95 Prozent Trefferquote: An den Patriots ist für Putin kein Vorbeikommen
Der Ukraine-Krieg macht Werbung für eine alte Waffe: Die Patriot ist (noch) eine Massenware und schnell reproduzierbar. Das weckt Begehren. Weltweit.
Washington D.C. – „Wenn es um die Vermarktung eines Luftabwehrsystems geht, ist es die beste Werbung, es in Aktion zu sehen“ – Joshua Posaner bezog sich auf ein Bombardement der Ukraine durch Wladimir Putins Invasionstruppen im August 2024 „mit mindestens 127 Raketen und 109 Drohnen“. Für den Autoren des Magazins Politico gilt im Ukraine-Krieg vor allem das in den USA hergestellte MIM-104 Patriot-System als Gewinner. „Die Leute vertrauen dem, was sie sehen, und sein Ruf ist da“, ergänzt Krisen-Analyst Fabian Hoffmann gegenüber Politico. Dessen Erfolg ist gleichzeitig dessen Schwäche: Die Lager leeren sich, an Patriots haben die westlichen Länder offenbar demnächst ihr Pulver verschossen.
Die USA verfügten nur über ein Viertel aller Patriot-Raketenabfangsysteme, die notwendig wären, um allein die USA sicher zu verteidigen, bemerkt aktuell der britische Guardian. Das führt zu knapper werdenden Beständen und neuen Aufträgen an Raytheon und Lockheed Martin, die aber noch Jahre brauchen werden, um die Bestellungen abzuarbeiten. Laut Joshua Posaner wolle auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj keine andere Waffe, weil er die Patriot-Raketen als das „stärkste“ System bezeichnete mit der Begründung, dass „nichts anderes gegen ballistische Bedrohungen wirkt“, wie er in Politico zitiert.
Glorifizierung des Patriot-Systems: Experte hält das allerhöchstens für eine „gefühlte“ Wahrheit
Alex Hollings hält das allerhöchstens für eine „gefühlte“ Wahrheit, wie er Anfang 2023 geschrieben hat – als der Ukraine-Krieg noch kein Jahr alt war: „In Kommentarspalten und Foren auf der ganzen Welt findet man zahlreiche selbsternannte Luftkriegsexperten, die scheinbar erfundene Statistiken über amerikanische, russische und andere Luftabwehrplattformen anführen, um ihre Übertreibungen zu rechtfertigen“, so der Herausgeber des Sandboxx-Blogs und ehemalige US-Marine-Soldat im Magazin The National Interest. Die Ukraine hat zum Auf- und Ausbau ihrer Luftverteidigung genau dieses System erhalten – hätten andere Systeme, vor allem in der benötigten Menge, zur Verfügung gestanden, würden heute vermutlich andere Geschichten geschrieben, legt Hollings nahe.
„Die Dominanz des Patriot-Systems in der Ukraine hat neue Aufmerksamkeit und potenzielle Kunden weltweit geweckt. Was vor kurzem noch wie ein veraltetes System aussah, erweist sich heute als Arbeitspferd, das noch jahrelang eingesetzt werden könnte“,
Das System besteht aus verschiedenen Komponenten, dient aber lediglich einem einzigen Zweck: dem Aufspüren, Identifizieren und Neutralisieren von Flugkörpern – entweder ballistischen, also solchen, die vom Boden abgeschossen nach einer bogenförmigen Flugkurve auch wieder auf dem Boden auftreffen – als auch Marschflugkörpern; also solchen, die beispielsweise von Flugzeugen ausgeklinkt ihren Flug bis zum Ziel fliegend zurücklegen.
Das Patriot-System arbeitet prinzipiell wie jede Flugabwehr mit Radar-Einheiten, Feuerleitstand und mehreren Abschussvorrichtungen. Nachdem angreifende Flugkörper aufgespürt und als feindlich identifiziert sind, erfolgt im Feuerleitstand die Freigabe, die dann einen Feuerbefehl an einen Abschusscontainer leitet – so lange noch menschliche Entscheidungen im Abschussprozess vorgesehen sind anstelle von Künstlicher Intelligenz.
Putins Desaster: Dominanz des Patriot-Systems in der Ukraine hat potenzielle Kunden weltweit geweckt
Während noch in den beiden großen Weltkriegen Artillerie von gezogenen oder selbstfahrenden Geschützen das Schlachtfeld bestimmt hatten, wurden im Zuge des Kalten Krieges mehr und mehr Raketen für kurze Strecken entwickelt, also für Reichweite bis zu 800 Kilometern oder für Mittelstrecken, also bis zu 3.500 Kilometer Reichweite – für die mussten Lösungen gefunden werden, genau so wie für Bomber, die beispielsweise Marschflugkörper starten konnten: eine Antwort bestand in der US-amerikanischen Nike Hercules für größere Höhen und Entfernungen und im MIM023 Hawk-System für mittlere Reichweiten. Beide Systeme wurden in den 1980er-Jahren durch die US-amerikanische Patriot-System ersetzt.
Ein System wie das französische SAMP/T (Surface-Air Moyenne Portee / Terrestre) ist seit 2011 etabliert, und das deutsche MEADS (Medium Extended Air Defense System) noch nicht ausgereift. Das US-amerikanische Produkt hat schon lange den Markt der Westmächte dominiert – inzwischen nutzen 19 mit den USA verbundene Nationen das System. Von Deutschland über die Arabischen Emirate bis nach Südkorea. Mit „verheerenden“ Folgen: „Die Dominanz des Patriot-Systems in der Ukraine hat neue Aufmerksamkeit und potenzielle Kunden weltweit geweckt. Was vor kurzem noch wie ein veraltetes System aussah, erweist sich heute als Arbeitspferd, das noch jahrelang eingesetzt werden könnte“, schrieb Jen Judson Mitte 2024 in den Defense News.
Gegen Russlands Truppen: Von einer ursprünglichen Trefferquote von 25 Prozent inzwischen auf 95 Prozent
Das französische sowie das deutsche System böten höhere Reichweiten als die Patriot-Raketen, schreibt Politico; sie seien auch günstiger. Aber die Patriots wären flexibler einsetzbar. Und die US-Amerikaner hätten das stabilere Netzwerk an Zulieferern aufgebaut sowie den Produktionsprozess etabliert. Ein Abwägungsprozess. Die US-Waffe bleibt der Platzhirsch unter den Systemen. Weder die Norweger mit ihren NASAMS können dagegen punkten, noch die Israelis mit ihrem Iron Dome, weil dieses Systeme lediglich kürzere Reichweiten bieten oder in zu geringen Mengen vorhanden wären. Wie das Magazin Meta Defense berichtet, seien die Franzosen nie in die Phalanx der US-Amerikaner eingedrungen – auch mit der Begründung verschiedener Käufer, die Patriots seien grundsätzlich besser in die Kompatibilität mit den US-Streitkräften einzubinden.
Wie die Nato 2015 erläutert hat, detoniere eine Patriot-Rakete Typ-PAC-2 in der Nähe der bedrohenden Rakete, während eine Patriot-Rakete des neueren Typs PAC-3 versuche, den Sprengkopf der bedrohenden ballistischen Rakete zu treffen – die Wirkung erzielen Patriot-Raketen durch kinetische Energie. Konstruiert worden war die Rakete ursprünglich für Flugzeuge, wurden dann aber mittels Modernisierungen auf Raketen geeicht. Von einer ursprünglichen Trefferquote von 25 Prozent soll sie inzwischen auf 95 Prozent hochgeschnellt sein. Allerdings scheint die Waffe anfällig zu bleiben für „friendly fire“ – die erste verunglückte F-16 der Ukraine könnte gerüchteweise auch Opfer einer eigenen Patriot-Rakete geworden sein.
Retter im Ukraine-Krieg: Ohne die Patriot wären die ukrainischen Städte in einer sehr schlechten Verfassung
Neben der Patriot sind das französische SAMP/T-System und das deutsche Iris-T in der Ukraine im Einsatz. Aber in weit geringeren Stückzahlen und daher mit weniger spektakulären Erfolgen und weniger Reputation. Auch wenn den europäischen Partnern die Abhängigkeit von den USA nach der Amtsübernahme Donald Trumps im Februar suspekt erscheint, zählt auch im europäischen Luftabwehrverband ESSI – European Sky Shield Initiative – die Patriot immer noch als Korsettstange. Rajan Menon, Direktor der US-amerikanischen Denkfabrik Defence Priorities, sagte: „Ohne die Patriot und andere Systeme wären die ukrainischen Städte in einer sehr schlechten Verfassung. Die von den USA und dem Westen gelieferte Luftverteidigung war absolut entscheidend.“
Die USA verfügen beispielsweise über 15 Patriot-Systeme, die Bundeswehr über neun, nachdem sie drei an die Ukraine abgetreten hat.. Jetzt will die Nato gemeinsam bis zu 1.000 Patriot-Raketen kaufen zu einem geschätzten Preis von mehr als fünf Milliarden Euro, wie die Tagesschau berichtet hat. Eine „,one size fits all‘-Lösung zur Abwehr von Russlands diversen Langstreckenwaffen“ sei illusorisch, schreibt Lydia Wachs vom deutschen Thinktank Stiftung für Wissenschaft und Politik.
Produktion der Patriot zu schleppend: USA produzieren jährlich bis zu 600 Stück
Laut dem Guardian würden die USA jährlich bis zu 600 Stück produzieren, von 2027 an etwas mehr. Die Zahl der weltweit eingegangenen Bestellungen ist geheim; das britische Blatt führt allerdings an, dass allein der Iran noch 1.000 ballistische Raketen auf US-Stützpunkte im Nahen Osten abfeuern könnte. Auch Taiwan will und wird von den USA mit Patriot-Raketen beliefert werden. Wann also die Nato ihren Nachschub erhalten kann, steht in den Sternen.
Im Juli 2024 hatten die USA noch unter dem 46. Präsidenten Joe Biden an den Patriot-Hersteller Lockheed Martin einen Auftrag über die jüngste Munitionssorte des Patriot-Systems erteilt, wie Reuters gemeldet hat: 870 PAC-3 MSE-Raketen und die dazugehörige Hardware sollen die USA bekommen im Gesamtwert von 4,5 Milliarden US-Dollar. Laut Reuters würde Jede einzelne Rakete auf etwa vier Millionen Dollar geschätzt.
Die Herausforderung sind aber neben der Munition auch die gesamten Systeme, die ebenfalls nachgefragt werden – von der Last des Erfolgs spricht Politico. Die steigende Nachfrage der Systeme und der rasante Verbrauch der Munition hat die westliche Welt kalt erwischt – die Produktionskapazitäten sind noch auf „Vorkriegsniveau“, wie Politico Raytheons Präsident für Land- und Luftverteidigungssysteme wiedergibt: „Wir brauchen zwölf Monate, um ein Patriot-Radar zu bauen“, sagt Thomas Laliberty, „aber wir brauchen 24 Monate, um alle Teile zu besorgen“. (KaHin)