzter Zeit ungewollt viel Gewicht verloren oder hatten aus gesundheitlichen Gründen kaum Appetit. Nach einer längeren Phase der Unterernährung beginnen Sie endlich wieder, normale Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Sie fühlen sich vielleicht erleichtert und auf dem Weg der Besserung, aber plötzlich treten unerwartete gesundheitliche Komplikationen auf. Dieses Phänomen, bekannt als Refeeding-Syndrom, beschreibt die Risiken, die mit der Wiedereinführung von Nahrung nach einer Phase der Mangelernährung einhergehen können.

Was ist das Refeeding-Syndrom?

Das Refeeding-Syndrom bezeichnet eine Stoffwechselstörung, die auftreten kann, wenn unterernährte oder untergewichtige Personen nach einer Phase der Nahrungsrestriktion oder Mangelernährung zu schnell oder unsachgemäß Nahrung wieder zugeführt wird. Während der Phase der Mangelernährung hat der Körper seine Stoffwechselprozesse so umgestellt, dass er mit den geringeren Nährstoffen auskommt. Doch diese Anpassung geht mit einem erheblichen Verlust von Elektrolyten und Nährstoffen einher, die für den normalen Stoffwechsel wichtig sind. Wird die Ernährung zu schnell oder zu intensiv wieder aufgenommen, reagiert der Körper mit einer Reihe von Störungen, die zum Refeeding-Syndrom führen können.

Ursachen des Refeeding-Syndroms

Die Ursachen des Refeeding-Syndroms hängen eng mit der Ernährungsweise und dem Zustand des Körpers vor der Nahrungsaufnahme zusammen. Menschen, die über längere Zeiträume hinweg wenig oder gar nichts essen, erleben eine extreme Form der Unterernährung, bei der der Körper anfängt, seine Energiereserven aus den Muskeln und Organen zu gewinnen. Dies kann zu einem dramatischen Mangel an wichtigen Mikronährstoffen, wie Phosphat, Kalium und Magnesium, führen. Die schnellstmögliche Wiederaufnahme von Nahrung, besonders von Kohlenhydraten, kann zu einem rapiden Anstieg des Insulinspiegels führen, was wiederum eine verstärkte Aufnahme von Elektrolyten und Flüssigkeiten in die Zellen zur Folge hat.

Dieser plötzliche Anstieg an Insulin und der damit verbundene Rückfluss von Elektrolyten in die Zellen kann schwerwiegende Konsequenzen haben, da der Körper nicht ausreichend mit den nötigen Mineralstoffen ausgestattet ist, um diesen plötzlichen Bedarf zu decken. In der Folge kann es zu einem gefährlichen Mangel an wichtigen Nährstoffen kommen, der zu Störungen des Herz-Kreislaufsystems, Atemproblemen, Kreislaufversagen und im schlimmsten Fall zu Organschäden führt.

Symptome des Refeeding-Syndroms

Die Symptome des Refeeding-Syndroms können vielfältig und schwerwiegend sein, da sie fast alle Organsysteme betreffen können. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Störungen im Elektrolythaushalt: Besonders der Mangel an Phosphat, Kalium und Magnesium ist typisch für das Refeeding-Syndrom. Dies kann zu Herzrhythmusstörungen, Muskelschwäche oder sogar zu schwerwiegenden Krampfanfällen führen.
  • Herz-Kreislauf-Probleme: Zu den typischen Symptomen gehören eine erhöhte Herzfrequenz, niedriger Blutdruck und in schweren Fällen Kreislaufversagen.
  • Atembeschwerden: Eine beeinträchtigte Lungenfunktion durch Wasseransammlungen kann zu Atemnot und vermehrtem Schweiß führen.
  • Verwirrtheit und neurologische Störungen: Da das Gehirn stark auf Elektrolyte angewiesen ist, kann der Mangel zu kognitiven Beeinträchtigungen und sogar zu Delirium führen.
  • Müdigkeit und Schwäche: Der Körper hat nach langer Mangelernährung stark an Energie verloren, was sich in allgemeiner Schwäche und Erschöpfung äußert.

Diese Symptome treten meist innerhalb der ersten Tage nach Beginn der Wiederaufnahme der Nahrungszufuhr auf.

Risikogruppen für das Refeeding-Syndrom

Nicht jeder, der eine Phase der Mangelernährung durchläuft, entwickelt ein Refeeding-Syndrom. Bestimmte Risikofaktoren erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit erheblich. Zu den Hauptrisikogruppen gehören:

  • Personen mit Anorexie: Menschen mit Essstörungen wie Anorexia nervosa sind besonders gefährdet, da sie oft über längere Zeiträume sehr wenig Nahrung zu sich nehmen.
  • Patienten mit chronischen Erkrankungen: Chronische Krankheiten wie Krebs, chronische Niereninsuffizienz, COPD und chronische Herzinsuffizienz erhöhen das Risiko ebenfalls.
  • Alkoholabhängige: Chronischer Alkoholmissbrauch führt häufig zu Mangelernährung und Mikronährstoffdefiziten.
  • Ältere Menschen: Ältere Menschen, insbesondere wenn sie multiple Erkrankungen haben oder in Pflegeeinrichtungen leben, sind ebenfalls gefährdet.
  • Patienten nach schweren Operationen: Besonders bei gastrointestinalen Operationen kann es zu einem erhöhten Risiko kommen.
  • Malabsorptionsstörungen: Krankheiten wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, die die Nährstoffaufnahme beeinträchtigen, erhöhen das Risiko.

Therapie des Refeeding-Syndroms

Die Behandlung des Refeeding-Syndroms erfordert eine sorgfältige medizinische Überwachung und eine schrittweise Wiedereinführung von Nahrung. Die wichtigsten Elemente der Therapie umfassen:

  • Langsame Kalorienzufuhr: Der Energiebedarf sollte langsam und stufenweise erhöht werden, beginnend mit etwa 5–10 kcal/kg Körpergewicht pro Tag an den ersten drei Tagen.
  • Elektrolytsubstitution: Eine gezielte Substitution fehlender Elektrolyten wie Phosphat, Kalium und Magnesium ist essenziell. Diese können oral oder intravenös verabreicht werden.
  • Thiaminsubstitution: Thiamin sollte prophylaktisch bei allen Risikopatienten substituiert werden, um neurologischen Komplikationen vorzubeugen.
  • Flüssigkeitsmanagement: Eine sorgfältige Überwachung und Anpassung der Flüssigkeitszufuhr ist notwendig, um das Risiko einer Flüssigkeitsüberladung oder -mangel zu minimieren.
  • Überwachung: Regelmäßige Laboruntersuchungen zur Kontrolle der Elektrolytspiegel und des Flüssigkeitshaushalts sind unerlässlich, um frühzeitig auf Ungleichgewichte reagieren zu können.

Vorbeugung des Refeeding-Syndroms

Die beste Strategie zur Vermeidung des Refeeding-Syndroms liegt in der Prävention. Dies bedeutet, dass potenzielle Risikopatienten frühzeitig identifiziert und entsprechende präventive Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören:

  • Ernährungsassessment: Ein umfassendes Ernährungsassessment bei Aufnahme in Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen, um den Ernährungszustand und mögliche Mängel zu erfassen.
  • Langsame Wiedereinführung der Ernährung: Eine langsame und kontrollierte Wiedereinführung der Ernährung bei Risikopatienten mit regelmäßiger Überwachung der Elektrolytspiegel und klinischen Parameter.
  • Schulung und Sensibilisierung: Schulung von Pflegepersonal und Ärzten über die Risiken und das Management des Refeeding-Syndroms.
  • Patientenaufklärung: Informierte Patienten und Angehörige können besser auf Warnzeichen achten und frühzeitig medizinische Hilfe suchen.

Ansprechpartner und Hilfsangebote

Betroffene sowie ihre Angehörigen sollten sich nicht scheuen, medizinische Hilfe zu suchen. In Deutschland gibt es verschiedene Anlaufstellen, die wertvolle Unterstützung bieten können:

  • Hausärzte: Ihre erste Anlaufstelle für eine grundlegende Einschätzung und Überweisung an Spezialisten.
  • Ernährungsspezialisten: Experten für klinische Ernährung können maßgeschneiderte Ernährungspläne erstellen.
  • Psychiater und Psychologen: Besonders bei Essstörungen wie Anorexie ist eine psychologische Betreuung entscheidend.
  • Krankenhäuser und spezialisierte Kliniken: Bei schweren Fällen ist eine stationäre Überwachung notwendig.
  • Selbsthilfegruppen: Kontakt zu anderen Betroffenen kann psychologische Unterstützung bieten und den Austausch von Erfahrungen ermöglichen.
  • Krankenkassen: Erkundigen Sie sich bei Ihrer Krankenkasse nach Möglichkeiten der Kostenübernahme für Ernährungstherapien oder psychologische Betreuung.

Fazit

Das Refeeding-Syndrom ist eine ernstzunehmende Komplikation, die bei unsachgemäßer Wiedereinführung der Ernährung nach einer Phase der Mangelernährung auftreten kann. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Risikofaktoren zu erkennen und geeignete präventive Maßnahmen zu ergreifen. Betroffene sollten nicht zögern, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, und Angehörige sollten über die Gefahren und Symptome informiert sein. Mit einer sorgfältigen Überwachung und einer graduellen Wiedereinführung der Ernährung können die Risiken minimiert und die Gesundheit wiederhergestellt werden.

Über Dr. med. univ. Matyas Galffy

Dr. med. univ. Matyas Galffy ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin sowie Personzentrierter Psychotherapeut. Er studierte Humanmedizin und Klinische Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck und absolvierte dort seine Facharztausbildung mit Schwerpunkt Psychosomatik. Neben einer Spezialisierung in fachspezifischer psychosomatischer Medizin hält der unter anderem Diplome in Palliativmedizin und spezieller Schmerztherapie. Zuletzt war er als ärztlicher Leiter der Spezialsprechstunde für Angst- und Zwangsstörungen an der Universitätsklinik Innsbruck tätig. Seither ist er als niedergelassener Arzt in Tirol und Niederösterreich tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Angststörungen, Schmerzstörungen und Psychotraumatologie.

Wichtiger Hinweis: Dies sind nur allgemeine Informationen und nicht zur Selbstdiagnose oder Selbsttherapie gedacht. Bei Verdacht auf Refeeding-Syndrom oder Verschlimmerung der Beschwerden suchen Sie bitte eine Ärztin oder einen Arzt auf.