Zu wenige Bunker in Deutschland, falls Putin angreift: „Wer muss draußen bleiben?“

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Zivilschutz rückt seit Putins Angriff auf die Ukraine in den Fokus. Doch die technischen Voraussetzungen für moderne Bunker stellen Experten vor Herausforderungen.

Berlin – Am Gesundbrunnen in Berlin kann man das Fürchten noch lernen. Dort sitzt der Verein „Berliner Unterwelten“, der Touristen durch die alten Atombunker unter der Stadt führt. Das ist nichts für Klaustrophobiker. Im U-Bahnhof Pankstraße zum Beispiel liegt hinter einer versteckten Tür ein Labyrinth aus Räumen mit dicken Betonwänden, erbaut in den späten 70ern. Über 3000 Menschen sollten dort im Falle eines Atomschlags monatelang Schutz finden. Für sie waren nur ein paar wenige Toiletten vorgesehen: „Damit niemand Zeit hat, sich auf dem Klo umzubringen“, erfährt man bei der Tour.

Bunker in Deutschland: Putins Russland ab 2029 fähig zu Angriff auf NATO-Land

Vor ein paar Jahren noch waren diese Touren nicht viel mehr als eine schaurig schöne Touristengaudi, inklusive des wohligen Gefühls: Zum Glück ist das alles Geschichte. Doch seit Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 spricht man in Deutschland wieder mit sehr viel Ernst über Bunker. In Militärkreisen hält man eine Attacke Putins gegen ein NATO-Land längst nicht mehr für ein undenkbares Szenario. Spätestens 2029 ist Russland unter Wladimir Putin nach Experteneinschätzung militärisch dazu in der Lage.

Der Zivilschutz hierzulande sei darauf allerdings nicht gut vorbereitet, sagt Norbert Gebbeken, Professor für Baustatik und Zivilschutz-Experte an der Universität der Bundeswehr in München. „Selbst während des Kalten Kriegs hatten wir in Deutschland nur Schutzraum-Kapazitäten für drei bis fünf Prozent der Bevölkerung“, so der Experte im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Wenn wir damals schon so wenig hatten, wie sollen wir heute genug Schutz bieten?“

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz teilt auf Anfrage mit: Bundesweit gibt es 579 öffentliche Schutzräume mit Platz für insgesamt gerade einmal 480.000 Menschen. Allerdings sind manche nicht mehr voll nutzbar. „Meist sind nur noch die Hüllen vorhanden, aber die technische Ausrüstung ist weg, veraltet oder funktioniert nicht mehr“, erklärt Gebbeken. Das führe zu einem schrecklichen Dilemma: „Wir müssen uns als Gesellschaft die Frage stellen: Wer darf im Krisenfall rein, und wer muss draußen bleiben?“  

Moderne Schutzräume für den Fall eines Angriffs: „Schutz vor einer atomaren Bedrohung?“

Derweil überlegt die Bundesregierung durchaus, neue, moderne Schutzräume und Bunker zu bauen. Schon vor Jahren gab es dazu Forschungen, gefördert unter anderem vom Bundesinnenministerium (BMI). Gebbeken war daran für die Universität der Bundeswehr maßgeblich als Wissenschaftler beteiligt. Die bisherigen Forschungsergebnisse seien auf Beschluss des BMI allerdings nicht öffentlich einsehbar, weil sie sensible Daten enthielten, sagt er.

Zivile Verteidigung und Empfehlungen zum Bunker-Bau

Die Bundesregierung hat 2023 ein „Gesamtszenario zur Umsetzung der Konzeption Zivile Verteidigung“ entwickelt.

Wie eine Sprecherin des Bundesamts für Bevölkerungsschutz mitteilt, ist gemeinsam mit den Ländern Folgendes geplant:

►Eine möglichst systematische Erfassung von öffentlichen Gebäuden und privaten Immobilien, die als öffentliche Zufluchtsorte genutzt werden können. Das können Tiefgaragen, U-Bahnhöfe und Kellerräume sein.

►Daraus soll ein digitales Verzeichnis erstellt werden. Über das Handy können Bürgerinnen und Bürgern dann via App die nächstgelegenen Schutzorte finden.

►Flächendeckend sollen Räume geschaffen werden, in denen sich Bürgerinnen und Bürger insbesondere in Kellern selbst schützen können. Dazu soll es „Handlungsempfehlungen zu deren baulicher Ertüchtigung“ geben. Sprich: Es geht um privat angelegte Schutzräume.

►Umfassende Informationskampagnen, die Bürgerinnen und Bürger über die Bedeutung von Schutzräumen und die Möglichkeiten des Selbstschutzes informieren.

Problematisch: Bei der Umsetzung geht es offenbar nicht recht voran. „Die grundlegenden technischen Fragen sind: Was ist die eigentliche Bedrohung, vor der wir uns schützen müssen? Man braucht dafür eine Bemessungswaffe, um ableiten zu können, wie ein Schutzraum beschaffen sein muss, um standzuhalten“, so der Professor. „Und geht es nicht nur um ballistische Waffen, sondern auch um Schutz vor einer atomaren Bedrohung? Dann brauchen wir eine erheblich aufwändigere technische Gebäudeausrüstung. Diese Fragen wurden seitens der Bundesregierung aber noch nicht beantwortet. Solange das so bleibt, kann man keine konkreten Planungen anstellen“, sagt er.

Wegen Ukraine-Krieg und Sorge vor Russland: Neubauten in Polen müssen Bunker haben

Andere Länder sind da schon weiter. Polen etwa. Ab 2026 müssen Neubauten dort Schutzräume haben, erklärte Wiesław Leśniakiewicz, Staatsuntersekretär im polnischen Innenministerium, kürzlich bei einem Kongress im Bundestag. Ein solches Konzept würde allerdings die ohnehin hohen Baukosten hierzulande weiter in die Höhe treiben, gibt Norbert Gebbeken zu bedenken. „Für die reine Hülle eines Schutzraumes braucht man Stahlbetonwände oder bestimmte hochfeste Sonderbetone mit duktilen Eigenschaften, die sich also unter Belastung verformen.“ Auch die Decken müssten extra dick sein: „Damit sie dem Aufprall einstürzender Gebäudeteile oder Explosionen standhalten können, müssen sie eine Stärke von mindestens 35 Zentimeter haben. Zum Vergleich: Normal sind 15 Zentimeter“, so Gebbeken.

Die reine Hülle sei nicht einmal der Hauptkostentreiber, sondern vor allem die technische Ausrüstung: Belüftungssystem, druckdichte Türen, ein autarkes Toilettensystem. „Und was hilft es Ihnen, wenn das Haus über dem Schutzraum im Keller verschüttet ist?“, fragt Gebbeken. Heißt: Die Türen müssen zu öffnen sein, wenn das Haus zerstört ist. Es muss Spezialkorridore nach außen geben, die immer frei bleiben.“ Ein derart beschaffener Raum wäre allerdings so dicht, dass es keinen Handyempfang mehr gäbe. „Wer da drin ist, kann sich nicht melden und kann auch nicht geortet werden. Also braucht man Kommunikationstechnik im Schutzraum.“

Strategie in der Ukraine: Schutz vor russischen Angriffen in der Badewanne

Solange es keine echten Schutzräume gibt, müsse man im schlimmsten Fall improvisieren: „Halbwegs gute Orte bei einem Angriff sind U-Bahnhöfe, Keller, Treppenhäuser ohne Fenster“, sagt Gebbeken. In der Ukraine ist es seit Jahren verbreitet, Kinder zum Schlafen in die Badewanne zu legen: Bei ballistischen Angriffen bieten die Metallwannen einen zusätzlichen Schutz.

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