„Wo soll ich denn hin, wenn ich hier nicht bleiben kann?“ – Betroffene der Maro-Pleite sind verzweifelt

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Die Mieter des Maro-Wohnprojekts in Penzberg brauchen Unterstützung, damit sie in ihren Wohnungen bleiben können. © Bärbel Daiber

Noch bis zum 15. August läuft die große Spendensammlung für die Rettung der Maro-Genossenschaft. Hinter den nackten Zahlen stehen allerdings Menschen. Menschen, denen droht, alles zu verlieren. Wir stellen sie vor.

Penzberg – Eine kleine Gruppe der Bewohnerinnen und Bewohner sitzt im Schatten eines großen Sonnenschirms auf der Terrasse ihres Wohnprojekts in Penzberg. Kinder spielen, der feine Duft von Sommerflieder weht vom Garten herüber. Ein idyllisches Bild, doch die Tränen fließen bei Hanni Weber (Namen geändert), als sie gefragt wird, wie es ihr geht. Die 89-Jährige ist verzweifelt. Sie ist verunsichert, denn die MARO Genossenschaft e.G., die das Wohnprojekt betreibt, musste im März Insolvenz anmelden. Das kam unerwartet und war unverschuldet. „Wo soll ich denn hin, wenn ich hier nicht bleiben kann?“, fragt sie.

Hanni Weber ist die älteste Mitbewohnerin hier, der Jüngste ist drei Jahre. Die zierliche, vitale Dame ist, wie die meisten ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern, 27 Erwachsene und 17 Kinder und Jugendliche, gleich nach der Fertigstellung der Häuser im Mai 2020 eingezogen – als die Pandemie Fahrt aufnahm. „Es war schwierig, Gemeinschaft zu leben, wenn Abstand angeordnet ist und alle Masken tragen mussten“, erinnert sie sich. In den drei Gebäuden gibt es insgesamt 22 barrierefreie, genossenschaftliche Mietwohnungen, alle mit Balkon und Bergblick, rundherum ein Garten mit alten Bäumen, in dem die Kinder spielen und toben können, wo Gemüse in Beeten – und erntefreundlich für Senioren – in Hochbeeten angebaut wird.

300 betroffene Mietparteien in ganz Oberbayern

Hanni Weber wohnt sehr gerne hier, sie ist glücklich, angekommen zu sein und möchte jetzt unbeschwert ihre schöne Wohnung mit Blick auf die Benediktenwand genießen, so wie die letzten vier Jahre. Sie hat ihre Wohnfläche bewusst verkleinert gegenüber ihrer vorherigen Mietwohnung, wohnt nun auf 51 Quadratmetern – was ihr völlig reicht. Die Gemeinschaft ist der Seniorin sehr wichtig: „Wenn ich aus der Wohnungstür trete, treffe ich immer Menschen, auf den Laubengängen, die die Wohnungen verbinden oder auf dem kleinen ,Dorfplatz‘, wo Kinder spielen und Erwachsene zusammensitzen. Oder jemand aus der Hausgemeinschaft klingelt und besucht mich spontan. Jetzt, wo es so heiß ist, steht meine Tür sowieso immer offen, das gibt Durchzug“, erzählt sie fröhlich. Sie schätzt die gemeinsamen Frühstücke, genießt die spielenden Kinder, Kochtreffs oder andere Aktivitäten, die in dem schön eingerichteten Gemeinschaftsraum angeboten werden.

Die Nachricht über die Insolvenz der Maro-Genossenschaft war ein Schock. Betroffen sind etwa 300 Mietparteien in mehreren Wohnprojekten in Oberbayern sowie sechs Demenz-Wohngemeinschaften, die das Vorzeigeunternehmen gebaut hat und betreut. 60 Prozent der Wohnungen sind gefördert.

Alles Ersparte in Genossenschaftsanteile gesteckt

Bei der MARO Genossenschaft gibt es eine Finanzierungslücke von fünf Millionen Euro. Dieses Geld müssen die Genossenschaftsmitglieder oder andere Sponsoren und Anleger aufbringen – und zwar bis 15. August. Bislang sind trotz der Bewohnerstruktur – viele kinderreiche Familien, Alleinerziehende und RentnerInnen – immerhin 1,8 Millionen Euro zusammengekommen. Das heißt, es wurden Absichtserklärungen zur Einzahlung dieser Summe unterschrieben. Die fehlenden 3,2 Millionen Euro können die Bewohnerinnen und Bewohner nicht aus eigener Kraft stemmen, weshalb sie nun auf Hilfe von außen angewiesen sind.

Hanni Weber würde gerne helfen, doch sie hat bereits ihr lebenslang Erspartes beim Einzug in den Kauf von Genossenschaftsanteilen der Maro gesteckt: „Ich wollte diese gute Sache unterstützen, hätte nie gedacht, dass es schiefgehen könnte. Ich brauche ja die Dividende, die es dafür gab, um meine Rente aufzustocken.“ Nun hat sie auch die Sorge, dass ihre Anteile und somit ihr gesamtes Vermögen verloren gehen könnten, sollte die Maro nicht weitermachen können.

Ihre Sitznachbarin legt tröstend den Arm um die schmalen Schultern von Hanni Weber. Sie leidet mit der alten Dame, denn sie weiß, dass Hanni Weber schon viel Unsicherheit erlebt hat. Eva Müller (Name geändert) kauft hin und wieder für die alte Dame ein, hat ein Auge auf sie. So wie andere Nachbarn auch. „Eva hat kürzlich bei mir geklingelt, als es mir nicht gut ging. Sie merkt einfach, wenn ich Hilfe brauche“, sagt die 89-Jährige.

Familiengeburtstag am 20. November wird gefeiert

Ahmed flitzt über die Terrasse, einem Ball hinterher. Der Dreijährige ist das jüngste Kind von A. (47) und M. (43). Die syrische Familie wohnt auch im Maro-Wohnprojekt in Penzberg. Sie haben vier Kinder, die beiden Zwillingsmädchen sind zwölf, die Älteste ist 15 Jahre alt. Nachdem Vater A. im Januar 2015 die gefährliche Flucht vor dem Krieg gelungen war, konnte er seine Frau und die drei Kinder zehn Monate später nachholen. „Wir feiern immer am 20. November unseren Familiengeburtstag hier in Deutschland“, sagt der gelernte Laborant, der mit unbefristetem Vertrag bei Roche arbeitet.

Beide haben sich sehr angestrengt, um beruflich Fuß zu fassen. So wurde aus der syrischen Grundschullehrerin eine Kinderpflegerin. Bis zur Geburt von Ahmed arbeitete sie im Kindergarten der Arbeiterwohlfahrt in Penzberg. Die Familie hat über eine Anzeige vom Maro-Wohnprojekt erfahren, sie suchten eine größere Wohnung. „Wir waren sofort begeistert von der sehr gut geschnittenen 110 Quadratmeter großen Wohnung und der guten Lage. Kindergarten, Schulen und Arbeitsplätze, alles ist in der Nähe“, sagt A.

Syrisch Kochen: Das Buffet ist reichlich. Die Speisen, die die Bewohner unter Anleitung einer syrischen Familie zubereitet haben, schmecken köstlich.
Syrisch Kochen: Das Buffet ist reichlich. Die Speisen, die die Bewohner unter Anleitung einer syrischen Familie zubereitet haben, schmecken köstlich. © Bärbel Daiber

Wichtig war auch, dass die Wohnung förderfähig ist, anders hätte sich die sechsköpfige Familie keine angemessen große Wohnung leisten können. Das Zusammenleben in der Gemeinschaft gefällt ihnen gut. „Wir kommen mit allen sehr gut aus“, sagt M.. „Die Familie wird von den Mitbewohnern sehr geschätzt, wenn der Kleine mit seinem Lachen auf die Menschen zugeht, strahlen alle. Wir haben uns sehr über den Einzug der Familie Ende 2022 gefreut, denn wir wollten unbedingt eine junge Familie mit kleineren Kindern, nachdem eine Familie ausgezogen ist“, berichtet Eva Müller.

„Wir fühlen uns hier als eine große Familie“

Sie hilft Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund ehrenamtlich und holt sich immer wieder Tipps von M.. Die Eltern fördern ihre vier Kinder, wo es geht – sei es in der Schule oder im Sport. So spielen die zwölfjährigen Zwillingsmädchen in einer Jugendmannschaft Basketball beim TSV 1898 Penzberg. „Kürzlich kamen sie zusammen mit zwei anderen Mädchen in die enge Auswahl für die Mannschaft von Bayern München. Am Schluss hat es nicht ganz gereicht, aber vielleicht im nächsten Jahr“, sagt der Vater stolz.

Die Familie ist bestens integriert, was auch mit dem Leben im Maro-Wohnprojekt zu tun hat. In ihrer Heimat hatten sie ihre Eltern und die gesamte Verwandtschaft vor Ort. Die wenigen Verwandten hier wohnen in Norddeutschland oder in der Schweiz und den Niederlanden. „Wir fühlen uns hier wie in einer großen Familie mit unseren Nachbarn. Es gefällt uns sehr gut, mit vielen verschiedenen Menschen zusammenzuwohnen“, meint M.. Beim gemeinsamen Frühstück im Gemeinschaftsraum oder beim syrisch Kochen unter ihrer Anleitung profitieren alle von der kulturellen Vielfalt.

„Bei einer Maro-Pleite müssten wir Privatinsolvenz anmelden“

Die Nachricht von der Insolvenz der Maro beschäftigt die Familie sehr. Sie wünschen sich sehr, bleiben zu können. „Wie sollen wir mit vier Kindern eine andere Wohnung bekommen?“, fragt der Familienvater. Auch wenn die Förderung ihrer Wohnung wegfallen würde, wäre die Miete für die Familie nicht mehr bezahlbar. „Wir haben die Einlage bei der Maro über einen KfW-Kredit finanziert und wären bei einer Insolvenz so hoch verschuldet, dass wir Privatinsolvenz anmelden müssten. Wir beten, dass alles gut geht und die Maro bestehen bleibt“, sagen sie.

So wie den im Artikel erwähnten Personen geht es den meisten Bewohnern in den insgesamt 12 Wohnprojekten der Maro-Genossenschaft. Sie bangen um ihre Wohnungen und die Genossenschaftsanteile, die sie abhängig von der Wohnungsgröße eingebracht haben – zigtausend Euro pro Wohneinheit. Einige haben darüber hinaus Anteile gezeichnet, die auch auf dem Spiel stehen. Viele Mieterinnen und Mieter, vor allem in förderfähigen Wohnungen, mussten Kredite aufnehmen, um die Pflichtanteile aufbringen zu können. Sie stehen zudem vor einem Schuldenberg, wenn es mit der Maro nicht weitergeht.

Bärbel Daiber

ist Freie Journalistin und selbst

Betroffene der Maro-Pleite.

Spendensammlung: Endspurt läuft

Bis zum 15. August müssen insgesamt fünf Millionen Euro aufgebracht werden, um die Maro-Genossenschaft zu retten. Wer helfen möchte, hat verschiedene Möglichkeiten. So kann man beispielsweise Mitglied der Genossenschaft werden. Dazu nötig ist eine Absichtserklärung zur Zeichnung von Anlegeranteilen mit Dividendenanspruch. Ein Anteil kostet laut aktueller Satzung 500 Euro, die Dividende beläuft sich auf bis zu drei Prozent pro Jahr. Stiftungen, Vereine oder vermögende Privatleute, die sich in der Lage sehen, eine Summe von mindestens 100 000 Euro als zinsgünstiges Darlehen zur Verfügung zu stellen, können sich direkt per Mail unter zukunft@maro-genossenschaft.de melden. Zur Einzahlung auf ein Treuhandkonto werde erst nach Vorstellung des Insolvenzplans aufgefordert, so die Organisatoren der Spendensammlung. Scheitert der Insolvenzplan, würden die zur Rettung eingezahlten Gelder gemäß Treuhandvertrag vollständig zurückerstattet. Weitere Informationen gibt es unter www.maro retten.de.

„Wo soll ich denn hin, wenn ich hier nicht bleiben kann?“

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