Mehr Mindestlohn, miese Stimmung: Warum 15 Euro für manche zu viel ist
- Im Video oben erfahren Sie, wo sie mehr zahlen müssen, wenn der Mindestlohn auf 15 Euro steigt.
Auf eine einmalige Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde haben sich CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Die Zahl ist nicht zufällig gewählt, sondern führt dazu, dass ein Vollzeitarbeiter damit etwa 60 Prozent des Medianlohns in Deutschland erhalten würde – rund 2600 Euro brutto bei einer 40-Stunden-Woche.
Dieser Anteil ist wiederum als die Grenze zur Armutsgefährdung definiert. In einer von Deutschland mitbeschlossenen Richtlinie hatte die EU vorgegeben, dass Mindestlöhne künftig mindestens 60 Prozent erreichen sollten.
Mindestlohn-Kommission muss entscheiden
Jetzt muss dieser Plan aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden. Diese Woche muss die Mindestlohn-Kommission dazu eine Entscheidung fällen. Dem Gremium obliegt in Deutschland die Hoheit über die Höhe des Mindestlohns. Bis zum 30. Juni muss die Kommission vorlegen, wie hoch er 2026 liegen soll.
Der Rat ist mit je drei Vertretern von Arbeitnehmer- und Arbeitgeber-Seite besetzt sowie der Vorsitzenden Christiane Schönefeld, die früher im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit saß. Dieses Siebener-Gremium stimmt mit einfacher Mehrheit über die Höhe des Mindestlohns ab. Zwei Wirtschaftsprofessoren der Universitäten Freiburg und Mannheim beraten dabei, dürfen aber nicht abstimmen.
Entwicklung der Tariflöhne im Blick
Normalerweise orientiert sich die Mindestlohn-Kommission bei ihren Entscheidungen an den Entwicklungen der Tariflöhne in den beiden Vorjahren und legt damit fest, wie hoch der Mindestlohn in den jeweils kommenden beiden Jahren steigen soll. Das entspricht dem ursprünglichen Auftrag, nach dem der Mindestlohn der allgemeinen Lohnentwicklung folgen soll.
Doch dieses Jahr ist es anders. Es gibt eben die EU-Richtlinie mit den 60 Prozent des Medianlohns und entsprechend erwarten vor allem Gewerkschaften und Sozialverbände sowie die SPD nun, dass die Kommission dieser Richtlinie folgt. Sie alle kommen dabei auf leicht unterschiedliche Zahlen, auf die der Mindestlohn steigen müsste, doch 15 Euro würden wohl ausreichen. Sollte die Kommission dem nicht folgen, droht Deutschland eine Auseinandersetzung mit der EU. Schließlich können wir nicht für eine Richtlinie stimmen und diese dann selbst nicht umsetzen wollen.
Tariflöhne steigen weniger stark als der Mindestlohn
Auf Seiten von Unternehmen und Arbeitgeberverbänden regt sich Widerstand gegen eine so starke Erhöhung. Aktuell liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro. 15 Euro wären also ein einmaliges Plus von 17 Prozent. Schlimmer noch: Seit seiner Einführung 2015 wäre er dann von 8,50 auf 15 Euro gestiegen, also um rund 77 Prozent. „Damit können die Tariflöhne nicht Schritt halten“, sagte schon vor Monaten Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.
Dies ist allerdings ein rein moralisches Argument, denn rechtlich gibt es keinen Grund, warum die Tariflöhne so stark steigen müssen wie der Mindestlohn. Um mehr Futter gegen die Erhöhung zu haben, liefern Kritiker deswegen auch handfestere Argumente. Wir haben diese überprüft.
1. Ein Mindestlohn von 15 Euro führt zu mehr Arbeitslosen
„Viele Arbeitgeber, insbesondere im Mittelstand, können den Mindestlohn finanziell bereits heute nicht mehr stemmen. Folge ist eine spürbar steigende Arbeitslosigkeit“, schrieben die Arbeitgeberverbände aus Handel, Bauern, Bäckern, Metall, der Forstwirtschaft und der Raiffeisenverband in einer gemeinsamen Erklärung im April, in der sie sich gegen die Erhöhung des Mindestlohns stellten.
Ein solches Schreckgespenst ist nicht neu. Ähnliche Argumente wurden schon 2015 bei der Einführung des Mindestlohns sowie bei seiner starken Erhöhung auf 12 Euro 2022 vorgebracht. Allein: Es stimmt nicht. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle hatte die Auswirkungen des Mindestlohns vergangenes Jahr untersucht: „Auf die Arbeitslosigkeit hat sich der Mindestlohn kaum ausgewirkt“, sagt dessen Vizepräsident Oliver Holtemöller im Interview mit dem MDR, „Wir sehen aber, dass im Bereich der geringfügigen Beschäftigung durch die Einführung des Mindestlohns viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Menschen, die diese Arbeitsplätze verloren haben, sind aber nicht arbeitslos geworden, sondern haben sehr schnell in anderen Bereichen eine neue Beschäftigung gefunden.“
Mindestlohn hat keinen Effekt auf die Arbeitslosigkeit in Deutschland
Kurioserweise führten der Mindestlohn und seine Erhöhung auf 12 Euro also dazu, dass zuvor geringfügig Beschäftigte in Jobs wechselten, die sogar mehr als den Mindestlohn bezahlten.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen schon 2019 drei Ökonomen, die der Mindestlohn-Kommission selbst zuarbeiteten. Sie werteten verschiedene Studien zu dem Thema aus und fanden ebenfalls, dass die Einführung des Mindestlohns keinen Effekt auf die Arbeitslosigkeit in Deutschland hatte.
2. Eine so starke Mindestlohn-Erhöhung befeuert die Inflation
„Außerdem wird die Inflation weiter befeuert und die Preise steigen“, heißt es in der oben bereits zitierten Mitteilung der Arbeitgeberverbände. Zander spezifiziert das gegenüber der Bild-Zeitung ein wenig: „Die Preise beim Friseur, beim Bäcker, in der Kneipe würden massiv steigen.“
Dieser Vorwurf ist teilweise richtig. Eine Modell-Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung, damals zur Erhöhung auf 12 Euro, kam 2022 zu dem Ergebnis, dass die Mindestlohn-Erhöhung die Inflation um 0,25 Prozentpunkte ansteigen lassen würde. Der Effekt wäre aber einmalig, weil eben auch der Mindestlohn nur einmalig so stark erhöht würde.
Folgen für die Inflation gering
Anders sieht es in den Branchen aus, die am stärksten vom Mindestlohn betroffen sind. Die Bundeszentrale für politische Bildung untersuchte das 2020 für die Mindestlohn-Einführung fünf Jahre zuvor und fand heraus, dass Taxifahrten sich dadurch etwa um 15 Prozent verteuert hatten, Zeitungen und Zeitschriften um 10 Prozent, die Preise in Cafés und Restaurants um 5 Prozent gestiegen waren und Hotels und Herbergen rund 3,8 Prozent mehr verlangten.
Das fiel damals im Vergleich mit der niedrigen allgemeinen Inflation von 0,8 Prozent negativ auf. Entsprechend könnten also auch beim Anstieg auf 15 Euro die Preise bei den am meisten betroffenen Branchen wieder steigen. Für die allgemeine Inflation sind die Folgen aber gering.
3. Eine starke Mindestlohn-Erhöhung löst eine Lohn-Preis-Spirale aus
Der Begriff „Lohn-Preis-Spirale“ ist spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges ein Schreckbegriff in Deutschland. Gemeint ist damit im Kontext des Mindestlohns, dass 15 Euro dazu führen, dass Arbeitnehmer in besser bezahlten Berufen eine ähnliche Anhebung um 17 Prozent fordern könnten.
So steigt dann das allgemeine Gehaltsniveau, was Unternehmen nur dadurch ausgleichen können, dass sie die Preise für ihre Waren und Dienstleistungen erhöhen. Weil sich Verbraucher dann weniger leisten können, würden sie wieder für höhere Löhne kämpfen, woraufhin wieder die Preise erhöht werden und immer so weiter.
Lohn-Preis-Spirale laut DGB ein Märchen
„Die sogenannte Lohn-Preis-Spirale ist in der Tat ein Märchen“, sagt der Deutsche Gewerkschaftsbund. So seien die Löhne in den beiden Vorjahren überdurchschnittlich stark gestiegen – nominal um 6,0 und 5,4 Prozent – die Inflation aber trotzdem weiter gesunken. „Ökonomischen Unfug“, nennt denn auch Dierk Hirschel die Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale in einer Kolumne für die Frankfurter Rundschau. Hirschel ist Chefökonom der Gewerkschaft Ver.di. Es gäbe keinen belegten Automatismus zwischen steigenden Löhnen und Preisen.
Auch historisch finden sich keine Belege für eine solche Spirale. Als 2015 der Mindestlohn eingeführt wurde, stiegen die Nominallöhne aller Erwerbstätigen nur um 2,8 Prozent. Ein Jahr später waren es nur 2,3 Prozent. Dass es nach der 12-Euro-Erhöhung 2022 im Folgejahr auf erwähnte 6,0 Prozent nach oben ging, lag stark am Ende der Corona-Krise und den Nachholeffekten, weil Arbeitnehmer in den Krisenjahren Lohnzuwächse unterhalb der Inflationsrate akzeptiert hatten – weniger am Mindestlohn.
4. Ein hoher Mindestlohn führt zu mehr Insolvenzen
Dies ist ein Punkt, den die oben erwähnten Verbände in ihrem Papier anführen. Die Logik: Weil viele Unternehmen sich 15 Euro Mindestlohn nicht leisten können, müssen sie nicht nur Mitarbeiter entlassen, sondern im schlimmsten Fall Insolvenz anmelden. Entsprechend würde es eine Pleitewelle in der Wirtschaft geben.
Um es kurz zu machen: Auch das ist Quatsch. „Es gibt keine Hinweise auf eine erhöhte Zahl von Insolvenzen oder Gewerbeabmeldungen“, fassten die Ökonomen der Mindestlohn-Kommission schon 2020 zusammen. Stattdessen würden Betriebe sich auf andere Weise anpassen. Manche akzeptierten geringere Gewinnmargen, andere versuchen, die Produktivität ihrer Mitarbeiter zu steigern, so dass dies den höheren Mindestlohn rechtfertigt, andere erhöhen Preise, manche verkürzen die Arbeitszeiten.
5. Ein höherer Mindestlohn führt zu mehr Schwarzarbeit
„Wenn der Mindestlohn tatsächlich auf 15 Euro steigt, dann steigt die Schwarzarbeit um drei bis fünf Milliarden Euro an, insbesondere in Ostdeutschland“, sagt der Ökonom Friedrich Schneider, der sich auf das Thema Schwarzarbeit spezialisiert hat, gegenüber der Berliner Morgenpost. „Mehr Schwarzarbeit wäre die Folge“, sagt auch Zander.
Nun muss man die Zahl von Schneider erst einmal einordnen. Der Wert der Schwarzarbeit in Deutschland wird dieses Jahr auf 511 Milliarden Euro geschätzt. Das sind rund 12 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Steigt die Schwarzarbeit also durch die Mindestlohn-Erhöhung wie von Schneider prognostiziert an, stiege der Anteil am BIP um 0,07 bis 0,11 Prozent.
Das ist nicht allzu schwerwiegend. Dem könnte die Bundesregierung mit einer Aufstockung des Personals begegnen, welches die Schwarzarbeit bekämpft. Die Gewerkschaft IG Bau fordert schon seit Jahren eine Verdopplung des Zollpersonals von 8000 auf 16.000 Mitarbeiter.
Trotzdem: Die Befürchtung, dass eine Mindestlohn-Erhöhung zu mehr Schwarzarbeit führt, ist richtig, wenngleich in sehr geringem Maße.