Kontrollverlust - Gefangen im Kreislauf der Fressattacken: So finden Sie Hilfe bei Binge-Eating
Es ist ein Gefühl, das viele Menschen kennen: Der unaufhaltsame Drang, große Mengen an Essen zu sich zu nehmen, oft begleitet von Schuldgefühlen und Scham. Doch für einige wird dieses Verhalten zum festen Bestandteil ihres Alltags – es ist mehr als nur ein gelegentliches Überessen. Die Rede ist von Binge-Eating, einer Essstörung, die Millionen von Menschen betrifft und dennoch oft unerkannt bleibt.
Wenn Sie sich fragen, warum Sie regelmäßig die Kontrolle über Ihr Essverhalten verlieren, ob Sie vielleicht selbst betroffen sein könnten oder wie Sie Unterstützung finden können, dann sind Sie nicht allein
Für viele ist Essen nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch ein Genuss. Doch für manche Menschen kann Essen zu einem unkontrollierbaren Zwang werden. Die Binge-Eating-Störung (BED) ist eine ernsthafte Erkrankung, die viele Menschen betrifft und weitreichende Folgen haben kann. Dieser Artikel gibt einen tiefgehenden Einblick in die verschiedenen Aspekte dieser Erkrankung, von den Symptomen und Ursachen bis hin zu den Behandlungsmöglichkeiten und Anlaufstellen für Betroffene.
Was ist Binge Eating?
Binge-Eating-Störung, auch als Fresssucht bekannt, ist eine ernsthafte psychische Erkrankung, die durch wiederkehrende Episoden von unkontrollierbaren Essanfällen gekennzeichnet ist. Dabei konsumieren die Betroffenen in relativ kurzer Zeit außergewöhnlich große Mengen an Nahrungsmitteln, ohne danach gewichtsregulierende Maßnahmen wie Erbrechen oder exzessives Sporttreiben zu ergreifen, wie es bei der Bulimie der Fall ist. Die Betroffenen verlieren während dieser Essanfälle häufig die Kontrolle darüber, was und wie viel sie essen.
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Wer ist von Binge Eating betroffen?
Binge Eating kann Menschen jeden Alters, Geschlechts und Hintergrunds betreffen. Studien zeigen, dass sowohl Frauen als auch Männer anfällig für diese Störung sind, wobei Frauen häufiger betroffen sind. Besonders häufig tritt die Störung im jungen Erwachsenenalter auf, kann jedoch auch bei älteren Menschen diagnostiziert werden.
Symptome und Kriterien der Binge-Eating-Störung
Die Symptome der Binge-Eating-Störung sind vielfältig und können das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen. Zu den Hauptsymptomen gehören:
- Wiederkehrende Essanfälle: Die Betroffenen nehmen innerhalb kurzer Zeit große Mengen an Nahrung zu sich, oft unabhängig von Hungergefühlen.
- Kontrollverlust: Während der Essanfälle haben die Betroffenen das Gefühl, die Kontrolle über ihr Essverhalten zu verlieren.
- Schnelles Essen: Die Nahrung wird hastig konsumiert, oft bis zu einem unangenehmen Völlegefühl.
- Essen trotz Sättigung: Auch wenn kein Hunger besteht, wird weitergegessen.
- Essen in Isolation: Viele Betroffene essen heimlich und schämen sich für ihr Verhalten.
- Negative Gefühle: Nach den Essanfällen treten oft Schuldgefühle, Scham und Ekel auf.
Diagnosekriterien
Für die Diagnose der Binge-Eating-Störung müssen die Essanfälle über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten an mindestens zwei Tagen pro Woche auftreten. Wichtige Kriterien für die Diagnose sind:
- Essanfälle ohne kompensatorisches Verhalten: Im Gegensatz zur Bulimie versuchen Betroffene nicht, die aufgenommenen Kalorien durch Erbrechen oder andere Maßnahmen zu kompensieren.
- Gefühl des Kontrollverlusts: Während der Essanfälle verspüren die Betroffenen ein starkes Gefühl des Kontrollverlusts über ihr Essverhalten.
- Starke negative Gefühle: Die Essanfälle sind häufig mit intensiven Gefühlen von Ekel, Scham und Schuld verbunden.
Ursachen und Auslöser von Binge Eating
Die Entstehung der Binge-Eating-Störung ist ein komplexes Zusammenspiel von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren.
Biologische und körperliche Einflüsse
- Genetische Prädisposition: Familiäre Häufung von Essstörungen deutet darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen können.
- Hormonelle Ungleichgewichte: Veränderungen im Hormonspiegel können das Hungergefühl und das Essverhalten beeinflussen.
- Körperliche Faktoren: Häufiges Diäthalten oder ein hoher Body-Mass-Index (BMI) können das Risiko erhöhen.
Psychologische und emotionale Faktoren
- Niedriges Selbstwertgefühl: Menschen mit geringem Selbstwertgefühl und negativer Körperwahrnehmung sind besonders gefährdet.
- Emotionale Bewältigung: Viele Betroffene nutzen Essen als Bewältigungsmechanismus, um mit Stress, Ängsten oder Depressionen umzugehen.
- Traumatische Erlebnisse: Erlebnisse wie Missbrauch oder Vernachlässigung in der Kindheit können zur Entwicklung der Störung beitragen.
Familiäre und soziale Einflüsse
- Familiäre Essgewohnheiten: Ungesunde Essgewohnheiten in der Familie oder druckvolle Diätpraktiken können das Risiko erhöhen.
- Soziale Isolation: Einsamkeit und das Fehlen sozialer Unterstützung können Essanfälle begünstigen.
Folgen der Binge-Eating-Störung
Die Binge-Eating-Störung hat weitreichende Konsequenzen für die körperliche, psychische und soziale Gesundheit der Betroffenen.
Körperliche Folgen
- Übergewicht und Adipositas: Die regelmäßigen Essanfälle führen oft zu erheblichem Übergewicht.
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Das Risiko für Herzkrankheiten steigt mit zunehmendem Gewicht.
- Diabetes: Ein erhöhtes Körpergewicht ist ein Risikofaktor für Typ-2-Diabetes.
- Verdauungsprobleme: Häufige Essanfälle können zu Magen-Darm-Problemen führen.
Psychische und soziale Folgen
- Depressionen: Viele Betroffene leiden zusätzlich unter Depressionen oder Angststörungen.
- Soziale Isolation: Scham und Schuldgefühle führen oft dazu, dass sich Betroffene sozial zurückziehen und Beziehungen vernachlässigen.
- Geringes Selbstwertgefühl: Das gestörte Essverhalten und die damit verbundenen negativen Gefühle beeinträchtigen das Selbstwertgefühl erheblich.
Verlauf der Binge-Eating-Störung
Die Binge-Eating-Störung kann einen wechselhaften Verlauf nehmen. Phasen intensiver Essanfälle können sich mit symptomfreien Perioden abwechseln. Ohne Behandlung neigt die Störung jedoch dazu, chronisch zu werden und sich zu verschlimmern.
- Chronizität: Viele Betroffene kämpfen jahrelang mit ihrer Störung.
- Rückfälle: Auch nach erfolgreichen Behandlungsphasen sind Rückfälle häufig, was eine langfristige Nachsorge notwendig macht.
Behandlung und Therapie der Binge-Eating-Störung
Die Behandlung der Binge-Eating-Störung erfordert einen umfassenden Ansatz, der sowohl psychotherapeutische als auch medizinische Maßnahmen umfasst. Die wichtigsten Therapieformen sind:
Psychotherapie
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Diese Therapieform hat sich als besonders wirksam erwiesen. Sie zielt darauf ab, das Essverhalten zu normalisieren und die zugrunde liegenden psychischen Probleme zu behandeln.
- Interpersonelle Therapie (IPT): Diese Therapie konzentriert sich auf zwischenmenschliche Beziehungen und hilft, soziale Konflikte und emotionale Probleme zu bewältigen, die das Essverhalten beeinflussen können.
- Achtsamkeitsbasierte Therapien: Methoden wie Achtsamkeitsmeditation und Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) können helfen, den Umgang mit negativen Gefühlen und Stress zu verbessern.
Medizinische Behandlung
- Medikamentöse Therapie: In einigen Fällen können Medikamente wie Antidepressiva oder Appetitzügler eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern.
- Ernährungsberatung: Eine ausgewogene Ernährung und die Entwicklung gesunder Essgewohnheiten sind wichtige Bestandteile der Behandlung.
Selbsthilfegruppen und Online-Therapien
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann emotionale Unterstützung bieten und den Betroffenen helfen, sich weniger allein zu fühlen.
- Online-Therapien: Digitale Therapieangebote können eine niedrigschwellige Möglichkeit bieten, sich Unterstützung zu holen und erste Schritte in der Behandlung zu gehen.
Ist Binge Eating heilbar?
Die gute Nachricht ist, dass die Binge-Eating-Störung mit der richtigen Behandlung oft erfolgreich bewältigt werden kann. Viele Betroffene schaffen es, durch therapeutische Maßnahmen ihre Essanfälle zu reduzieren oder sogar vollständig zu stoppen und ein gesundes Essverhalten zu entwickeln.
Heilung und langfristige Nachsorge
- Langfristige Therapie: Eine langfristige, oft über Jahre hinweg andauernde Therapie und Nachsorge sind entscheidend, um Rückfällen vorzubeugen und die Fortschritte zu stabilisieren.
- Unterstützungssysteme: Ein starkes Netzwerk aus Familie, Freunden und Selbsthilfegruppen kann wesentlich zur Heilung beitragen.
Hilfsstellen und Ansprechpartner
Wer unter einer Binge-Eating-Störung leidet, sollte sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es gibt zahlreiche Anlaufstellen, die Unterstützung bieten:
- Hausarzt oder Psychiater: Der erste Ansprechpartner für eine Diagnose und Überweisung zu Spezialisten.
- Psychotherapeuten: Spezialisierte Therapeuten bieten gezielte Behandlungsmöglichkeiten.
- Kliniken und Therapiezentren: Einrichtungen wie die Schön Kliniken bieten spezialisierte Programme für Essstörungen.
- Selbsthilfegruppen: Organisationen wie ANAD e.V. bieten Selbsthilfegruppen und Informationsmaterial.
- Online-Ressourcen: Websites wie die der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bieten umfassende Informationen und Unterstützung.
Wichtige Hinweise
- Frühzeitige Intervention: Je früher die Störung erkannt und behandelt wird, desto besser sind die Aussichten auf eine Heilung.
- Kontinuierliche Betreuung: Eine fortlaufende Betreuung und Nachsorge sind wichtig, um Rückfälle zu verhindern und die Fortschritte zu stabilisieren.
Fazit
Die Binge-Eating-Störung ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, die das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. Mit einem umfassenden Behandlungsansatz, der psychotherapeutische und medizinische Maßnahmen kombiniert, sowie Unterstützung durch Selbsthilfegruppen und spezialisierte Einrichtungen können Betroffene jedoch lernen, ihre Essanfälle zu kontrollieren und ein gesundes Essverhalten zu entwickeln. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen, unter den beschriebenen Symptomen leiden, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe zu suchen. Eine frühzeitige Intervention kann den Verlauf der Störung positiv beeinflussen und die Lebensqualität erheblich verbessern.
Über Dr. med. univ. Matyas Galffy
Dr. med. univ. Matyas Galffy ist Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin sowie Personzentrierter Psychotherapeut. Er studierte Humanmedizin und Klinische Neurowissenschaften an der Medizinischen Universität Innsbruck und absolvierte dort seine Facharztausbildung mit Schwerpunkt Psychosomatik. Neben einer Spezialisierung in fachspezifischer psychosomatischer Medizin hält der unter anderem Diplome in Palliativmedizin und spezieller Schmerztherapie. Zuletzt war er als ärztlicher Leiter der Spezialsprechstunde für Angst- und Zwangsstörungen an der Universitätsklinik Innsbruck tätig. Seither ist er als niedergelassener Arzt in Tirol und Niederösterreich tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Angststörungen, Schmerzstörungen und Psychotraumatologie.
Wichtiger Hinweis: Dies sind nur allgemeine Informationen und nicht zur Selbstdiagnose oder Selbsttherapie gedacht. Bei Verdacht auf eine Binge-Eating-Störung oder Verschlimmerung der Beschwerden suchen Sie bitte eine Ärztin oder einen Arzt auf.